Braunschweig. Antisemitismusbeauftragter Klein warnt vor grundsätzlichem Stopp. In Niedersachsen tobt ein Streit um Ausnahmegenehmigungen.

Ist Koscher-Schlachtung in Deutschland erlaubt und wenn ja, was ist der Unterschied zur Schächtung?

Das fragte unsere Leserin Simona Faulhaber.

Die Antwort recherchierte David Krebs.

Beim Schächten werden Tieren ohne vorherige Betäubung mit einem scharfen Messer zeitgleich Luftröhre, Speiseröhre und die Hauptarterien am Hals durchtrennt. „Diese Schlachtmethode wird sowohl im Islam, als auch im Judentum durchgeführt“, sagt Matthias Moje, Tierarzt bei der Bundesanstalt für Fleischforschung und beantwortet damit bereits einen Teil der Frage unserer Leserin.

Das betäubungslose Schlachten von warmblütigen Tieren ist in Deutschland grundsätzlich verboten. Das ist im Tierschutzgesetz geregelt. Zuständige Behörden in den Bundesländern können allerdings Ausnahmegenehmigungen für das Schächten erteilen. Sie werden nur unter der Voraussetzung bewilligt, dass Angehörige einer Religion zwingenden Vorschriften unterliegen, die das Essen geschächteter Tiere betrifft.

Tiere sollen möglichst rückstandslos ausbluten

„Durch solche Ausnahmegenehmigungen soll den religiösen Überzeugungen vor allem der islamischen und der jüdischen Glaubenswelt Rechnung getragen werden“, sagt Susanne Damm vom Bundesministerium für Ernährung.

Die Tiere sollen beim Schächten möglichst rückstandslos ausbluten. Der Verzehr von Blut ist in beiden Religionen verboten, das Schächten verläuft prinzipiell gleich. „Im jüdischen Glauben sind die Anforderung an den Schlachter deutlich höher als im islamischen“, sagt Tierarzt Moje im Gespräch mit unserer Zeitung. Hintergrund ist offenbar, den Tieren möglichst viel Leid zu ersparen.

Auch im Islam sei der respektvolle Umgang mit Tieren ein wichtiger Bestandteil der religiösen Ethik, sagt der Braunschweiger Sadiqu Al Mousllie vom Zentralrat der Muslime. „Die ‚Nicht-Zur-Schau-Stellung‘ eines geeigneten scharfen und ausreichend großen Messers ist eines der einfachsten, aber auch wichtigsten islamischen Gebote, um den Stress für ein Tier auf ein Minimum zu reduzieren.“

Elektroschockbetäubung erspart den Tieren Schmerzen

Im Islam gebe es Diskussionen darüber, ob eine Schächtung mit vorheriger Betäubung auch erlaubt ist, gibt wiederum Matthias Moje zu bedenken. Dies begrüße der Tierarzt. Elektroschockbetäubung erspare den Tieren Schmerzen und helfe beim Schlachten: „Nach dem Elektroschock bluten die Tiere besser aus.“ Auf die Frage, ob die Tiere beim Schächten Schmerzen verspüren, antwortet der Tierarzt: „Wenn mit einem langen, scharfen Messer geschächtet wird, haben die Tiere wahrscheinlich erstmal keinen Schmerz.“ Wenn die Tiere zu früh bewegt werden und Wundränder aneinander reiben, allerdings schon.

In Braunschweig hat die Abteilung Veterinärwesen und Verbraucherschutz laut Sprecherin Julina Meinecke in den vergangenen Jahren keine Ausnahmegenehmigungen zum betäubungslosen Schlachten erteilt.

In Niedersachsen ist die Zahl der Ausnahmegenehmigungen allgemein gering. „Anlässlich des islamischen Opferfestes Kurban Bayrami wurde in den letzten Jahren und in diesem Jahr von einer kommunalen Veterinärbehörde in Niedersachsen jeweils eine Ausnahmegenehmigung für das betäubungslose Schlachten erteilt“, sagt Leonie Steger vom Landwirtschaftsministerium.

Niedersachsens CDU fordert vollständiges Schächtverbot im Land

Die Ausnahmegenehmigung sei auf den 11. und 12. August beschränkt gewesen und habe das Schlachten von maximal 400 Schafen beziehungsweise vier Tonnen Lebendgewicht pro Tag erlaubt.

In diesem Zusammenhang klagt die niedersächsische AfD-Fraktion zurzeit gegen die Landesregierung wegen Verdachts auf Verletzung der Auskunftspflicht. In einer kleinen Anfrage wollte die Fraktion erfahren, welche Betriebe eine Ausnahmegenehmigung erhalten haben. Die Landesregierung hatte mit Hinweis auf den Datenschutz nicht geantwortet.

Niedersachsens CDU hatte bereits vor Wochen ein vollständiges Schächtverbot im Land gefordertund erntete von mehreren Seiten heftige Kritik. In einem Brief des Zentralrats der Muslime heißt es dazu: „In Zeiten wie diesen, die leider von zunehmender verbaler und tätlicher Gewalt auf Muslime und Juden gekennzeichnet sind, hätten wir uns von Ihnen mehr Signale des Zusammenhalts, des Respektes und der Akzeptanz gewünscht.“ Al Mousllie schreibt weiter, dass der Vorgang des betäubungslosen Schlachtens für den unerfahren Betrachter zwar unmenschlich erscheine, „allerdings zeigen Untersuchungen, dass er eine der humansten und stress-ärmsten Methoden beim Opfern beziehungsweise der Schlachtung eines Tieres ist.“

Schächtverbot diente zu Propagandazwecken

Tierarzt Moje zeigt sich zwiegespalten, was ein Verbot angeht: „Aus Sicht der Tiere müsste man auf betäubungsloses Schlachten verzichten. Als Deutscher mit unserer Geschichte und der Kenntnis über das Verbot in der Nazizeit, muss man sagen, dass man sich aus dieser Frage raushalten sollte.“ In der Zeit des Nationalsozialismus war das Schächten vollständig verboten. Die NSDAP nutzte den Deckmantel des Tierschutzes, um antisemitische Propaganda zu verbreiten.

Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, äußert sich ähnlich: „Ein Verbot wäre ein Angriff auf die jüdische und die islamische Religion und konterkarierte die Bemühungen um den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland.“ Wer sich für das Tierwohl einsetzen wolle, finde außerdem in der artgerechten Haltung oder dem Tiertransport Aspekte, die wichtiger seien als religiöse Riten, die ohnehin bereits eine Ausnahmeregelung darstellen.