Braunschweig. Orakel 2017: Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des Landessportbundes, sieht die Aufklärung der Sport-Skandale noch am Anfang.

Klare Kante zeigte Wolf-Rüdiger Umbach auch in diesem Jahr wieder bei der Orakel-Veranstaltung unserer Zeitung. Ob Doping, Fifa oder WM-Skandal – der Präsident des Landessportbundes Niedersachsen fand deutliche Worte zu den Missständen im Sport. Aber Umbach ist auch zuversichtlich. So hält er Reinhard Grindel für den richtigen Mann an der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes. Und Eintracht Braunschweig traut er den Sprung in die Fußball-Bundesliga zu, wie er unserem Redakteur Daniel Mau im Interview verrät.

Herr Umbach, das Sportjahr 2016 war geprägt von den Großereignissen Olympia und der Fußball-Europameisterschaft, aber auch von neuen Enthüllungen im Doping, bei der Fifa sowie beim DFB rund um die WM-Vergabe 2006. Glauben Sie, das war nur die Spitze des Eisberges oder kann 2017 wieder mehr der Sport im Vordergrund stehen?

Ich befürchte, dass das so schnell nicht gehen wird. Dieser ganze Prozess der Aufklärung ist noch in vollem Gange und manchmal unglaublich zäh. Deshalb kommen die großen Sportorganisationen auch nicht zur Ruhe. Man kann eigentlich nur hoffen, dass irgendwann eine komplette Aufklärung bei der Fifa oder beim IOC gelingt, aber ein Ende ist meiner Meinung da noch überhaupt nicht absehbar.

Wie schätzen Sie den langfristigen Schaden durch diese Skandale für den Sport ein?

Die meisten Zuschauer interessieren diese Skandale doch relativ wenig. Das muss man leider feststellen. Gerade beim Fußball sind die Zuschauerzahlen doch nach wie vor fantastisch. Das zeigt mir, dass sich viele zwar über diese Skandale aufregen, aber letztlich wollen die meisten nur tolle Spiele und Wettkämpfe sehen.

Kann der Kampf gegen Doping überhaupt gewonnen werden?

Wahrscheinlich nicht. Das ist ein ganz schwieriges Thema. In Deutschland sind wir dabei, das anzugehen, aber viele andere Länder machen dabei überhaupt nicht mit. Ich glaube nicht, dass Russland das einzige Land ist, das so eine Form von Staatsdoping betrieben hat. Vielleicht machen es andere Länder nicht ganz so perfekt und perfide wie Russland, aber wahrscheinlich in ähnlicher Form. Wie will man zum Beispiel in einem Land wie China einen Sportler kontrollieren? Da müssen sich die Kontrolleure doch Tage vorher anmelden, wenn sie einreisen wollen und dann bringt die ganze Überprüfung nichts. Für die sauberen Sportler sind solche Zustände eine Katastrophe. Was nützt es ihnen, wenn sie nach acht Jahren statt der Bronze- oder Silbermedaille noch die goldene bekommen? Nichts. Ich sehe im Moment leider nicht, dass wir das Doping-Problem wirklich in den Griff bekommen. Das schlimmste Zeichen war, als die Brasilianer zwei Wochen vor den Olympischen Spielen in Rio ihre Anti-Doping-Agentur wegen Arbeitsüberlastung geschlossen haben. Und auch IOC-Präsident Thomas Bach ist für mich in dieser Hinsicht leider eine Enttäuschung. Er hat bei Olympia eine große Chance verpasst, indem er es den Fachverbänden überließ, ob die Russen ausgeschlossen werden sollen oder nicht. Trotzdem muss der Kampf gegen Doping weitergehen. Von einer Freigabe von Dopingmitteln, wie es manche angesichts des andauernden Betrugs fordern, halte ich überhaupt nichts. Das kann nicht die Lösung sein.

Sind der Fifa durch die Wahl von Gianni Infantino sowie dem DFB durch Wahl von Reinhard Grindel zum Präsidenten glaubwürdige Neuanfänge gelungen?

Bei der Fifa glaube ich nicht, dass der Neuanfang gelungen ist. Infantino macht die gleichen Fehler wie sein Vorgänger Sepp Blatter und hat doch eine deutliche Nähe zum ehemaligen Uefa-Präsidenten Michel Platini. Er kauft sich bei den kleinen Verbänden ein und verspricht ihnen, die WM aufzublähen. Dadurch wird das Niveau immer mehr nach unten gezogen. Bei Grindel bin ich etwas zuversichtlicher, dass der Neuanfang gelingen kann. Ich denke, dass er unbelastet ist und deshalb der richtige Mann für diesen Job. Allerdings steht auch der DFB erst am Anfang der Aufklärung.

Die Fußball-EM fand 2016 erstmals mit 24 Mannschaften statt. Auch bei der WM ist eine Aufstockung geplant. Wird beim Fernsehzuschauer bald eine Form der Sättigung in Sachen Fußball eintreten und was bedeutet die zunehmende Dominanz für andere Sportarten?

Diese Übersättigung ist jetzt schon da, und das leider nicht nur während der großen Turniere. Auch im normalen Spielbetrieb gibt es inzwischen doch schon Wochen, in denen an jedem Tag Fußball im Fernsehen läuft. Das ist schade für die vielen anderen schönen Sportarten, die es gibt. Leider sind es die Fernsehzuschauer selber, die diese Entwicklung mit ihrem Sehverhalten fördern. Die Quote bestimmt, was gesendet wird.

2016 wurde eine Reform der Sportförderung beschlossen. Was versprechen Sie sich davon für die Zukunft? Wann könnten die ersten Ergebnisse messbar sein?

Es wird sicherlich dauern, bis die ersten Ergebnisse sichtbar werden. Der Aufbau eines Weltklasse-Athleten dauert acht bis zehn Jahre. Ich halte es aber für richtig, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat und dass zukünftig mehr die Perspektive als die Leistungen der Vergangenheit zählen sollen. Diese Reform ist aus sportlicher Sicht jedenfalls eines der wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres gewesen. Ich erhoffe mir davon, dass die deutschen Sportler zukünftig gezielter gefördert werden.

Eine Erfolgstory schrieben zuletzt die deutschen Handballer mit dem Gewinn der Europameisterschaft. Kann diese bei der WM, die im Januar stattfindet, fortgeschrieben werden?

Daran glaube ich eher nicht, auch wenn mich eine Wiederholung des Erfolgs sehr freuen würde. Bei der EM herrschte in der deutschen Mannschaft eine unglaubliche Begeisterung. Ob man so eine Atmosphäre als Trainer jetzt erneut herstellen kann, ist fraglich. Außerdem waren viele Spiele bei der EM so knapp, dass sie auch ganz schnell anders hätten ausgehen können. Die Franzosen haben die beste Mannschaft, sie sind für mich der Topfavorit. Allerdings hat man bei der EM gesehen, dass auch sie schlagbar sind.

Bei Volkswagen, einem der großen Förderer des Sports in unserer Region, muss gespart werden. Was bedeutet das für die hier ansässigen Sportvereine und Sportveranstaltungen?

Unsere Region ist auch in der Sportförderung sehr von VW abhängig. Ich kann deshalb nur hoffen, dass der Konzern bei seinen Kürzungen so vorgeht, dass sie mit Augenmaß geschehen. Aktuell sieht das so aus. Aber ich denke, dass die ganz großen Zeiten der Unterstützung für den Sport erst einmal vorbei sind. Darauf müssen sich alle einstellen.

Braunschweigs Basketballer könnten zum Beispiel mehr Unterstützung gebrauchen, sie kämpfen in der Bundesliga um den Klassenerhalt. Was macht Sie zuversichtlich, dass die Löwen auch in der nächsten Saison erstklassig spielen?

Zum Glück gibt es in dieser Saison durch den Rückzug von Hagen nur noch einen Absteiger. Aber die Löwen müssen auch mal zu Hause ein Spiel gewinnen, vor allem die hohen Niederlagen in der eigenen Halle vertreiben auf Dauer die Zuschauer. Aber ich bin zuversichtlich, dass der Klassenerhalt geschafft werden kann. Es gab ja auch einige Spiele, die sehr knapp waren. Außerdem brauchen die Braunschweiger mal wieder eine Identifikationsfigur, die über mehrere Jahre im Klub spielt.

Besser läuft es dagegen bei den Fußballern von Eintracht Braunschweig. Glauben Sie, dass der Aufstiegssekt schon kaltgestellt werden kann?

Mit dem Kaltstellen von Sekt sollte man immer sehr vorsichtig sein (lacht). Die Eintracht hat eine super Hinrunde gespielt, doch es wird auch in der Rückrunde noch Schwächephasen geben. Deshalb ist es gut, dass die Eintracht mit einem kleinen Vorsprung in die Winterpause gegangen ist. Stuttgart und Hannover werden sicherlich bis zum Schluss oben dabei sein. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass man in diesem Jahr als Dritter der 2. Liga eine gute Chance hat, in den Relegationsspielen zu bestehen. Die Ausgangssituation für Eintracht ist auf jeden Fall prima.

Wenn es zu Relegationsspielen kommt, ist auch ein Duell mit dem Hamburger SV möglich. Unser Leser Gert Thiele möchte wissen, wie Sie die Chancen auf ein solches Nordduell einschätzen ?

Das ist ein realistisches Szenario. Und mit dem HSV in der aktuellen Situation kann die Eintracht auf jeden Fall mithalten. In der Relegation wäre die Chance also nicht so schlecht. Aber es wäre schade, wenn ein Nordklub absteigen würde. Doch der HSV spielt ja nun schon seit Jahren in den unteren Tabellenregionen der 1. Liga.

Nicht viel besser als der HSV steht der VfL Wolfsburg da. Muss man sich um den Fortbestand der „Wölfe“ in der 1. Liga Sorgen machen?

Vom Potenzial gehört die Mannschaft eigentlich ein paar Plätze nach oben. Aber die Spieler schaffen es seit Monaten nicht, ihr Können abzurufen. Vor allem von Nationalstürmer Mario Gomez bin ich enttäuscht. Von ihm hätte ich erwartet, dass er mit seinen Toren mehr Spiele entscheiden kann. Insgesamt überrascht mich das schlechte Abschneiden des VfL. Ich hatte die Mannschaft deutlich stärker erwartet.

An der Spitze der Bundesliga herrscht ebenfalls Spannung. Wie sehen Sie das Projekt RB Leipzig?

Ich empfinde das für die Bundesliga zumindest in dieser Saison als positiv. Leipzig bereichert die Liga und macht den Kampf um die Meisterschaft wieder spannend. Ohne RB wäre Bayern doch wieder ziemlich allein an der Spitze. Auch Dortmund kann mit München nicht mithalten. Natürlich steht in Leipzig viel Geld zur Verfügung, aber Ralf Rangnick beweist, wie schon damals in Hoffenheim, dass er damit auch umgehen kann. Mit den Leipzigern muss man sicherlich dauerhaft rechnen.

Unser Leser Gert Thiele fragt sich, ob die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus aufgrund ihrer guten Leistungen in der 2. Liga 2017 endlich die Chance erhält, in der Bundesliga zu pfeifen?

Es gibt zwei Bedingungen, um aufzusteigen. Man muss top sein und es muss ein Platz in der 1. Liga frei werden. Ich habe die Bewertungen von Bibiana Steinhaus nicht gesehen, die sind nämlich geheim. Sie ist sicherlich eine Top-Schiedsrichterin, allerdings hatte sie in der vergangenen Saison in der 2. Liga auch ein paar unglückliche Spiele. Eines Tages wird sie ihren Weg in die Bundesliga aber sicher machen. Von der Persönlichkeit ist sie stark genug.

Bei der Leichtathletik-WM im August in London soll der letzte Auftritt von Sprint-Legende Usain Bolt erfolgen. Wer hat das Potenzial, ihn danach als größten Sportstar der Welt abzulösen?

Diese Frage lässt sich nicht seriös beantworten. Dafür gibt es einfach zu viele gute Sportler auf der Welt. Außerdem ist Usain Bolt ein Ausnahme-Athlet. So einen gibt es vielleicht nur alle 100 Jahre. Es wäre für mich der absolute Gau, wenn sich irgendwann herausstellen würde, dass auch er seine Erfolge mit Doping erreicht hätte. Dann würden viele den Glauben an den Sport verlieren. Ich kann nur hoffen, dass Bolt sauber ist.