Braunschweig. Die Opposition in Niedersachsen will das LKA neu aufstellen. Das BKA will neue Stellen schaffen, es rückt militante Rechte in den Fokus.

Der Staat hat vollkommen versagt – wie immer auf dem rechten Auge blind.

Das bemerkt ein Leser, der sich Robert nennt, auf unseren Internetseiten.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle.

Rechtsextreme Netzwerke früher erkennen, ein besserer Austausch zwischen den Behörden, ein neues System zur Risikobewertung: Die Sicherheitsbehörden in Deutschland sollen besser aufgestellt und ausgestattet werden, um den Kampf gegen Rechtsextreme zu verstärken. Das fordert die Opposition in Niedersachsen, im Bund sind die Pläne schon weit konkreter.

440 zusätzliche Stellen soll alleine das Bundeskriminalamt (BKA) erhalten, um intensiver gegen rechtsterroristische Gruppierungen und Einzeltäter vorgehen zu können.Außerdem soll es in der Behörde in Wiesbaden künftig eine „Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität“ geben, wie WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ berichten. Die Medien beziehen sich auf ein Papier des BKA.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte bereits Ende Juni angekündigt, den Kampf gegen Rechtsextremismus verstärken zu wollen . Das Bundesinnenministerium teilte nun mit, ihm liege ein erster Entwurf des BKA vor, der Vorschläge enthalte, wie man Rechtsextremismus künftig besser bekämpfen könne. Details zu den Plänen wollte das Ministerium nicht nennen.

Wie im Bund sehen Experten auch in Niedersachsen Handlungsbedarf. Geht es nach der Opposition in Landtag, sollen das Landeskriminalamt (LKA) und der Landesverfassungsschutz neu ausgerichtet werden. FDP-Fraktionschef Stefan Birkner forderte wie beim Bund eine „Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität“. Analog zum BKA könne diese in Niedersachsen an das LKA angedockt werden, sagte Birkner unserer Zeitung.

Tatsächlich sind im ersten Halbjahr 2019 in Niedersachsen bereits fast genauso viele Ermittlungsverfahren wegen Hasskommentaren wie im gesamten Jahr 2018 eingeleitet worden.In den ersten sechs Monaten 2019 wurden 107 Verfahren registriert, weil Menschen im Internet oder in direkten Zuschriften etwa an Politiker ihren Hass ausgedrückt haben, wie aus der Antwort des niedersächsischen Innenministeriums auf eine Anfrage der FDP-Landtagsfraktion hervorgeht. 2018 seien im gesamten Jahr 129 solcher Fälle bekannt geworden. Ein Großteil dieser Hasskommentare ging auf das Konto von Rechtsextremisten.

„Wir brauchen einen stärkeren Fokus auf den Rechtsextremismus“, sagte Birkner. Bei den Hasskommentaren im Internet sei viel zu lange weggeschaut worden. „Das ist aber kein rechtsfreier Raum“, sagte Birkner. Um die Fälle zu ahnden, müssten auch die Justiz, müssten die Staatsanwaltschaften und Gerichte in Niedersachsen, personell besser ausgestattet werden. Eine Zahl nannte Birkner auf Nachfrage nicht.

Die Grafik zeigt Rechtsextreme in Deutschland. 
Die Grafik zeigt Rechtsextreme in Deutschland.  © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Ob das LKA, abgesehen von einer Zentralstelle gegen Hasskriminalität, weitere Mitarbeiter benötige, konnte Birkner nicht sagen. Eventuell reiche es aus, das bestehende Personal neu auszurichten. „Beim Rechtsextremismus sehen wir eine Radikalisierung, beim Linksextremismus ist es gleichbleibend. Die Bedrohungslage beim radikalen Islamismus nimmt tendenziell aber eher ab“, sagte Birkner.

Auch der Landesverfassungsschutz braucht nach Meinung des FDP-Politikers mehr Personal, um rechtsextreme Strukturen in Niedersachsen besser analysieren und bewerten zu können. 100 neue Stellen hat die Landesregierung dem Verfassungsschutz insgesamt zugesagt. „50 neue Mitarbeiter sind schon da oder sollen noch kommen. Die anderen 50 Stellen müssen auch noch bewilligt werden“, sagte Birkner.

Ähnlich wie die FDP, aber weniger konkret, sehen es auch die Grünen. Helge Limburg, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, begrüßt den Kampf gegen Rechtsextremisten im Bund. Das sei absolut begründet, wie zuletzt der Mord an Walter Lübcke (CDU) gezeigt habe. Der Kasseler Regierungspräsident war Anfang Juni mit einem Kopfschuss getötet worden – vermutlich von einem Rechtsextremen.

Limburg erkennt eine neue Bedrohung durch Rechtsterroristen, wie er auf Anfrage sagte. Eine pauschale personelle Aufwertung des LKA forderte er nicht. Zuerst müsse man genau hinschauen: „Werden die Mitarbeiter beim LKA richtig eingesetzt? Sind die Prioritäten richtig gesetzt worden?“

Gleiches gelte für den Landesverfassungsschutz. „Ich war mit der Arbeit der Behörde mal mehr, mal weniger zufrieden“, sagte Limburg. Er forderte: „Rechtsextreme Gefährder müssen genauso beobachtet und bekämpft werden wie islamistische Gefährder. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall.“

Der Sprecher des Landesinnenministeriums, Philipp Wedelich, sagte unserer Zeitung: „Wir haben das Thema Rechtsextremismus total im Fokus – und nicht erst seit gestern.“ Wie sich die Debatte um die personelle Stärkung der Bundesbehörden auf das LKA und den Verfassungsschutz in Niedersachsen auswirke, lasse sich aber noch nicht sagen.

Der Sprecher des Verfassungsschutzes in Niedersachsen, Frank Rasche, widersprach hingegen der Darstellung der Opposition im Landtag. Demnach sei die Anzahl der Rechtsextremisten seit einigen Jahren in Niedersachsen rückläufig. Er nannte allerdings auch eine besorgniserregende niedersächsische Besonderheit: „Nach unserer Einschätzung würden wir aber die überwiegende Mehrheit der Rechtsextremisten in Niedersachsen als gewaltorientiert einschätzen.“ Bundesweit ist etwa jeder zweite Rechtsextremist gewaltbereit, in Niedersachsen ist zwar die Gesamtzahl der Neonazis vergleichsweise niedrig, der Anteil der Gewaltbereiten ist aber sehr hoch (siehe Grafik).

Der Sprecher vom „Bündnis gegen Rechts“ in Braunschweig, David Janzen, würde es nicht nur begrüßen, dass die Sicherheitsbehörden personell aufgerüstet werden. „Man sollte auch den Opferschutz stärken“, sagte er. In Wolfsburg gebe es eine Stelle für mobile Beratung. „Die ist für ein Drittel Niedersachsens zuständig“, so Janzen. Mehr politische Bildung sei dringend erforderlich.