Berlin. Der Ex-VW-Konzernchef beteuert seine Unschuld – und bedankt sich nachher für die „faire Behandlung“.

Unser Leser Horst Gerike aus Hannover fragt:

Haben die Bundestagsabgeordneten zu viel Zeit, oder warum überlassen sie die Aufklärung der Abgasaffäre nicht der Staatsanwaltschaft?

Die Antwort recherchierte Christina Lohner

Das „unehrenhafte“ Ausscheiden aus dem VW-Konzern nagt ganz offensichtlich an ihm. Zu Beginn der Befragung im Abgas-Bundestagsausschuss schildert Martin Winterkorn nicht nur kurz seine Bilderbuchkarriere, sondern auch die Erfolge, die der VW-Konzern unter seiner Führung erzielt hat. In zehn Jahren seien Umsatz und Gewinn vervielfacht, 100 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Dass sein Name nun eng mit der Dieselaffäre verbunden sei, damit müsse er leben. Doch gewusst habe er nichts von dem Betrug.

Es ist Winterkorns erste Aussage seit seinem Rücktritt wenige Tage nach Bekanntwerden der Abgas-Manipulationen bei weltweit elf Millionen Autos. Der Befragung durch die Bundestagsabgeordneten konnte er sich nicht entziehen. Hätte er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, wäre das einem Schuldeingeständnis gleichgekommen, hatte der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke) im Vorfeld erklärt. Und so blickt Winterkorn nach Betreten des Anhörungssaals zunächst betont entspannt in die Traube von Kameras – um anschließend ein ausführliches Statement abzugeben.

Darin betont er nicht nur, dass er nichts von dem Betrug wusste, sondern äußert auch seine „tiefe Bestürzung“, dass Millionen von Kunden getäuscht worden seien. Dabei habe er doch stets nach der höchsten Produktqualität gestrebt. Die Liebe zum Detail und die perfekte Verarbeitung seien das Markenzeichen „seiner Mannschaft“ gewesen.

Diese Detailverliebtheit zeigt sich teilweise auch in seinen Antworten – wenn es technisch wird, sprudelt es aus dem Diplom-Ingenieur nur so heraus. Bei bestimmten Punkten interessierte er sich nach seiner Darstellung allerdings überhaupt nicht für die Details. So kennt er sich offenbar weder mit den EU-Vorgaben zu Abschalteinrichtungen aus, noch hakte er angeblich nach, warum genau in den USA Anfang 2015 rund 500 000 Autos für ein Software-Update in die Werkstatt sollten. Das irritiert vor allem den Unions-Obmann Ulrich Lange, und auch der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke) kann das kaum glauben.

Dass es bei der Umsetzung des ehrgeizigen Ziels, den US-Markt trotz strengerer Grenzwerte per Dieselmotor zu erobern, Probleme gab, sei ihm nicht bekannt gewesen, sagt Winterkorn. Grenzwerte und Abweichungen würden im Komitee für Produktstrategie diskutiert, an das die Fachleute berichten. Von dort hätte eine Meldung an den Vorstand kommen müssen.

Die Studie des „International Council on clean Transportation“ (ICCT) aus dem Jahr 2014, die zeigte, dass die „Clean Diesel“ ein Vielfaches der erlaubten Stickoxidmenge ausstießen, interpretierte Winterkorn als Messtechnikproblem. Denn dass die Messwerte vom Prüfstand wenig mit dem tatsächlichen Ausstoß auf der Straße zu tun haben, ist auch Winterkorn klar. Deshalb sei die Diskussion um Straßentests richtig, sagt er.

Auch über ein offenkundiges Problem dachte Winterkorn nach eigenen Angaben nicht nach. Die beiden Abgeordneten Arno Klare und Kirsten Lühmann (beide SPD) rechnen ihm vor, dass die Harnstoff-Lösung zur Abgasnachbehandlung (Ad-Blue) bei der Tankgröße viel öfter hätte nachgefüllt werden müssen als in den üblichen Werkstatt-Intervallen alle 30 000 Kilometer. „Es war keiner bei mir, der sagt, er bringt die Menge nicht unter“, sagt Winterkorn. Er, der Ingenieur und Perfektionist, habe diese Diskrepanz also nie wahrgenommen, fragt Klare ungläubig.

Hier schweigt Winterkorn. Dass 2000 Kilometer, bevor die Lösung leer ist, eine Anzeige aufleuchtet, hat er hingegen sofort parat. Bei der Tankgröße müsse der Wagen somit verdammt schnell stillgelegt werden, hält Klare dagegen. „Sie müssen verstehen, ich habe die Werte nicht im Kopf“, sagt Winterkorn.

Hätte er von den Problemen gewusst, hätte er gehandelt, erklärt der Ex-Konzernchef. Als es etwa in den Niederlanden beim Diesel-Polo Probleme mit der Einhaltung von Grenzwerten gab, sei das Projekt schließlich abgebrochen worden. Den stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Oliver Krischer (Grüne) macht das noch ungläubiger: Wenn er bei einem so kleinen Markt wie den Niederlanden informiert worden sei, warum dann nicht bei den USA? Die dortige Einführung des Diesel sei für den Konzern schließlich eine strategisch wichtige Entscheidung gewesen. Doch Winterkorn bleibt dabei – das Thema habe nicht den Vorstand erreicht.

Die Aussagen von Kronzeugen in den USA, die das Gegenteil behaupten, will der 69-Jährige im Bundestag nicht kommentieren. Denn er habe keine Akteneinsicht. Auf die Frage nach der Zahl der Urheber der Betrugs antwortet er, deutlich mehr als zwei, drei Ingenieure seien es schon gewesen. Wie viele, wisse er jedoch bis heute nicht. Die Frage sei, wie Ingenieure versucht hätten, die Abweichungen bei den Abgaswerten mit einer Software zu lösen – und warum. Von Software verstehe er nichts, betont Winterkorn mehrfach. Es handle sich um sehr komplexe Vorgänge.

Sobald er im September von den Manipulationen erfahren habe, habe er innerhalb von drei Tagen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) informiert. Einen Tag danach habe auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zurückgerufen, die er zunächst nicht erreicht hatte.

Die Rolle der Regierung ist es auch, die der Untersuchungsausschuss des Bundestages in erster Linie untersucht. Die Aufklärung des Betrugs überlassen die Abgeordneten tatsächlich der Staatsanwaltschaft, wie es ja auch die Frage unseres Leser nahelegt. Die Abgeordneten betonten dies während der Befragung von Winterkorn mehrfach. Im Publikum sitzen neben Dutzenden Journalisten trotzdem auch mehrere Anwälte, die Schadenersatzklagen gegen Volkswagen eingereicht haben. Das parlamentarische Kontrollgremium will herausfinden, welche möglichen strukturellen Defizite dazu führten, dass der Abgas-Betrug nicht früher ans Licht kam. Wusste die Regierung, dass Herstellerangaben und tatsächliche Abgaswerte weit auseinanderklafften und gab es Hinweise auf die Ursachen?

So betont die SPD-Frau Lühmann im Anschluss an die Sitzung, Winterkorn habe klargemacht, dass staatliche Stellen vor September 2015 keine Informationen erhalten hätten. Der Grüne Krischer hingegen gibt der Bundesregierung erneut eine Mitschuld. Wenn Winterkorns Darstellung stimme, hätte deren Kontrolle nicht dazu geführt, dass das Thema die Vorstandsebene erreicht habe.

Der Parlamentarier kritisiert aber auch Winterkorns Haltung zu Umweltgesetzen: Er rede, als ob diese nebensächlich seien.

Winterkorn bedankt sich am Ende trotzdem für die „faire Behandlung“. Die Empörung verstehe er sehr gut, hatte er anfangs gesagt. Es sei wichtig, Vertrauen zurückzugewinnen.

Die entscheidenden Fragen, die rechtliche Konsequenzen haben könnten, bleiben am Ende unbeantwortet. Diese darf Winterkorn als erstes der Staatsanwaltschaft beantworten, deshalb ist er im Ausschuss davon befreit. Etwa ob er sich an die Notiz vom Mai 2014 erinnern kann, wie Behrens wissen möchte. Die Notiz lag damals Winterkorns „umfangreicher Wochenendpost“ bei. Sie verwies auf die ICCT-Studie.