Braunschweig. TU-Präsidentin Kaysser-Pyzalla sieht ihre Hochschule schon jetzt in der ersten Liga der deutschen Universitäten.

Seit anderthalb Jahren ist Anke Kaysser-Pyzalla Präsidentin der Technischen Universität Braunschweig. Von ihrem Vorgänger Jürgen Hesselbach, der in diesem Jahr ein letztes Mal auf seine Prognosen zurückblickt, übernimmt die Materialwissenschaftlerin nun auch die Rolle als Orakel unserer Zeitung. Im Interview spricht sie über die Entwicklung der TU im kommenden Jahr, die Auswirkungen des Brexit auf die Wissenschaft und interessante Forschungsthemen der Zukunft.

Ihre erste Orakelfrage soll gleich eine echter Blick in die Zukunft sein: Wird die TU Braunschweig zur Exzellenzuniversität?

Das hoffen wir natürlich, und wir werden alles dafür tun, dass es so kommt. Die Konkurrenz ist hart, zumal einige Universitäten bereits in der letzten Exzellenzinitiative gefördert wurden. Die konnten sich auf Basis der damit verbundenen erheblichen Mittel entsprechend gut vorbereiten. Dennoch sind wir überzeugt, dass unser Antrag ungewöhnlich ist und wir unsere Stärken sehr gut präsentiert haben. Wir haben eine echte Chance.

Wie groß ist diese Chance? Letztlich war der große Erfolg der TU doch auch ein bisschen überraschend.

Wir machen uns echte Hoffnung. Aber wir haben schon jetzt dadurch gewonnen, dass wir angetreten sind und im Rahmen des Antrags uns noch einmal bewusst gemacht haben, was diese Hochschule auszeichnet. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um unsere weitere Entwicklung strategisch und dynamisch zu gestalten.

Spielt die TU 2019 in der ersten Liga der deutschen Universitäten?

Das tun wir jetzt schon.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich in Deutschland ein Nebeneinander von Elite-Universitäten auf der einen und vernachlässigten Wald- und Wiesen-Universitäten auf der anderen Seite entwickelt?

Es ist schon lange nicht mehr so, dass alle Universitäten als gleich betrachtet werden. Es gibt eine deutliche Ausdifferenzierung in den Zielen und Profilen der Hochschulen, bei den Stärken und Schwächen in Forschung, Lehre und Transfer. Wir sind an der TU Braunschweig beispielsweise mit innovativen Lehrkonzepten auch in der Lehre durchaus bekannt geworden. Dafür haben wir Preise erhalten. Wir sind stark im Transfer, weil viele unserer Professoren mit Unternehmen zusammenarbeiten. Und in der Forschung haben die Exzellenzcluster aktuell wieder gezeigt, dass wir ganz vorne mitspielen, ebenso wie in der gemeinsamen Forschung mit der Industrie.

Diese Zusammenarbeit wird durchaus auch kritisch gesehen. Umgekehrt gibt es Sorgen, dass die TU sich wieder von der Industrie entfernen könnte. Welchem Kurs folgt die Hochschule da?

Über solche Sorgen kann ich mich nur wundern. Wir haben gerade erst gemeinsam mit Industriepartnern aus der Region zwei KICs (Knowledge and Innovation Communities, dt.: Wissens- und Innovationsgemeinschaften) aus der Förderlinie des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie bewilligt bekommen – in den Bereichen Produktion und Mobilität. Dass wir bei diesem starken Wettbewerb den Zuschlag erhalten haben, ist ein Zeichen hoher Qualität und Anerkennung. Außerdem steigt die Summe der Drittmittel aus der Industrie kontinuierlich. Das zeigt, dass wir erheblich nachgefragt sind. Das ist auch ein wesentlicher Anteil unseres Antrags für den Exzellenzstatus, obwohl wir uns durchaus bewusst sind, dass Gutachter diese Verbindung auch kritisch sehen könnten. Aber die Nähe zur Wirtschaft ist ein Grundpfeiler der Philosophie unserer Universität.

Einrichtungen wie die Niedersächsischen Forschungszentren für Fahrzeugtechnik und für Luftfahrt stehen also vor einer weiterhin guten Entwicklung?

Das sehen wir ganz sicher so, und das werden wir weiter befördern. Zu diesem Zweck haben wir vor kurzem eine neue Leitungsstruktur entwickelt, die unsere Forschungsschwerpunkte weiter stärken soll – also Mobilität, Infektion und Wirkstoffe, Stadt der Zukunft und Metrologie. Da spielen die Forschungszentren eine große Rolle, neben den Fakultäten.

Welche Projekte stehen 2019 auch baulich an der TU an?

Wir werden unsere Forschungsschwerpunkte weiter ausbauen. Dazu zählen auch neue Gebäude wie das Zentrum für Brandschutz (Zebra), das zum Schwerpunkt Stadt der Zukunft zählt. 2019 wird dafür der Grundstein gelegt. Und wir werden das Lena (Laboratory for Emerging Nanometrology; dt.: Labor für die aufkommende Nanometrologie) in Betrieb nehmen.

Gibt es für das Zebra auch wieder einen externen Partner?

Im Wesentlichen ist das eine Einrichtung der TU Braunschweig. Wir haben aber Partner mit ins Boot geholt, unter anderem die Fraunhofer-Gesellschaft. Überhaupt werden wir unsere Zusammenarbeit mit Fraunhofer ausbauen. Da werden wir uns 2019 stärker gemeinsam aufstellen.

Was bedeutet das konkret?

Das wird im Februar bekanntgegeben.

Im Neubauen ist die TU seit Jahren gut. Wie sieht es mit dem bröckelnden Altbestand aus?

Da wird es hoffentlich positiv weitergehen. Wir haben vom Land die Bauherrenschaft erhalten. Als nächstes werden wir die Fassade des Elektro-Hochhauses sanieren. Auch die Fassade des Leichtweiß-Instituts wird erneuert werden. Außerdem werden wir die Planung der Sanierung von Physik, Pharmazie und Chemie konkretisieren.

Wagen wir den Blick über die TU hinaus: Ende März steht der Brexit bevor. Welche Auswirkungen erwarten Sie für Wissenschaft und Forschung?

Das hängt stark von den Details des Austrittsvertrags ab – und ob es einen solchen überhaupt geben wird. Wir sind darüber sehr betrübt, weil der Austausch zwischen Wissenschaftlern und die Zusammenarbeit im Rahmen der EU-Förderprogramme aus unserer Sicht sehr wertvoll ist. Das gilt auch für den Austausch von Studierenden. Großbritannien ist für unsere Studenten aufgrund der geringen Sprachbarriere sehr attraktiv.

Erwarten Sie denn überhaupt ernste Probleme für Wissenschaftler?

Gerade bei den Studiengebühren kann das für Studenten und Doktoranden durchaus schwierig werden. Außerdem können Forschungspartner sich womöglich nicht mehr an den EU-Rahmenprogrammen beteiligen.

Welche Wissenschaftsthemen dürften im kommenden Jahr eine Rolle spielen?

Ich glaube, alle unsere Forschungsthemen haben das Potenzial, ganz neue Erkenntnisse zu erzeugen, die auch für die Öffentlichkeit von Interesse sind. Am Beispiel des autonomen Fahrens zeigt sich, dass wir großen Wert darauf legen, solche Erkenntnisse auch schnell in Wirtschaft und Gesellschaft zu übertragen. Bei diesem Thema, das auch unmittelbar für die Bürger relevant ist, wird es aber keine plötzlichen Sprünge geben, sondern eine allmähliche Durchdringung von immer stärker automatisierten Fahrzeugen. Infektionsforschung kann jederzeit plötzlich wieder Aufmerksamkeit erregen. Andere Themen von allgemeinem Interesse drehen sich um die Erneuerbaren Energien, Ausbau der Infrastruktur, oder auch die Entwicklungen am Campus Nord. Da wachsen Stadt und Universität immer noch stärker zusammen.

Kommt 2019 also womöglich eine vernünftige Anbindung des Campus Nord an die öffentlichen Verkehrsmittel?

Das würde ich mir wünschen. Aber auch die Idee, den Campus Nord ans Ringgleis anzuschließen, bringt unsere Studierenden wirklich voran.

Ein aktueller Forschungsskandal dreht sich um die angeblich ersten Babys, die mit verändertem Genom geboren wurden. Die Reaktionen darauf waren teils sehr heftig. Glauben Sie, dass die Grenzen des Zulässigen bei der Gentechnik sich durch eine Diskussion auch außerhalb der Forschungswelt verschieben werden?

Es gibt diese ethische Diskussion bereits. Das Verfahren CRISPR/Cas, auch „Gen-Schere“ genannt, soll in Zukunft helfen, Erbkrankheiten zu heilen. Man kann allerdings auch andere genetische Änderungen vornehmen. Hier haben wir nach ausführlicher gesellschaftlicher Diskussion eine klare Gesetzeslage, die Grenzen definiert und uns schützt. Daran halten wir uns.

Schadet die Diskussion diesem Forschungsbereich?

Nicht, solang die Wissenschaft keinem Generalverdacht ausgesetzt wird. Unsere jungen Wissenschaftler sind hoch motiviert, und haben klare moralische Vorstellungen, die sie auch zur Diskussion stellen.

Droht womöglich ein Verbot des Einsatzes von Gen-Scheren?

Wie bei Tierversuchen auch muss bei Experimenten stets streng geprüft werden, welchen gesellschaftlichen Nutzen sie versprechen und was ethisch vertretbar ist. Für Wissenschaft in Deutschland wäre ein Verbot der Gen-Schere dramatisch.

Was meinen Sie mit dramatisch?

Wenn zum Beispiel eine ganze Generation junger Forscher dieses Gebiet verlässt, weil sie befürchten müssen, ungerechtfertigt in eine Ecke gedrängt zu werden, oder aber wenn die Regularien so stark beschränkend wirken, dass solche Forschung hier nicht mehr möglich ist.

Ein anderes Gebiet, in dem Wissenschaftler zu kämpfen haben, sind Debatten um sogenannte alternative Fakten. Sollten wissenschaftliche Institutionen sich in öffentliche Diskussionen über Wissenschaft stärker einmischen?

Ich habe den Eindruck, dass das Thema in der Wissenschaftskommunikation zurzeit sehr wichtig ist. Klar ist: Es gibt keine alternativen Fakten. Es gibt nur Fakten. Es gibt aber die Frage der Unsicherheit. Das ist ein spannendes Thema, zumal Metrologie, also die Wissenschaft vom Messen, zusammen mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt einer unserer Schwerpunkte ist. Zu jedem Messwert und auch zu Theorien gibt es Unsicherheiten. Dieses Konzept zu vermitteln, ist wichtig und spannend.

Unter Wissenschaftsjournalisten gibt es derzeit eine Diskussion zu diesem Thema. Unter anderem wird da die Frage aufgeworfen, ob die Vermittlung von Unsicherheiten bei politisch brisanten Themen wie dem Klimaschutz eine gute Idee ist.

Die Unsicherheiten sind nun mal da. Man muss klarmachen, was genau das bedeutet. Das ist nicht immer leicht zu verstehen und vor allem auch nicht zu vermitteln. Aber es gehört zur Wahrheit dazu.

Sie sind Materialwissenschaftlerin. Steht auf diesem Gebiet eine Sensation ins Haus?

Ich glaube, dass topologische Isolatoren künftig sehr wichtig werden könnten.

Was ist das?

Das sind Quantenmaterialien, die es ermöglichen, Strom deutlich verlustärmer zu leiten. Das könnte zu neuen Computergenerationen mit geringerem Stromverbrauch und weniger Wärmeentwicklung führen.

Unser Leser Klaus-Achim Schiller fragt: Wie wahrscheinlich ist es, dass die TU sich in der Academia Julia zu Helmstedt einbringt?

Wir sprechen mit vielen Initiativen in der Region, unter anderem mit dem Verein Tabula in Wolfsburg, und wir bringen uns an vielen Stellen in die Region ein. Die Academia Julia ist als alte Universität in der Region etwas ganz Besonderes. Wir prüfen, ob es Möglichkeiten gibt und welche. Es gibt noch keine konkreten Entscheidungen.

Eine Tradition des Wissenschaftsorakels ist es, nach den Nobelpreisen zu fragen. Haben Sie da einen Tipp?

Die Wahrscheinlichkeit, da mit einer Prognose falsch zu liegen, ist gigantisch. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn Laurens Mohlenkamp von der Universität Würzburg für seine Forschung über topologische Isolatoren ausgezeichnetwürde. Er ist der erste, der dasThema massiv nach vorne gebracht hat.

Auf was blicken Sie im Jahr 2019?

Auf ganz viel Arbeit. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir dabei auch viel Spaß haben werden.