Wolfsburg. Mit Wasserstoff angetriebene Züge sollen Emissionen im Schienenverkehr vermeiden, indem sie Dieseltriebwagen ersetzen.

Unser Leser Sebastian Kölsch fragt auf unserer Facebook-Seite:

Womit werden diese Züge betankt, und was haben die für eine Reichweite? Müssen sie zwischendurch aufgetankt werden?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Den auffälligsten Vorteil von Brennstoffzellen-Zügen zeigt der neue „Coradia iLint“ schon bei der Ankunft: Fast geräuschlos gleitet der Triebwagen über die Schiene von Gleis 3 in den Wolfsburger Hauptbahnhof, wo er am Donnerstagmorgen von einer Traube neugieriger Journalisten erwartet wird. Das ist von Elektromotoren bereits bekannt: Im Gegensatz zu Verbrennern sind sie sehr leise.

Ein gravierender Nachteil der E-Mobilität ist allerdings ebenfalls bekannt: die niedrige Reichweite. Grund dafür ist die geringe Energiedichte der Speichermedien, die den Strom für den Motor bereitstellen – falls er nicht wie bei Oberleitungszügen direkt aus dem Netz geliefert wird. Die üblichen Lithium-Ionen-Akkus haben eine Energiedichte von etwa 0,65 Megajoule (0,18 Kilowattstunden) pro Kilogramm. Zum Vergleich: Die Energiedichte von Diesel beträgt 43 Megajoule (11,94 Kilowattstunden) pro Kilogramm.

Ein Brennstoffzellen-Zug verfügt zwar ebenfalls über eine Batterie, der primäre Energieträger ist allerdings Wasserstoff. Der reagiert mit Sauerstoff aus angesaugter Umgebungsluft zu Wasser. Bei dieser „kalten Verbrennung“ fließen Elektronen vom Wasserstoff zum Sauerstoff, die als Strom genutzt werden können.

Der Zug wird beim Tanken also nicht aufgeladen wie batteriegetriebene Elektro-Autos, sondern mit Wasserstoff befüllt. Und der hat eine Energiedichte von 120 Megajoule pro Kilogramm. Allerdings muss das Gas unter hohem Druck komprimiert oder stark gekühlt werden, um als Treibstoff genutzt werden zu können. Um Wasserstoff zu sparen, nutzt der „Coradia iLint“ laut Angaben der Firma Alstom, die den Zug in ihrem Werk in Salzgitter entwickelt hat und produziert, die beim Bremsen erzeugte Energie, um die Batterie aufzuladen. Dadurch und mit Hilfe einer intelligenten Energiesteuerung soll der Zug mit einer Tankfüllung über eine Reichweite von rund 1000 Kilometern verfügen, nur unwesentlich weniger als gängige Dieseltriebwagen bei – so verspricht es Alstom – vergleichbarer Leistung und einer Höchstgeschwindigkeit von 140 Kilometern pro Stunde.

Betankt werden sollen die Züge an einer eigens dafür zu bauenden Wasserstofftankstelle in Bremerförde, die von der Linde AG betrieben wird. Aufgrund der hohen Reichweite werde eine Tankstelle ausreichen, um den Verkehr auf der Strecke zwischen Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude sicherzustellen, ist man bei der Landesverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) überzeugt. Die LNVG will bis Dezember 2021 von Alstom 14 Brennstoffzellen-Züge kaufen und mit diesen die Dieseltriebwagen der Elbe-Weser-Verkehrsbetriebe ersetzen, die die Strecke betreiben. Das Land Niedersachsen beteiligt sich mit 81,3 Millionen Euro an diesem Geschäft, der Bund steuert 8,4 Millionen Euro bei.

Die Brennstoffzelle soll die Vorteile des Diesels, die hohe Reichweite, mit der des Elektromotors, der Emissionsfreiheit, verbinden. Denn als Abgas bei der kalten Verbrennung entsteht lediglich Wasserdampf. „Das beste Symbol für die Wende in der Mobilität ist das Abgasrohr“, sagt darum Jörg Nikutta, Deutschland-Geschäftsführer bei Alstom, und zeigt auf ein kleines, silbernes Röhrchen an der Rückseite des Triebwagens, aus dem ab und zu etwas Wasser tropft. „Das ist reines Wasser. Damit könnte man Kaffee kochen.“

Die „Dekarbonisierung des Verkehrs“ sei unausweichlich, ist Nikutta überzeugt. Der Dieselskandal habe diese Notwendigkeit noch einmal verdeutlicht. Da sei der neue Zug das „perfekte Produkt“. Bei Alstom sieht man großes Potenzial für dieses Produkt. Eine Infobroschüre des Konzerns weist darauf hin, dass allein in Deutschland 20 000 Kilometer Bahnstrecke nicht elektrifiziert seien. Auf diesen Strecken würden derzeit insgesamt 4140 Dieseltriebwagen eingesetzt. Das ist der Markt, den der Brennstoffzellen-Zug erobern soll.

Damit der auch wirklich emissionsfrei fährt, muss allerdings auch der Wasserstoff emissionsfrei produziert werden. Das Gas wird üblicherweise aus Kohlenwasserstoffen wie Öl oder Erdgas gewonnen. Auch die Tankstelle in Bremerförde soll zunächst Wasserstoff aus der chemischen Industrie anbieten.

„Erst einmal muss eine verlässliche Versorgung der Züge sichergestellt sein“, sagt Bernd Eulitz, Vorstandsmitglied bei der Linde AG. „Der Anteil von grünem Wasserstoff soll dann systematisch gesteigert werden. Er wird also langsam hochgefahren.“ Denn der Vertrag zwischen Linde und LNVG sei langfristig angelegt – über 30 Jahre. Da gehe es auch um Wirtschaftlichkeit.

Grüner Wasserstoff bedeutet, dass das Gas mit Hilfe regenerativer Energien gewonnen wird. Denn der Prozess, der in einer Brennstoffzelle abläuft, lässt sich auch umdrehen: Mittels Elektrolyse wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten. Den dafür benötigten Strom sollen Windkraftanlagen liefern.

„Man muss erst einmal irgendwo anfangen und zeigen, dass es funktioniert“, sagt Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies (SPD). In der Nähe der Wasserstoff-Tankstelle soll daher ein Windrad errichtet werden. Bei einem Stromüberschuss im Netz könne später aber überall Wasserstoff erzeugt werden.

Hier finden Sie einen Kommentar zum Thema: Windstrom im Tank?