Braunschweig. An der Hochschule Hannover lehrt Martina Glomb, die einst mit Vivienne Westwood arbeitete, wie Mode nachhaltig gelingen kann.

Massenware ist nicht ihr Ding. An der Hochschule Hannover lehrt Martina Glomb, die einst mit Vivienne Westwood arbeitete und heute Professorin im Studiengang Modedesign ist, wie Mode nachhaltig gelingen kann. Sie plädiert dafür, den Zyklus des Kaufens, Tragens und Wegwerfens zu durchbrechen – mit qualitativ hochwertigen Kleidungsstücken aus ressourcenschonender Herstellung und mit sehr viel mehr Kreativität und Fantasie. Denn warum sollte man überhaupt noch Anziehsachen kaufen, wenn die Kleiderschränke in Deutschland doch prall gefüllt sind?

Frau Glomb, Sie haben mal gesagt „Fast Fashion ist ein Verbrechen“. Was steckt dahinter?

Da war ich wohl sauer. Fast Fashion braucht Hilfe von uns Slow-Fashion-Forscherinnen, die sich der nachhaltigen Mode verschrieben haben. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kann die Massen-Wegwerf-Mode gar kein Verbrechen sein – aber nur, weil es keine ausreichenden gesetzlichen Regelungen gibt, nach denen sie verurteilt werden könnte. Die brauchen wir aber – allerdings nicht in Form von Verboten für Endverbraucherinnen, sondern von mehr Transparenz in der Herstellungskette. Welche Materialien kommen zum Einsatz, welche Chemikalien, um den Stoff überhaupt tragbar zu machen?

Bei meinem Thema Slow Fashion geht es darum, den Lebenszyklus von Textilien zu verlängern. Und es geht darum, überhaupt erst einmal von der textilen Kette mit einem Anfang und einem Ende zu einem textilen Kreislauf zu kommen. Wir wollen den Zyklus des Kaufens, Tragens und Wegwerfens durchbrechen und versuchen, Textilien, Fasern oder textile Produkte länger im Umlauf zu halten. Slow Fashion bedeutet auch, dass man auf Qualität setzt und drauf achtet, Ressourcen zu schonen, um Mensch, Tier und Umwelt nicht unnütz zu belasten.

An welchen Stellen muss man ansetzen, wenn sich dieser nachhaltige Weg durchsetzen soll?

Eine Transformation in Richtung mehr Nachhaltigkeit ist nur möglich, wenn alle Akteure in jedem Schritt der Wertschöpfung mitarbeiten. Dazu gehört auch die Konsumentin, die Nachhaltigkeit nicht nur gut findet, sondern auch danach handelt, und natürlich wir Designerinnen. Wir haben lange in einer Blase gelebt, wollten nur das Tortenstück. Wir haben gefragt, welches Kleid wir aus dem schönen Stoff machen können. Keiner hat geguckt, woher der Stoff kommt, welche Rohstoffe zur Herstellung benutzt wurden und mit welchen Chemikalien er ausgerüstet wurde.

Sich vorzunehmen, weniger Ressourcen zu verwenden und qualitativ hochwertig zu arbeiten, damit Kleidungsstücke lange halten, sollten Kernaufgaben von Designerinnen sein. Darum sollte eine Kollektion modulartig aufgebaut sein, so dass Kleidungsstücke in verschiedene Kleiderschränke passen. Vielleicht ist ein Teil unisex, so dass es auch mal mein Freund, mein Ehemann oder meine Ehefrau tragen kann. Das sind Strategien, die wir als Designerinnen kennen müssen, um den ganzen Mode-Kosmos ein bisschen zu bewegen. Auch bei der Nutzung und der Pflege müssen wir als Designerinnen helfen, besser mit der Kleidung umzugehen.

Und natürlich müssen wir auch das Lebensende des Kleidungsstücks oder seine Wiedereinführung beziehungsweise seine erneute Nutzung bedenken. Ich spreche viel mit Sortierern, die am Ende des Zyklus stehen. Und da sind riesige Berge, auf denen genutzte oder noch nicht genutzte Textilien landen. Wir Designerinnen können daran ganz viel ändern. Wir wissen, dass 80 Prozent der Nachhaltigkeit eines Produktes schon im Design-Prozess implementiert wird. Und das geht nicht, wenn ich Scheuklappen trage und nur mein kleines Teilstück ansehe.

Dilan Capan hat diesen Mantel an der Hochschule Hannover im Studiengang Modedesign entworfen.
Dilan Capan hat diesen Mantel an der Hochschule Hannover im Studiengang Modedesign entworfen. © Patrick Slesiona | Patrick Slesiona

Wie weit ist die Branche denn schon?

Das Bewusstsein bei den Konsumentinnen ist da, aber es gibt eine Verhaltens-Einstellungs-Schere. Wir wissen, dass es besser ist, nachhaltiger und sorgfältiger unsere Produkte auszuwählen, handeln aber nicht danach. Das gilt für Verbraucherinnen und Designerinnen gleichermaßen.

An der Hochschule Hannover arbeiten wir im Forschungscluster „Use less – Zentrum für nachhaltige Designstrategien“ auch an Massenmarkt-wirksamen Strategien. Wir befinden uns aber noch in einer Nische. Für uns ist alles interessant, was sich skalieren lässt. Wenn ich es schaffe, bei der Produktion eines klassischen T-Shirts den Verschnitt, also die Stoffreste, von 15 auf 5 Prozent zu reduzieren, lassen sich bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von fünf T-Shirts der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands
181 40-Fuß-Standard-Container
T-Shirt-Jersey sparen.

Professorin für Modedesign zum Thema Slowfashion

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    Das müsste für Hersteller doch wirtschaftlich interessant sein. Warum wird das nicht umgesetzt?

    Weil die Produktentwicklung eines solchen Zero-Waste-Schnitts zu aufwendig ist. Fast-Fashion-Firmen werden sich die Mühe nicht machen, solange der T-Shirt-Jersey, der zum Beispiel in Bangladesch hergestellt wird, so billig ist. Dadurch, dass die Arbeiterinnen dort so niedrige Löhne bekommen, wird das Material wertlos. Und auch unsere Arbeit als Designerinnen ist dadurch wertlos geworden. An diesem Prozess sind alle beteiligt. Auch die Kundin, die mit der Yogamatte unterm Arm einen alternativen Lebensstil lebt, auf Nachhaltigkeit pocht, dann aber sagt: Ach, das T-Shirt ist günstig und soll auch noch aus Ökobaumwolle sein, da kaufe ich doch gleich mal fünf. Wenn es nicht mehr gefällt oder kaputt ist, wird es einfach weggeworfen.

    Dass die Ressourcen endlich sind, ist noch nicht ins Bewusstsein vorgedrungen?

    Ja, und dass immer gleich alles entsorgt wird, führt zu einem anderen Problem: Es gibt bisher noch gar keine Erkenntnisse darüber, was an den Kleidungsstücken tatsächlich kaputt geht, wo sie nicht gut genug sind. Im Projekt Poli-Corporate versuchen wir in Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen Innenministerium und der Polizei herauszufinden, woran es liegt, wenn Kleidung entsorgt wird. Die Polizei kauft kollektiv ein. Mit dieser geschlossenen Gruppe können wir gut arbeiten. Ist das Kleidungsstück aussortiert worden, weil es zu eng ist oder an den Ärmeln durchgewetzt, ist die Naht unterm Arm gerissen, ist es in der Wäsche ausgeblichen? Erst wenn wir das wissen, können wir gezielt verändern und verbessern. Das ist bisher nicht gemacht worden.

    Wir haben auch mit Upcycling gearbeitet. Als die Polizei ihre grünen Uniformen ausgetauscht hat, haben wir Motorrad-Kombis genommen und daraus Accessoires, Rucksäcke, Reisetaschen entwickelt. Kriterium dabei war, dass Studentinnen Produkte entwickeln, die massenproduzierbar sind und bei denen nur eine Handvoll Reste übrig bleibt.

    Und wir haben gesehen: Es ist möglich. Aber die Tasche sieht unter Umständen nicht so aus wie in meiner ersten Skizze. Denn nicht mein Kopf bestimmt das Design, sondern die vorhandenen Ressourcen tun es. Und dieses Umdenken muss überall stattfinden: Wir müssen von der Ressource her denken.

    Was kann ich als Verbraucher denn noch guten Gewissens kaufen?

    Die Frage ist nicht so sehr, was darf ich noch kaufen, sondern: Muss ich überhaupt noch etwas kaufen? Reicht nicht das, was ich schon habe? Slow Fashion fragt ständig auch nach unserem Konsumverhalten. Wenn die Kleiderschränke in Deutschland voll sind mit ungetragenen Sachen, fehlt uns die Kreativität und die Fantasie, diese Teile richtig einzusetzen.

    Man sollte sich auch mit lokalen Designerinnen zusammentun und sich beraten lassen. Fordern Sie sie heraus, auch einen Service zu leisten. Das sind keine Superstars. Gerade Braunschweig mit dem Nähwerk ist eine hervorragende Adresse. Julia Eschment, eine ehemalige Studentin von mir, macht dort neben ihrer eigenen Kollektion nicht nur Anfertigungen und Reparaturen, sondern bietet auch Upcycling von Denim an. Das sollten die Nutzerinnen auch unterstützen. Nähwerk arbeitet so nachhaltig wie möglich.

    Ist Regionalität ein Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit?

    Ich finde schon. Ein anderer sind faire Löhne in asiatischen, afrikanischen und auch europäischen Ländern. Trotzdem bleibt dann das Logistikproblem, das weiter zunehmen wird. Da geht es ja nicht nur um die Beschaffung, sondern auch um die ganze Entsorgung. Altkleider werden containerweise ins Ausland verschifft.

    Und was passiert damit?

    Sie werden verbrannt. Und das ist etwas, das ich nicht akzeptieren kann, wenn ich nach Slow-Fashion-Kriterien arbeite. Es wäre gut, wenn die Entsorgungskosten auf den Preis aufgeschlagen werden würden. Das hieße in der Konsequenz, dass Konsumentinnen viel mehr Geld zahlen müssten, auch für Fast Fashion.

    Wann haben Sie sich selbst zuletzt ein Kleidungsstück gekauft?

    Vor rund einer Woche habe ich mir eine Jeans-Rüsche gekauft, die wie eine Weste getragen wird. Es ist eine studentische Arbeit, die in einem Projekt zu nachhaltiger Jeans entwickelt wurde, in dem wir uns auch mit der Frankenberger Tracht befasst haben. Wir haben überlegt, warum diese Trachten so langlebig waren. Die Menschen haben die Lebensdauer ihrer Kleidungsstücke dadurch erhöht, dass es Alltags- und Sonntagstrachten sowie teilweise auch Adapter gab. Das kann eine schöne Schürze sein, die man über einem alltäglichen Kleidungsstück trägt. Die Studentin hat das übertragen und ebenfalls einen Adapter geschaffen. Der Gedanke dahinter ist, dass man nicht unzählige Kleidungsstücke braucht. Adapter können Kleidungsstücke verändern, sie je nach Bedarf modischer oder funktionaler machen.

    Und wann waren Sie das letzte Mal in einem ganz normalen Bekleidungsgeschäft?

    Wenn man meinen normalen Kleiderkauf der letzten Jahre untersucht, läuft das wohl eher gegen ein Prozent. Ich weiß aber, dass ich aus einer privilegierten Position heraus spreche. Ich komme auf andere Wege an Kleidung heran. Ab und zu kaufe ich Socken oder Unterhosen. Den Rest bekomme ich durch Zufall, über Second Hand, von den studentischen Arbeiten und von Vivienne Westwood. Da habe ich Beziehungen und komme an Reststücke.

    Sie haben viele Jahre mit Vivienne Westwood zusammengearbeitet. Was hat Sie an die Hochschule gezogen?

    Ich habe mich schon bei Vivienne Westwood mit Slow Fashion beschäftigt. Und sie hat auch schon sehr lange so gearbeitet. Ich komme aus der traditionellen Couture, ich bin nie in der Fast Fashion gewesen. Das erste Zero-Waste-Kleidungsstück, das ich kennengelernt habe, war 1990 Vivienne Westwoods Squiggel-Top, das ich immer noch trage. Das ist ein Klassiker.

    Zur Lehre bin ich durch Zufall gekommen. Ich habe am Royal College in London einen Kurs gegeben. Das hat mir riesigen Spaß gemacht. Und da habe ich gemerkt: Ich kann etwas, das die anderen wissen wollen.

    Sie plädieren auch in der Mode für mehr Humor. Was hat das mit Slow Fashion zu tun?

    Ganz viel. Wenn man sich selber nicht so ernst nimmt, schafft man es, sich von dogmatischen Trends zu distanzieren. Man kann auch mal etwas anziehen, das ein bisschen panne ist und mit anderen Leuten dann darüber lachen. Wir haben hier einen Bad Taste Day eingeführt. Jeder zieht dann das an, was an der Person ganz schrecklich aussieht.

    Humor ist etwas ganz Nachhaltiges, wenn man über sich selbst lachen und sagen kann: Ich hab nun mal nicht solche blonden Haare und auf Stilettos kann ich auch nicht laufen. Jeder hat die Chance, einen eigenen Look zu kreieren. Es gibt sehr viele Menschen, die etwas nacheifern und darüber vergessen, was sie haben. Ein bisschen echter und selbstironischer zu sein, ist sehr nachhaltig.