Braunschweig. Serie zur Zukunft der Medizin: Auch die Apotheke des Braunschweiger Klinikums setzt auf Digitalisierung.

Ein gleichmäßiges Summen. Zwei Mitarbeiter stehen vor Glasscheiben an Computerterminals; dahinter erstrecken sich zwei Schächte mit Regalen, in denen Medikamentenpackungen gestapelt sind, vom Boden bis zur Decke. An ihnen entlang sausen zwei Greifer blitzschnell umher. Vor und zurück, hoch und runter. Sie sind mit Sensoren, Kameras und Scannern ausgerüstet, sortieren Medikamente via Barcodes ein, sortieren sie um, holen sie aus den Regalen heraus.

Mehr als 65.000 Packungen von rund 900 verschiedenen Arzneimitteln hält die Apotheke des Städtischen Klinikums Braunschweig ständig griffbereit vor; 20.000 Packungen gehen im Schnitt pro Woche raus, angefordert von den eigenen Stationen und benachbarten Krankenhäusern. Das erfordert eine ausgeklügelte Logistik: Seit drei Jahren wird alles voll automatisch abgewickelt, mit Hilfe eines modernen Kommissionierroboters. „Dadurch sind die Abläufe schneller und vor allem sicherer geworden“, sagt Hartmut Vaitiekunas.

Der Chefapotheker steht in dem riesigen Raum, in dem der Roboter Tag und Nacht in Betrieb ist – vor einem Schüttschacht, in dem Hunderte Packungen noch unsortiert liegen. Das Einräumen in die Regale wird der Roboter nachts erledigen. Tagsüber arbeitet er die Bestellungen ab und gibt die angeforderten Arzneimittel über Förderbänder aus. Er berechnet die Anzahl der benötigten Transportboxen und befüllt sie. „Nur Tuben, Fläschchen und sehr große Packungen müssen wir noch von Hand dazu packen“, sagt Vaitiekunas.

Maschine sortiert Medikamente

Die Digitalisierung in den Krankenhäusern schreitet voran; in der Apotheke des Klinikums kann man anschaulich nachvollziehen, wie sich die Technik rasant entwickelt. Als hier vor mehr als 20 Jahren der erste Kommissionierautomat seine Arbeit aufnahm, galt das schon als Revolution. Anstatt die Packungen von Hand einzusortieren und herauszusuchen, erledigte das eine Maschine für die Mitarbeiter. Sein Nachfolger kann die Bestände nun auch verwalten, die Verfallsdaten kontrollieren und die Angaben auf der Packung mit einer externen Datenbank abgleichen, um Fälschungen zu erkennen.

Digitale Verordnungen

„Ziel ist es, die Arzneimitteltherapie-Sicherheit zu erhöhen“, sagt Vaitiekunas – und um das zu erreichen, wird es weitere Neuerungen geben. So sollen die Ärzte in Zukunft Verordnungen digital durchführen. Der klassische Rezeptblock hat dann ausgedient; schwer leserliche oder unvollständige Angaben gehören der Vergangenheit an. Und es gibt weitere Vorteile: Wenn ein Patient etwa fünf verschiedene Medikamente benötigt, zeigt das System automatisch mögliche Wechselwirkungen an. Auch auf das Alter der Erkrankten kann es Rücksicht nehmen und angeben, welche Dosis dieser benötigt. Denn nicht immer ist es sinnvoll, einem 60-Jährigen die gleiche Menge eines Arzneimittels zu geben wie einem 30-Jährigen. Das Programm ist ein Baustein für die vollständige elektronische Patientenakte: Ärzte und Pfleger sollen damit Zugriff auf Patientendaten wie Namen, Krankengeschichte und Medikamentenverordnungen bekommen.„70 Prozent der Fehler im Krankenhaus passieren bei der Verordnung von Arzneimitteln“, weiß Vaitiekunas. Durch die Digitalisierung könnten viele Fehlerquellen ausgeschaltet werden. „In zehn Jahren werden wir nicht mehr darüber diskutieren, ob ein Arzt allein verordnet oder intelligent unterstützt wird – dann werden intelligente Systeme an der Tagesordnung sein.“

Gleichzeitig betont der Chefapotheker, dass der Mensch als letzte Kontrollinstanz nicht überflüssig wird. 14 Apotheker arbeiten im Klinikum Braunschweig, sie sind es, die sich im Detail mit Medikamenten und ihren Wechselwirkungen auskennen. Sie unterstützen und beraten ihre Stationskollegen bei vielen Visiten und Problemfällen. Zukünftig werden Apothekerteams auch bei der digitalen Verordnung prüfen, ob es möglicherweise Unstimmigkeiten zwischen Arzt und Computer gibt, versichert Vaitiekunas. Sie geben die Verordnungen per Mausklick frei, bevor sie für die Patienten zusammengestellt werden. Der direkte Austausch zwischen Arzt und Apotheker bleibe bestehen.

Barcodes für Arznei-Tütchen

Auch dann, wenn der nächste Schritt eingeleitet wird: der Übergang zur individuellen automatisierten Arzneimittelverordnung, der sogenannten Unit-Dose-Versorgung. Bisher drücken Pflegekräfte auf den Stationen die verordneten Tabletten aus den Verpackungen in Pillendosen. In der Hektik des Stationsalltags kann es dabei leicht zu Verwechslungen kommen – etwa, wenn sich Medikamentenpackungen und –namen ähneln. Schnell können falsche Tabletten im Dosierschälchen landen.

Damit beim Zusammenstellen nichts schief geht, wird das künftig ein computergesteuerter Automat übernehmen. Die Maschine verpackt für jeden Patienten die Medikamente in ein eigenes Tütchen mit Barcode. Auf diesem sind alle wichtigen Daten vermerkt: Name des Patienten, die benötigten Arzneimittel, ihre Dosierung, wann und wie sie genommen werden müssen. Auf der Station hält die Krankenschwester einen Scanner auf das Band, das der Patient um den Arm trägt und anschließend auf den Barcode des Medikamenten-Tütchens. Wenn die Daten abgeglichen sind, leuchtet ein Lämpchen. Verwechslungen werden ausgeschlossen.

Was in Braunschweig voraussichtlich 2025 eingeführt werden soll, ist an wenigen Kliniken bereits Alltag. Vaitiekunas verweist auf eine Beobachtungsstudie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel zur „Unit-Dose-Versorgung“: Gemessen wurden 500 Stellprozesse mit 4438 Verordnungen, also das Zusammenstellen von Tabletten in Dosierdosen. Vor Einführung von „Unit-Dose“ sind dabei 186 Fehler aufgetreten, darunter wurden 26 als schwer, also lebensbedrohlich, eingeordnet. Bei der automatisierten Verteilung traten dagegen nur elf Fehler auf. Alle konnten den Angaben zufolge bei der Endkontrolle durch den Apotheker vermieden werden.

Mehr Sicherheit für Mitarbeiter

Mehr Sicherheit für Patienten ist ein Ziel, mehr Sicherheit für Mitarbeiter ein weiteres. Wenige hundert Meter vom Standort der Apotheke an der Celler Straße entfernt, in einem anderen Gebäude, ist das GMP-Zentrum des Klinikums untergebracht, eines der größten in Deutschland. GMP steht für „Good Manufacturing Practice“, gute Herstellungspraxis. Die Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen erfolgt in Reinraum-Laboren. Wer in das Reinraum-Labor vordringen will, muss drei Schleusen überwinden. Mitarbeiter ziehen sich OP-Handschuhe über, schlüpfen in einen sterilen Overall und spezielle Stiefel, streifen sich eine Haube mit Sehschlitz über den Kopf. Sie dürfen kein Make-up tragen und sich noch nicht einmal schnell bewegen, da sie sonst zu viele Luftverwirbelungen auslösen könnten.

Roboter stellt Zytostatika her

Das Kernstück ist der Roboter, zwei Meter breit und fast zweieinhalb Meter hoch. In der sogenannten Vorbereitungskammer, hinter einer Glasscheibe, steht eine Mitarbeiterin. Sie gibt der Maschine einzelne Zutaten für die Herstellung von Zytostatika an – Medikamente, die Patienten während einer Chemotherapie erhalten. Über eine Art Karussell befördert der Roboter die Zutaten in die Herstellungskammer, löst Pulver in Flüssigkeiten auf und zieht Flüssigkeiten in Spritzen. Die Maschine und nicht mehr der Mensch kommt in Kontakt mit den giftigen Stoffen. Eine Kamera überwacht den Prozess. Barcodes stellen sicher, dass die Arznei auch dem richtigen Patienten zugeordnet werden kann. Rund 80 Prozent der Krebspatienten soll der Roboter auf diese Weise versorgen, mit der jeweils individualisierten Dosis für die Therapie zur Zerstörung von Tumorzellen.

Derzeit läuft die Implementierungsphase des Zytostatika-Roboters. Künftig soll das Personal weitere Produkte auf Vorrat herstellen können, die Pflegekräfte bisher auf mehreren Stationen einzeln produzieren mussten, kündigt das Klinikum an. Dadurch gewinne man Zeit. Und die sei kostbar im hektischen Klinikalltag