Braunschweig. Schon die Eltern von Stefan Franz boten auf dem Weihnachtsmarkt Würste aus Pferdefleisch an. Sein Stand ist gerade zum schönsten gekürt worden.

Stefan Franz lässt keinen Zweifel daran, wie gut er es findet, dass der Braunschweiger Weihnachtsmarkt seinen Charme und seine Anziehungskraft aus der Besinnlichkeit zieht. „Hier findet keine Ballermannisierung statt“, meint der 55-Jährige trocken. Er liebt diesen Ort: die heimelige Atmosphäre rund um den Dom, die Gespräche mit den Kunden, die kumpelige Kabbelei mit den Kollegen. Hier dröhnt nichts aus den Boxen, mischen sich keine „Last Christmas“-Endlosschleifen zu nervigem Klangbrei. Nur die drei Fahrgeschäfte dürfen Weihnachtslieder dudeln.

Am Montag hat die Jury, die die ansprechendsten Buden auslobt, dem Schausteller ein großes Geschenk gemacht – indem sie seine „Ross-Hütte“ zum schönsten Stand des Marktes erkor. „Da wurden mir die Augen schon ein wenig feucht“, meint er lachend.

Pferdefleisch zählt zu den ältesten Nahrungsmitteln der Menschheit

Der Name ist Programm: Die Ross-Hütte heißt natürlich so, weil Pferdefleisch auf den Grill kommt. Nicht jedermanns Geschmack. Muss er am Verkaufstresen viel diskutieren, sich rechtfertigen? „Wer zu uns kommt, weiß normalerweise, was wir anbieten. Unsere Kunden schätzen ja gerade die Rossbratwurst“, meint er.

Alles Wichtige rund um Weihnachten in Braunschweig

Die war einst ein Armeleute-Essen. Damals im Krieg. Pferdefleisch dürfte aber sogar zu den ältesten Nahrungsmitteln unserer Geschichte zählen. Es heißt, selbst Reitervölker wie die Hunnen, die Mongolen und die Indianer hätten ihre Tiere geschlachtet. Im Vergleich zu Rind enthält Pferdefleisch nur halb so viel Fett und wird als gesund gepriesen. Laut dem Magazin Geolino gilt Pferdefleisch in Japan als Delikatesse, Franzosen können es angeblich im Supermarkt kaufen.

Das Pferd wird heute weniger als Nutztier betrachtet

In Deutschland werden Pferde gemeinhin nicht zum Verzehr gezüchtet und können den Großteil ihres Lebens auf der Weide verbringen. Sie werden meist nicht in dunkle, enge Ställe gepfercht wie Millionen Rinder, Schweine oder Hühner, die nur für den Teller gezüchtet werden. Hierzulande wird recht wenig Pferdefleisch verspeist. Während im Jahr fast 60 Millionen Schweine und 3,5 Millionen Rinder geschlachtet werden, werden nur 7000 Pferde zu Wurst oder Rouladen verarbeitet.

Woran das liegt? Wohl daran, dass sich die Beziehung des Menschen zum Pferd über die Jahrhunderte geändert hat. Früher eher als Nutztier betrachtet, das den Acker umpflügt und die Lasten schleppt, entwickelte sich das Pferd immer mehr zum Haustier, zum treuen und geliebten Gefährten des Menschen. Und dem will wohl kaum jemand ohne Not an den Kragen.

Ohne Pferdepass darf nicht geschlachtet werden

In Deutschland übrigens darf kein Pferd ohne Equidenpass – eine Art Pferdeausweis – geschlachtet werden. Ein Garant, dass das Fleisch unbedenklich für den Menschen ist, das Tier nicht mit bedenklichen Medikamenten behandelt wurde. Stefan Franz arbeitet mit einem Fleischerei-Betrieb in Braunschweig zusammen, der die Würste nach überliefertem Rezept herstellt. Gibt er das Geheimnis der Gewürze preis? „Auf keinen Fall!“, winkt Franz lachend ab.

Dompredigerin Cornelia Götz, Mitglied der Jury, die die „Ross-Hütte“ zum schönsten Stand gekürt hat, findet es völlig in Ordnung, dass der Braunschweiger Weihnachtsmarkt Tierprodukte anbietet. „Es gehört zur Tradition dazu. Wer lieber vegan essen möchte, findet auf dem Weihnachtsmarkt inzwischen auch ein reichhaltiges Angebot.“

Das Team arbeitet im Zwei-Schichten-Betrieb

Die „Ross-Hütte“ ist über vier Jahrzehnte mit ihrem Angebot von Pferdekrakauer bis Pferdeknobiknacker zum Kult und zum beliebten Treffpunkt geworden. Oben auf dem Dach kündet der leuchtende Schriftzug davon, dass es inzwischen eine Rechtschreibreform gab und es einst „Roßhütte“ hieß. Auf eine stilvolle Rundum-Dekoration legt Franz viel Wert. „Dabei sah es in den ersten drei Jahren unseres Unternehmens wirtschaftlich gar nicht gut aus“, erinnert er sich. Mutter Lola und Vater Alfred wollten schon aufgeben. Doch irgendwann lief es besser, und mit der Grenzöffnung kamen noch mehr Kunden.

„Mein Dank geht an mein tolles Team“, sagt der Chef. Fast ein Dutzend Menschen arbeiten in der „Ross-Hütte“: zwei Feste, der Rest auf 450-Euro-Basis. Ein Zwei-Schichten-Betrieb.

Stefan Franz ist auch Vorsitzender des Schausteller-Verbandes

Seit mehr als zehn Jahren ist Franz, ein gebürtiger Braunschweiger, Vorsitzender des Schaustellerverbandes, so wie es einst schon sein Vater war. Seine drei Markt-Kumpel, die vor dem Stand ein Pläuschchen halten, recken die Daumen nach oben und nicken eifrig, als wir fragen, ob sie ihn wiederwählen würden. Da muss Franz sehr lachen.

Und was macht er, wenn er nicht auf dem Braunschweiger Weihnachtsmarkt steht? „Dann bin ich auf anderen Volksfesten unterwegs. In Goslar oder Wolfsburg, Oldenburg oder Bremen...“ Die Saison beginnt zur Osterzeit. Doch dann gibt’s bei Franz keine Rossbratwürste zu kaufen, sondern Plüschtiere zu gewinnen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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