Braunschweig. In Braunschweig diskutieren Experten über den Platz der Alternativ-Heilmethode im deutschen Gesundheitssystem.

Erfolge der Homöopathie werden ja häufig belächelt oder auf den Placebo-Effekt zurückgeführt. Wenn der Placebo-Effekt zur Heilung führt, ist mir das auch recht. Ich frage mich nur, wenn man damit Patienten heilen kann, warum schaffen das dann „normale Ärzte“ nicht?

Dies fragt Sigrid Laupichler aus Schwülper.

Über die Diskussion im Haus der Wissenschaft berichtet Andreas Eberhard.

Auf der einen Seite stehen an diesem Abend die zahlreichen, teils persönlichen Berichte über Heilerfolge durch die Homöopathie – von Patienten, Ärzten und Apothekern. Auf der anderen Seite: die wissenschaftlichen Studien zur Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel. Und deren Autoren sind sich einig: Eine Wirksamkeit der homöopathischen Präparate über den Placebo-Effekt hinaus ist nicht nachweisbar. Welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, darüber diskutierten am Dienstagabend drei Fachleute im Haus der Wissenschaft in Braunschweig. Titel der Veranstaltung: „Wirkung ohne Wirkstoff? Homöopathie unter der Lupe“.

Die Herstellung homöopathischer Mittel

„Solange keine Grenzen überschritten werden, müssen wir den Wunsch der Patienten nicht kritisch hinterfragen“, sagte William Ngaoudjio, Fachapotheker für klinische Pharmazie im Städtischen Klinikum Braunschweig.
„Solange keine Grenzen überschritten werden, müssen wir den Wunsch der Patienten nicht kritisch hinterfragen“, sagte William Ngaoudjio, Fachapotheker für klinische Pharmazie im Städtischen Klinikum Braunschweig. © Peter Sierigk

Was homöopathische Mittel sind und wie sie hergestellt werden, erklärte der Apotheker William Ngaoudjio vom Städtischen Klinikum Braunschweig. Zunächst werde ein Grundstoff ausgewählt – nach dem Grundsatz „Ähnliches mit Ähnlichem heilen“. Das, so Ngaoudjio, heiße: „Man greift zu einem Mittel, das ähnliche Symptome hervorruft wie die Krankheit, die geheilt werden soll.“ Diese „Ursubstanz“ könne pflanzlich, tierisch oder mineralisch sein. Auch sogenannte „Nosoden“ kämen zum Einsatz, Absonderungen der Körper von Kranken, etwa sogenanntes Sputum, abgehusteter Schleim.

„Potenzierung“ durch „Trägermedium“

Anschließend werde der Ausgangsstoff in mehreren Schritten, etwa mit Wasser, verdünnt – mitunter so weit, dass er nicht mehr nachweisbar sei – und nach festen Regeln geschüttelt. Durch dieses Verfahren übertrage sich die Wirkung als „Signal“ auf das „Trägermedium“ Wasser. Auch in den Globuli, homöopathischen Streukügelchen, meist aus Zucker, sei dieses Signal wirksam. „Eingenommen teilen sie dem Körper mit, was er eigentlich sowieso tun müsste“, so Ngaoudjio.

Windeler: Das sind magische Handlungen

Diese von den Anhängern der Homöopathie „Potenzierung“ genannte Herstellungsmethode nannte der Arzt und Epidemiologe Prof. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Köln, eine „magische Handlung“. „Diese erkennt man etwa daran, dass das Gefäß bei diesen Verschüttelungen gegen ein ledernes Buch gestoßen werden muss.“ Hierin unterscheide sich die Homöopathie grundlegend von wissenschaftlich untermauerten Heilverfahren wie der Pflanzen- oder Naturheilkunde.

Zulassungsverfahren ohne aufwendige Prüfung

Unterschiede gibt es auch beim Zulassungsverfahren. Windeler erklärte: Würden sonst aufwendige, langwierige, oft teure, vergleichende Studien verlangt, würden die meisten Homöopathika ohne jede

„Das Verschütteln ist eine magische Handlung. Das unterscheidet die Homöopathie etwa von der Naturheilkunde“, sagte Prof. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.
„Das Verschütteln ist eine magische Handlung. Das unterscheidet die Homöopathie etwa von der Naturheilkunde“, sagte Prof. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. © Peter Sierigk

Prüfung registriert. Tatsächlich prüft eine Bundesbehörde lediglich, ob die Arzneimittel nach den Vorgaben des Homöopathischen Arzneibuchs hergestellt wurden und der Hersteller ihre Unbedenklichkeit nachweisen kann. Sie als Arzneimittel zu bezeichnen und ihnen einen ähnlichen Status einzuräumen, so Windeler, sei deshalb schlicht ein „Etikettenschwindel“. Dass von den Mitteln selbst eine Gefahr ausgeht, glaubt er nicht: „Die Hersteller werden schon so stark verdünnen, dass da nichts schief geht“, antwortete er auf eine Frage der Moderatorin Korinna Hennig und erntete vereinzeltes Schmunzeln. Deshalb sei das eigentliche Problem auch nicht, dass es diese Mittel gebe, sondern, dass sie, „statt im Süßigkeitenregal, in der Apotheke verkauft werden“.

Hübner: Auf die Arzt-Patient-Beziehung kommt es an

Die Krebsmedizinerin Prof. Jutta Hübner vom Universitätsklinikum Jena ist eine scharfe Kritikerin der Homöopathie. Allerdings bestritt auch sie in Braunschweig nicht, dass es vielen Patienten nach einer homöopathischen Therapie besser geht. Das liege aber nicht an der spezifischen Gesprächsführung der Homöopathen oder an den verordneten Globuli, sondern daran, dass sich homöopathische Ärzte oft deutlich mehr Zeit für ihre Patienten nähmen. Windeler stimmte ihr zu: Das Problem sei, dass Anamnese-Gespräche zwischen Allgemeinmedizinern und Patienten, anders als beim Homöopathen, völlig untervergütet seien. „Es wird zu wenig reflektiert, wie wirksam die Beziehung Arzt–Patient ist“, ergänzte Hübner. Echte Zuwendung und persönliches Kümmern komme im medizinischen Alltag in der Regel zu kurz. „Meine Hochachtung gilt den Hausärzten, die sich die Zeit nehmen.“

„Globuli völlig wirkungslos“

Kritik übte sie, die Mitglied des homöopathiekritischen „Münsteraner Kreises“ ist, an der aus ihrer Sicht mangelnden Bereitschaft der Homöopathen, ihre Methoden unabhängig überprüfen zu lassen. „Bei ihren

„Es wird zu wenig reflektiert, wie wirksam die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist“, beklagte Prof. Jutta Hübner, Onkologin am Universitätsklinikum Jena.
„Es wird zu wenig reflektiert, wie wirksam die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist“, beklagte Prof. Jutta Hübner, Onkologin am Universitätsklinikum Jena. © Peter Sierigk | Peter Sierigk

Erfolgen verweisen sie immer auf den großen Gesamtzusammenhang. Dabei gerät aber außen vor, dass die Komponente Globuli völlig wirkungslos ist.“

Auch Jürgen Windeler gestand zu, bei der homöopathischen Behandlungsmethode gebe es durchaus „gute Aspekte“. Nur sei es ein Fehler, „deren Licht unter den Scheffel der homöopathischen Mittel zu stellen“. Eine Studie mit Rheumapatienten habe gezeigt: „Den Patienten, die beim Arzt eine homöopathische Gesprächsführung durchliefen, ging es zwar nachher besser als denen, die nur abgefertigt wurden. Aber dabei war völlig egal, ob sie mit Globuli oder Placebos behandelt wurden.“

Kassenleistung und Apothekenpflicht

Mit einem Seitenblick aufs Ausland – Frankreich strich jüngst die Kassenerstattung für homöopathische Mittel, die Schweiz behält sie nach einem Volksentscheid bei – erkundigte sich Moderatorin Hennig danach, welchen Platz die Homöopathie künftig im deutschen Gesundheitssystem einnehmen solle.

Apotheker Ngaoudjio, der von der Wirksamkeit der Homöopathie bei kleineren Leiden, wie leichten depressiven Verstimmungen, überzeugt ist, sagte: „Solange diese Mittel im Arzneimittelgesetz verankert sind, sollten wir sie mit Respekt behandeln. Auch sie haben ihre Berechtigung.“ Als Apotheker sei er verpflichtet, die mündigen Kunden ihren Wünschen entsprechend zu bedienen. „Solange keine Grenzen überschritten sind, etwa bei einem Knochenbruch, müssen wir das nicht immer kritisch hinterfragen.“

„Aufklärung tut Not“

Jutta Hübner dagegen bezweifelte, dass den Patienten überhaupt klar sei, was sie da kaufen. Dass die Kasse die Mittel bezahle, werde oft als Beleg für deren Wirksamkeit verstanden. Windeler forderte von

NDR-Info-Moderatorin Korinna Hennig (2. von links) diskutierte mit: (von links) Prof. Dr. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Köln, Prof. Dr. Jutta Hübner, Stiftungsprofessur Integrative Onkologie, Universitätsklinikum Jena William Ngaoudjio, Fachapotheker für Klinische Pharmazie, Apotheke des Städtischen Klinikums Braunschweig.
NDR-Info-Moderatorin Korinna Hennig (2. von links) diskutierte mit: (von links) Prof. Dr. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Köln, Prof. Dr. Jutta Hübner, Stiftungsprofessur Integrative Onkologie, Universitätsklinikum Jena William Ngaoudjio, Fachapotheker für Klinische Pharmazie, Apotheke des Städtischen Klinikums Braunschweig. © Peter Sierigk | Peter Sierigk

Apothekern und Ärzten: „Die Patienten müssen besser aufgeklärt werden. Ich bin nicht überzeugt, dass das gelebt wird.“ Hübner plädierte dafür, neben der Apothekenpflicht auch die Kassenzulassung zu streichen. „Dann können die Leute mit den Füßen abstimmen.“ So wie sie zeigte sich auch Windeler überzeugt, dass die meisten Krankenkassen, die derzeit für homöopathische Mittel aufkommen, dankbar wären, „wenn sie aus der Nummer endlich rauskommen“. Es müsse Schluss damit sein, dass im Gesundheitssystem mit zweierlei Maß gemessen werde.

Liefert die Quantenphysik die Erklärung?

Viele Zuhörer betonten in der anschließenden Publikumsdiskussion ihre guten Erfahrungen mit der Heilmethode. „Vielleicht wissen wir ja noch viel zu wenig, um die Wirkung der Homöopathie zu erklären. Früher dachten auch alle, die Erde wäre eine Scheibe“, sagte eine Zuhörerin, gefolgt von vehementem Applaus eines Teils des Auditoriums. Ngaoudjio pflichtete ihr bei: „Vielleicht kann die Quantenphysik es ja eines Tages ergründen.“ Windeler indes antwortete mit einer Gegenfrage: „Warum setzen Sie sich denn nicht ernsthaft mit den Leuten auseinander, die auch heute noch glauben, die Erde sei platt? Weil sie es nicht ist!“