Wolfsburg. Das Bundesverwaltungsgericht sorgt mit seinem Urteil für einen Aufschub, gekippt hat es die Bau-Pläne nicht.

Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Diese alte römische Weisheit hat sich wieder bestätigt. Denn mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Weiterbau der A39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg war so sicher nicht zu rechnen.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Bier vom Gericht in Leipzig ließ keinen Zweifel: Die grundsätzliche Planung der niedersächsischen Straßenbaubehörde passt. Es gibt aber Mängel, die nach Auffassung des Gerichts trotz jahrelanger Planung und wiederholter Aktualisierung so schwerwiegend sind, dass nachgebessert werden muss – und vor allem: Der umstrittene Weiterbau darf auf der 105 Kilometer langen Trasse erst mal nicht erfolgen.

Das löste am Donnerstag je nach Perspektive Enttäuschung oder Freude aus. Euphorisch waren aber auch die Gegner nicht. Sie haben „nur“ einen Teilerfolg erzielt und Zeit gewonnen.

Wie viel Zeit, das ist für die Verantwortlichen im Landesverkehrsministerium und bei den Straßenplanern noch nicht ersichtlich. Es ist allerdings so gut wie ausgeschlossen, dass der angestrebte Baubeginn noch in diesem Jahr erfolgt.

Landesverkehrsminister Bernd Althusmann versuchte erst gar nicht, an der Entscheidung herumzudeuteln. Er sprach davon, dass Verzögerungen nun „leider unvermeidbar“ seien. Gleichzeitig zeigte er sich entschlossen. Was blieb ihm als zuständigen Minister auch übrig. Der CDU-Politiker sagte: „Wir werden weiterhin alles daran setzen, dass die festgestellten Mängel in einem ergänzenden Planfeststellungsverfahren schnell behoben werden können und danach zügig mit dem infrastrukturell wichtigen Weiterbau der A39 begonnen werden kann.“

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Lüneburg-Wolfsburg reagierte ebenfalls enttäuscht über die Entscheidung: „Sie ist ein Rückschlag und bedeutet weiteren Zeitverlust. Die Zukunftsachse für unsere Region wird also später kommen – aber sie wird kommen“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Zeinert. „Die Region braucht diese Autobahn, um Investitionen anzulocken und neue Arbeitsplätze zu schaffen.“

Ähnlich äußerte sich Gifhorns Landrat Andreas Ebel. Er ist wie seine Parteifreunde aus der CDU, aber auch der SPD und der hiesigen Wirtschaft, für den Ausbau. Ihn überraschte die Entscheidung im Urlaub. Er sagte: „Das sind keine gravierenden Dinge, die das Gericht bemängelt. Ich hoffe sehr, dass die weiteren Klagen abgewiesen werden.“

Nach Auffassung des Gerichts übersteigt eine Ortsumgehung für Ehra-Lessien im Landkreis Gifhorn die Kompetenz der niedersächsischen Straßenbaubehörde. Die Planer hatten im Zuge einer Autobahn-Anschlussstelle bereits eine vollständige Umgehungsstraße vorgesehen.

Auch beim Wasserrecht müssen die Straßenplaner nachbessern: Bereits in den Entwürfen soll gezeigt werden, dass das verschmutzte Regenwasser von der Straße nicht ins Grundwasser gelangt. So sollen Filteranlagen in die Regenrückhaltebecken eingebaut werden.

Es ging beim aktuellen Rechtsstreit bisher nur um das 14,2 Kilometer lange Teilstück zwischen Wolfsburg und Ehra-Lessien. Und verkündet hat das Gericht erst einen Teil dieser Klagen. Es drehte sich um die Klagen der Umweltschutzorganisation BUND sowie der Gemeinde Jembke aus dem Kreis Gifhorn.

Der BUND hält das Vorhaben für fehlerhaft und bemängelt unter anderem Verstöße gegen das Wasser- und Naturschutzrecht. Außerdem hält er die A39 für klimapolitisch falsch. Das Gericht stimmte dem BUND in Teilen zu, die Bedenken hinsichtlich Umwelt- und Artenschutz wies es jedoch ab. Die Klage der Gemeinde Jembke wies das Bundesverwaltungsgericht hingegen komplett ab. Die Vorgaben für die große geplante Rastanlage seien bei den Plänen eingehalten worden.

BUND-Landeschef Heiner Baumgarten sagte: „Wichtig ist für uns als Umweltorganisation auch die Wirkung über die Gerichts-Entscheidung hinaus. Der geplante Bau der Autobahn zwischen Wolfsburg und Lüneburg mit seinen erheblichen Auswirkungen auf Natur und Umwelt zeigt auch, wie wenig ernsthaft die Bundesregierung die selbst gesteckten Ziele bei Klimaschutz und Schutz der Artenvielfalt verfolgt.“

Jembkes Bürgermeisterin Susanne Ziegenbein (CDU) setzt ihre Hoffnungen in die noch ausstehenden Klagen von sechs Landwirten und der Nachbargemeinde Tappenbeck. „Es tut uns leid für unsere Bürger. Wir haben es versucht“, sagte sie.

Die Gemeinde Tappenbeck soll sich möglichst außergerichtlich mit der Straßenbaubehörde einigen. Es geht im Kern um den Sportplatz samt Vereinsheim. Die Anlage würde der A39 zum Opfer fallen. Die Behörde will knapp zwei Millionen Euro für Ersatz zahlen, dieser kostet aber bis zu fünf Millionen Euro. Bürgermeister Ronald Mittelstädt erklärte, er wisse nicht so recht, was er von der Entscheidung des Gerichts halten solle. „Wir hängen seit zehn Jahren in der Luft.“

Ein Teil der Klagen der Landwirte soll Ende Oktober verhandelt werden, das Gericht stellt dem anderen Teil der Landwirte die Entscheidungen ab dem 1. September zu. Gibt es keine Einigung zwischen der Gemeinde Tappenbeck und den Straßenplanern, muss das Gericht auch hier eine Entscheidung fällen.

Der Weiterbau der Autobahn 39

105 Kilometer lang ist der sogenannte Lückenschluss zwischen Wolfsburg und Lüneburg. Er soll etwa 1,3 Milliarden Euro kosten. Die Trasse soll den derzeit noch größten autobahnfreien Landstrich in Deutschland durchschneiden.

Noch 2019 sollte eigentlich mit dem Bau des ersten Abschnitts zwischen Wolfsburg und Ehra-Lessien begonnen werden. Daraus wird nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sehr wahrscheinlich nichts. Der Abschnitt bei Lüneburg soll als nächstes folgen. Er befindet sich wie Abschnitt zwei und Abschnitt sechs im Planfeststellungsverfahren. Die Abschnitte drei, vier und fünf sind lediglich in der Planung.

Im August 2016 wurde der Weiterbau der A39 in die höchste Kategorie des Bundesverkehrswegeplans aufgenommen. Im günstigsten Fall sollte die A39 ab 2026 durchgängig befahrbar sein. Auch daraus wird wohl nichts.

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