Braunschweig. Weniger Beißattacken, mehr Tierschutz: So lauten die Ziele des Hundegesetzes. Eine Politikerin und Hundeexperten sehen jedoch Verbesserungsbedarf.

„Es ist keine Rasse, die Hunde beißen lässt. Es ist der Halter, der das Tier falsch erzieht. Der Hund muss es dann ausbaden mit Maulkorb, weil sein Halter versagt hat. Listenhunde oder gefährliche Rassen gibt es nicht.“

Das schreibt Leserin Corinna Langer auf unseren Facebook-Seiten.

Schon fast taub und blind ist der Hund, als er zubeißt. Jemand hatte den betagten Vierbeiner streicheln wollen, das Tier fühlte sich bedroht. Im hohen Alter muss sich der Hund danach an einen Maulkorb gewöhnen, denn nun gilt er als gefährlich.

Die Frage, die Leserin Corinna Langer auf unseren Facebook-Seiten stellt, sorgt immer wieder für Debatten: Wer ist schuld, wenn ein Hund zuschnappt – das Tier oder der Halter? Und: Welche Maßnahmen sind für den beißenden Hund angemessen? Auch SPD-Politikerin Andrea Schröder-Ehlers kennt das Problem. Mehrmals hätten sich Bürger mit Geschichten wie der des fast blinden und tauben Hundes an sie gewandt, sagt sie. Nun reagiert die Abgeordnete mit einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung. Thema ist das Niedersächsische Hundegesetz – und ob es vielleicht Zeit ist, das Gesetz zu überarbeiten.

Gefährliche Hunde

Wie viele Hunde landesweit bisher als gefährlich eingestuft wurden, inwieweit die daraufhin getroffenen Maßnahmen erfolgreich waren und ob auch wieder welche aufgehoben wurden – darauf erwartet Schröder-Ehlers jetzt Antworten. Momentan liegt keine Zahl vor, wie viele Hunde in Niedersachsen aktuell als gefährlich eingestuft sind, teilt das Landwirtschaftsministerium auf Nachfrage mit.

Seit 2011 gilt das neue Hundegesetz. Es soll Beißattacken verhindern und mehr Tierschutz garantieren. Wie alle rechtlichen Vorgaben unterliegt dieses Gesetz „einer regelmäßigen Überprüfung auf gegebenenfalls erforderliche Aktualisierung“, antwortet das Landwirtschaftsministerium darauf, ob es Zeit sei, das Gesetz zu reformieren.

Maulkorb- und Leinenpflicht

Insbesondere für ältere und gebrechliche Hunde sei es schwierig, am Wesenstest teilzunehmen, der nach einer Beißattacke ihre Sozialverträglichkeit beweisen soll, so Schröder-Ehlers. „Ist ein Hund, der beißt, wirklich ein gefährlicher Hund?“, fragt die Abgeordnete rhetorisch. Nur weil ein Tier in einer Situation, in der es sich bedroht fühlt, zuschnappt, müsse es nicht gleich eine Grundaggressivität haben.

Das meint auch Dr. Heiner Lüps, Leiter der Bezirksgruppe Braunschweig im Bundesverband praktizierender Tierärzte. „Hunde geraten oft durch normales Verhalten in den Verdacht, auffällig zu sein“, sagt der Veterinärmediziner aus Bad Harzburg. Zwar könnten sich die Tiere an den Maulkorb im öffentlichen Raum gut gewöhnen, „eine gewisse Einschränkung“ sei damit jedoch verbunden. Allerdings: Nach dem Wesenstest können die Veterinärämter auf Antrag solche Auflagen wieder aufheben. Für den Halter gibt neben Bürokratie und den Hund an den Maulkorb gewöhnen zu müssen einen weiteren Nachteil: die höhere Hundesteuer. In Braunschweig beispielsweise werden für einen gefährlichen Hund bis zu
756 Euro pro Jahr fällig, für alle anderen nur bis zu 180 Euro.

Mahnwache für Staffordshire-Terrier-Mix Chico

Ebenfalls immer wieder in der Kritik, worauf auch Facebook-Nutzerin Corinna Langer hinweist, stehen die sogenannten Listenhunde. Bundesweit polarisiert hat vor zwei Jahren der Fall des Staffordshire-Terrier-Mix Chico, der in Hannover seinen Halter und dessen Mutter tötete. Der Hund soll in einem Metallkäfig gelebt haben und nur selten Gassi geführt worden sein. Der Fall bewegte einige Menschen so sehr, dass sie eine Mahnwache für Chico hielten, nachdem er eingeschläfert worden war.

Als Staffordshire-Terrier zählt Chico zu den vom Bund als gefährlich eingestuften Rassen. Solche pauschalen Listen sind in Niedersachsen schon seit 2011 passé: Das Gesetz sieht individuelle Prüfungen vor, wenn ein Hund durch Aggressivität aufgefallen ist. Dabei stützt sich der Gesetzgeber auf wissenschaftliche Untersuchungen unter anderem von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Brandaktuelle Erkenntnisse zu Listenhunden gibt es dort aber nicht. Das Institut für Tierschutz und Verhalten ist mittlerweile aufgelöst, teilt eine Sprecherin auf Nachfrage mit.

„Hundeführerschein“ verbessert Tierschutz

Neben den Regelungen zu gefährlichen Hunden sorgt regelmäßig der Sachkundenachweis für Diskussionsstoff. Seit Mitte 2013 müssen Hundehalter eine theoretische und praktische Prüfung absolvieren, den umgangssprachlichen „Hundeführerschein“.

Hundetrainerin Anja Krieghoff von der Hundeschule Wolfsburg
Hundetrainerin Anja Krieghoff von der Hundeschule Wolfsburg © Privat | Privat

Fragt man Hundetrainerin Anja Krieghoff, wie sie das Hundegesetz findet, ist ihre Meinung zweigeteilt. „Besonders die theoretische Sachkundeprüfung finde ich gut. In dem Moment, in dem sich jemand dafür schlau macht, beschäftigt er sich damit, was die nächsten 15 bis 16 Jahre auf ihn zukommt. Jede Rasse hat ihre Eigenarten und der Hund muss auch im Urlaub oder Krankheitsfall versorgt werden“, sagt Krieghoff, die eine Hundeschule in Wolfsburg leitet und auch selbst Sachkundeprüfungen abnimmt. Tierarzt Lüps denkt, dass, da sich Halter für die theoretische Prüfung Wissen aneignen, so der Tierschutz verbessert wird. „Rund zehn Prozent der Fragen sollten verbessert werden, sie sind schwer verständlich“, sagt er.

Bei der praktischen Prüfung sieht Hundetrainerin Krieghoff Verbesserungsbedarf. „Ich fände es besser, wenn man die nur mit dem eigenen Hund absolvieren darf. Mit dem arbeitet man anders als mit einem geliehenen und hat andere Rituale“, meint die Hundetrainerin, die Mitglied im Berufsverband der Hundeerzieher und Verhaltensberater ist. Auch Veterinärmediziner Lüps kann dem praktischen Teil der Prüfung nur wenig abgewinnen: „Der ist unnötig, da nur der Hundehalter geprüft wird und nicht sein Hund.“

Diese Vorschriften gelten für Hundebesitzer

„Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen und abzuwehren“, das ist der Zweck des NHundG, dem Niedersächsischen Gesetz über das Halten von Hunden. Einerseits soll dieses Ziel mit Prüfungen erreicht werden: Einen theoretischen Test über ihre Sachkunde müssen Menschen bestehen, bevor ein Hund bei ihnen einziehen darf. Darin geht es um Themen wie rassespezifische Eigenschaften oder das Beurteilen von Gefahrensituationen. Während des ersten Jahres der Hundehaltung gilt es zudem, eine praktische Prüfung erfolgreich zu absolvieren. Hier sollen Herrchen oder Frauchen zeigen, dass sie die Theorie in die Praxis umsetzen können.

Mit einem Transponder samt Kennnummer gekennzeichnet werden muss jeder Hund, der älter als sechs Monate ist. Außerdem müssen Daten von Halter und Hund an ein zentrales Melderegister weitergegeben werden. Es soll Tiere nicht nur identifizierbar machen, sondern auch Erkenntnisse ermitteln „über die Gefährlichkeit von Hunden in Abhängigkeit von Rasse, Geschlecht und Alter“, wie es im Gesetzestext heißt. Darüber hinaus müssen Hundebesitzer für ihr Tier eine Haftpflichtversicherung abschließen. Mindestversicherungssummen von 500.000 Euro für Personenschäden und von 250.000 Euro für Sachschäden sind hier Pflicht.

Hunde mit einer gesteigerten Aggressivität gelten als gefährlich, laut Gesetz zum Beispiel, wenn sie „Menschen oder Tiere gebissen oder sonst eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Schärfe gezeigt“ haben. Erhält eine Fachbehörde einen Hinweis auf so einen Hund, muss sie ihn prüfen. Nach einem Wesenstest des Tieres kann sie dem Halter erlauben, seinen Hund weiterhin zu halten, auch wenn er als gefährlich eingestuft wurde. Auf Gassirunden im öffentlichen Raum geht es für das Tier dann in den meisten Fällen nur noch an der Leine und mit Maulkorb.

Wer sich nicht an das Hundegesetz hält, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Diese kann mit einer Geldbuße in Höhe bis zu
10.000 Euro geahndet werden.

Länger in Niedersachsen: Wer sich mehr als zwei Monate hier aufhält, für den gilt das hiesige Hundegesetz – auch, wenn der Hauptwohnsitz in einem anderen Bundesland gemeldet ist.