Braunschweig. Der Landesschülerrat kritisiert, dass einige Lehrer die Aufgaben sogar benoten. Seine Empfehlung lautet aber: Nehmt die freiwilligen Aufgaben an!

Warum erteilen Lehrer verpflichtende Aufgaben, obwohl die Anweisung des Ministeriums das nicht vorsieht?

Die Frage stellt Florian Reetz aus Braunschweig, Mitglied im Landesschülerrat

Die Antwort recherchierte
Corinna Knoke

Seit mehr als einer Woche sind Niedersachsens Schulen geschlossen, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Jetzt kritisiert der Landesschülerrat, dass die Vorgaben des Kultusministeriums nicht flächendeckend umgesetzt werden. Die Interessenvertretung der Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen will wissen, warum Lehrer verpflichtende Aufgaben erteilen, sie teilweise sogar benoten – womit sie sich aus Sicht der Schüler über die Anweisungen des Ministeriums hinwegsetzten.

Ein Sprecher des Niedersächsischen Kultusministeriums bestätigt auf Anfrage unserer Zeitung, dass der Unterricht in der Tat ersatzlos entfallen ist: „Daher sind die Lehrkräfte nicht verpflichtet, den Schülerinnen und Schülern Materialien zur Verfügung zu stellen und Aufgaben zur Bearbeitung zu übermitteln. Aufgaben, die seitens der Schulen gestellt werden, haben freiwilligen Charakter und dürfen nicht in die Leistungsbewertung einfließen.“ Diese Anordnung ist auch auf der Internetseite des Ministeriums nachzulesen. Weiter sagt der Pressesprecher, dass ihm aktuell keine Fälle bekannt seien, in denen sich Lehrer nicht daran hielten.

Das ist erstaunlich. In den vergangenen Tagen haben den Landesschülerrat nach eigener Aussage zahlreiche Zuschriften von Schulen in ganz Niedersachsen erreicht. Allein Vorstandsmitglied Ole Moszczynski habe rund 20 Nachrichten erhalten: „Schulformübergreifend wird nicht nur beklagt, dass verpflichtende Aufgaben gestellt werden. Damit haben sich die meisten bereits abgefunden. Erschreckend ist vielmehr, dass einige Lehrkräfte ankündigen, die eingeschickten Aufgaben zu benoten.“ Das entspreche dem genauen Gegenteil der Anordnung. „Es soll endlich Klarheit geschafft werden“, fordert Landesschülerrats-Vorsitzender Florian Reetz aus Braunschweig.

Was ist jedoch das Problem an verpflichtenden Aufgaben? „Diese verstärken die sozialen Ungleichheiten, die bei der Bildung sowieso schon herrschen“, erklärt Vorstandsmitglied Moszczynski und nennt Beispiele. Eine Familie mit mehreren Kindern, die nur einen Computer zur Verfügung hat, stelle dies vor erhebliche Schwierigkeiten. Wenn die Eltern arbeiten, müssten sich ältere Schüler zudem um ihre jüngeren Geschwister kümmern und hätten daher keine Zeit für die Aufgaben.

Vorsitzender Florian Reetz betont, dass der Landesschülerrat den Lehrern nicht vorwerfe, dass sie sich mutwillig gegen Regeln des Kultusministeriums hinwegsetzen. „Lehrkräfte sind keine Juristen“, sagt er. Von Schulen habe er zum Teil mitbekommen, dass die Anordnung anders aufgefasst worden sei. In manchen Fällen habe daher ein klärendes Gespräch in der Schule ausgereicht, die Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Ein Sprecher des Kultusministeriums empfiehlt, erst die Landesschulbehörde zu informieren, falls Gespräche in der Schule nicht halfen.

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Diese Ansicht teilt Laura Pooth, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie halte es für möglich, dass bei einigen Lehrern in der Flut von Verordnungen die Anweisung einfach durchgerutscht sei. Die GEW befürworte die Anordnungen des Kultusministeriums. Die Corona-Krise sei eine Notsituation, die auch Schüler unter extremen psychischen Druck setze, wodurch sie sich nicht immer auf die Aufgaben konzentrieren könnten. Dennoch versuchen die Lehrer, so Pooth, ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden und ihren Schülern ein Stück Normalität zu geben. Daher finde sie es gut, dass Aufgaben in der schulfreien Zeit einen Rahmen bieten, „damit Schüler nicht nur am Tablet daddeln. Es sollte jedoch bei der Aufforderung bleiben“, sagt sie. Eine Benotung dürfe nicht sein.

Der Landesschülerrat empfiehlt den Schülern, die freiwilligen Aufgaben anzunehmen. Florian Reetz besucht die zwölfte Klasse der IGS Heidberg in Braunschweig. „Bei uns gibt es kein Problem mit aufgezwungenen Aufgaben. Die Schulleitung und Lehrer sind verständnisvoll“, erzählt er. Über die Aufgaben, die er während der Corona-Zeit erledigen muss, freue er sich sogar. In seinem Politik-Leistungskurs arbeitet er beispielsweise acht Seiten seines Lehrbuchs nach. „Für etwa zehn bis 15 entfallene Stunden ist das super“, sagt er. Ole Moszczynski appelliert: „Wer kann, sollte sich Zeit nehmen für all das, was im alltäglichen Schulstress untergeht. Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, um Grundlagen zu wiederholen, sich den Stoff der letzten Wochen anzuschauen und zum Beispiel das Schreiben von Texten zu trainieren.”

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