Braunschweig. Wer mit dem ÖPNV von Braunschweig nach Wolfsburg fährt, muss für die Einfahrt in die nächste Tarifzone zahlen. Ticketkombinationen sind damit ad absurdum.

Das Zitat, das dem deutschen Dichter Matthias Claudius zugerechnet wird, ist schon mehr als 200 Jahre alt. „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ Die Redensart ist auch heute noch aktuell. Das gilt nicht nur für Weltreisen, sondern auch bei überschaubaren Strecken wie der von Braunschweig nach Wolfsburg. Unterwegs mit der Regionalbahn, im RE 50, dem Enno – unterwegs im Ticket-Dschungel des Verkehrsverbundes Region Braunschweig (VRB).

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Samstag, 25. August: Hauptbahnhof Braunschweig: Der gute Vorsatz hat mich heute hierhin getrieben. Und der Fußball. 1. Spieltag. Die Bundesliga geht wieder los. Beim VfL in Wolfsburg spielt heute mein Lieblingsverein. Sogar die Frau habe ich überreden können, mich zu begleiten. Die Laune ist gut. Warum also nicht die 26 Kilometer einmal, ökologisch korrekt, mit der Bahn zurücklegen. Einmal das tun, was doch auch immer wieder empfohlen wird. Erkunden Sie doch mal die Region! Deren Attraktivität endet nicht an ganz profanen Stadt- und Landkreisgrenzen! Erweitern Sie doch mal Ihren Horizont und lernen Neues kennen! Nutzen Sie Bus und Bahn, denn stehen Sie nicht unter der Woche oft genug im Stau?

Ist es nicht das, was mitschwingt, wenn die Bedeutung des Regionalverbandes Braunschweig herausgestellt wird – und damit zugleich weitere Investitionen in den Nahverkehr begründet werden. Es geht dann um die Notwendigkeit neue Trassen zu bauen, kürzere Zugtaktungen einzurichten oder den Umbau von Haltestellen zu Kreuzungsbahnhöfen.

Dass diese Vorhaben im Alltag eine untergeordnete Rolle spielen, erlebt der Bahnkunde in dieser Region mitunter schon vor Antritt der Fahrt – bei dem Versuch, das richtige Ticket zu erwerben.

Welches Ticket ist das Richtige?

18 Minuten dauert die Fahrt mit der Regionalbahn von Braunschweig ins benachbarte Wolfsburg. Entlang der Strecke stoppt der Zug zweimal, in Weddel im Landkreis Wolfenbüttel und am Bahnhof Fallersleben, der zum Tarifgebiet der Stadt Wolfsburg zählt. Das erstandene Fußballticket berechtigt, innerhalb der Stadtgrenzen der VW-Stadt die Busse der Wolfsburger Verkehrs-AG (WVG) zu nutzen. Meine Begleitung hat noch vier Einzelfahrkarten der Stufe 2. Mit diesen darf man von Braunschweig aus über die Stadtgrenzen hinaus bis und durch die Tarifzone Lehre fahren. Diese grenzt direkt an das Wolfsburger Stadtgebiet. Reichen die Tickets denn jetzt aus, um bis zum VfL-Stadion und am Abend zurück zu kommen? Nein.

Die freundlich, aber zugleich entschiedene Antwort der Mitarbeiterin der Braunschweiger Verkehrs AG am Hauptbahnhof lässt keine Zweifel. Mich lässt sie schier verzweifeln. Um in die Stadt Wolfsburg zu fahren ist ein anderes, ein drittes Ticket nötig. Und zwar eines der Stufe 3. „Am günstigen ist es, eine Tageskarte in dieser Preisstufe zu kaufen. Das macht für zwei Personen 15,40 Euro. Danke, bitte. Und einen schönen Tag noch.“

Auch diese Auskunft ist richtig. Dennoch bleibt ein Beigeschmack. Denn faktisch bedeutet der Kauf eines Tickets der Stufe 3 automatisch, dass zum einen, die in die Eintrittskarte eingepreiste Nutzung der Wolfsburger Buslinien ihre Gültigkeit verliert. Und zum anderen auch die schon zuvor gekauften Einzeltickets weiter ihr ungestempeltes Dasein im Portemonnaie fristen.

Kann das sein? Es kann. Der Sprecher der Braunschweiger Verkehrs AG, Christopher Graffam, bestätigt mir: „Die Auskunft, die Sie von uns erhalten haben, ist richtig“, sagt er. Er erläutert mir zugleich, was am Reisetag noch unerklärlich erschien. „Sie können auf dieser Strecke Tickets, die Sie bereits besitzen, nicht nachlösen. Sie wären – für den Fall, dass Sie im Enno kontrolliert worden wären, schwarzgefahren, da Sie zwar eine Berechtigung hatten, innerhalb aber nicht in die Tarifzone hineinzufahren. Im Zug hätte Sie der Kontrolleur auf dieses Problem hingewiesen.“

Graffam sagt, dass das Thema die Verkehrs GmbH immer wieder beschäftige, auch bei anderen Veranstaltungen in der Stadt Braunschweig. Anders verhielte es sich bei Monatskarten. „Hier ist es möglich, mit zusätzlichen Tickets die Fahrtstrecke zu überbrücken.“

Zuständig für den regionalen Bahnverkehr und für die Ticketgestaltung in der Region ist der Verkehrsverbund VRB. Unter dem Dach des VRB haben sich 17 Beförderungsbetriebe versammelt, die dafür sorgen, dass Pendler, Ausflügler, Fußball -und Konzertbesucher zu ihren Zielen gelangen. Als Aufgabenträger für den ÖPNV in der Region fungiert der Regionalverband Großraum Braunschweig.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es aus Braunschweig, dass spätestens mit der Wandlung des Verbundtarifs hin zu einem Verkehrsverbund auch eine Reform und eine Vereinheitlichung des Ticketsystems hätte geben müssen.

Bei Fußballfans, insbesondere bei denen von Eintracht Braunschweig, ist der Unmut besonders groß. Ein nicht unerheblicher Teil der mehr als 13 000 Dauerkartenbesitzer kommt aus dem Umland und kann somit die Eintrittskarte, die nur im Stadtgebiet gilt, nicht als Fahrkarte benutzen. So ist es manchmal nur der Kulanz der Busfahrer und ihrer Sympathien mit den blau-gelben Farben geschuldet, dass Kunden, ohne ein zusätzliches Ticket kaufen zu müssen, das nur eine Busstation entfernte Braunschweiger Stadtgebiet erreichen. Beispiele, unter anderem aus dem Kreis Wolfenbüttel, sind der Redaktion bekannt.

Auch der Fanrat von Eintracht Braunschweig berichtet darüber. Und er hat dazu eine klare Position: „Einerseits verstehen viele Fans das komplizierte Stufenmodell kaum, andererseits ärgern sie sich darüber, für ein Eintrachtspiel ein Zusatzticket kaufen zu müssen – dabei ist Eintracht bekanntlich ein Verein, der damit wirbt, Fans zwischen Harz und Heide zu besitzen. Nur dass eben nicht alle Fans zwischen Harz und Heide kostenfrei zu den Spielen fahren können“, moniert Sprecher Robin Koppelmann.

Für sämtliche Großveranstaltungen sollte es daher eine regionsweite Lösung geben, die vom Regionalverband finanziell unterstützt wird. „Er steht hier in der Pflicht, denn diese Lösung darf nicht von der finanziellen Ausstattung des Veranstalters oder des Vereins abhängen, sondern beruht auf einem berechtigten öffentlichen Interesse“, so Koppelmann.

Der Fahrgastverband Pro Bahn Braunschweig-Hildesheim unterstützt das Anliegen. „Wenn sich Veranstalter und Regionalverband auf eine Ausweitung der Fahrticketnutzung über mehrere Tarifzonen hinweg einigen könnten, wäre das für die Kunden im ÖPNV die beste Lösung“, erklärt der stellvertretende Vorsitzende Uwe Helbig.

Beim VfL Wolfsburg gestaltet sich die Situation ein wenig anders. Besitzer von Dauerkarten können schon heute Busse und Bahnen im gesamten Verbund nutzen. Ein einzelnes Spieltagsticket berechtigt dazu allerdings nicht. Wieviel sich der Bundesligist diesen Service für die Dauerkarteninhaber kosten lässt – dazu will sich der Verein nicht äußern. Auch bei Eintracht herrscht Zurückhaltung bei diesem Thema. Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt lässt mitteilen. „Es gibt eine Kooperation zwischen der Braunschweiger Verkehrs GmbH und Eintracht Braunschweig. Zu weiteren Details erteilen wir keine Auskünfte. Wir weisen aber darauf hin, dass es sich bei dieser Kooperation nicht um ein einseitiges Subventionsgeschäft handelt.“ Auch der Partner, die Verkehrs AG , hält sich bedeckt. Nur so viel: „Mit jedem Veranstalter in der Stadt haben wir individuell abgestimmte Verträge geschlossen. Über Vertragsinhalte äußern wir uns aber nicht“, so Sprecher Graffam. Eine Anfrage bei dem regionalen Konzertveranstalter Undercover blieb zunächst unbeantwortet.

Was sagt der Verkehrsverbund?

Die Pressestelle des VRB räumt mit einem weiteren Missverständnis auf. Das Einzelticket für Spiele des VfL Wolfsburg berechtigt zwar zu Fahrten im Wolfsburger Stadtgebiet, es gilt aber explizit nicht für die Nutzung der Regionalbahnen auf dem Territorium der Stadt, sondern nur für die Busse des WVG. Auch die Busse der KVG, der Verkehrsbetriebe Bachstein oder der Verkehrsgesellschaft Landkreis Gifhorn (VLG), die Wolfsburg ebenfalls ansteuern, darf der Fan auf dem Weg zum Stadion nicht nutzen.

Gisela Noske, Sprecherin des Regionalverbands, gibt zu, dass das Tarifgeflecht manchmal unüberschaubar ist. „Uns als Verband sind aber bei der Frage, wie man Eintritts- und Fahrkarten in den Tarifzonen kombiniert, die Hände gebunden.“

Am Ende müssten die Veranstalter wie Eintracht Braunschweig oder der VfL, die das Geld in die Hand nehmen müssten, das entscheiden. Die Verträge würden mit den Vertragspartnern ganz individuell gestaltet, sagt Noske. So sei der finanzielle Ausgleich für die VfL-Dauerkarte „deutlich höher“ als für die Einzelkarte, teilt die Verbandssprecherin mit, ohne Details zu nennen.

Ob es für die Region bei der Ticketfrage irgendwann eine große Lösung wie in der Region Hannover durch den Großraumverband Hannover (GVH) geben wird? Bahnexperten in dieser Region haben starke Zweifel. Eine politisch verfasste Region wie in Hannover sei nicht in Sicht. Auch die Interessen von 17 Verkehrsbetrieben, die für insgesamt 49 Tarifzonen zuständig sind, stünden Einheitslösungen künftig eher im Weg.

Übrigens: Man kommt auch anders von Braunschweig in die VW-Stadt. Mit dem Bus. Doch auch mit der Linie 230 ist der Grenzübertritt in das Stadtgebiet Wolfsburg ausschließlich mit einem Ticket der Stufe 3 erlaubt. Eine Möglichkeit, diesen Umstand zu umgehen, besteht allerdings. Mit dem Bus von Braunschweig bis zur Haltestelle „Schule Flechtorf“ im Landkreis Lehre. Dann zu Fuß querfeldein über Felder, entlang der A 39 zur Haltestelle „Brandgehaege“ im etwa sieben Fußminuten entfernten Industriegebiet. Nach schlappen 50 Minuten hätte man auf diese Weise das Stadtgebiet Wolfsburg erreicht. Dann in den nächsten WVG-Bus, die Fußballtickets griffbereit, denn die besitzen jetzt ihre volle Gültigkeit.

Eine entspannte Anreise zu einem Fußballspiel sieht allerdings anders aus...