Braunschweig. „Nach Corona“ gab es bei der Kultviertelnacht endlich wieder volles Programm. Und wichtige Tipps für gebeutelte Innenstädte.
Open-Air im Quartier in der Braunschweiger Innenstadt rund um den Friedrich-Wilhelm-Platz, spektakuläre Nacht-Videokunst auf der Villa Amsberg an der Okerinsel, Street-Art der spektakulären Sorte, ungewöhnliche Gastro-Ideen – das sogenannte Kultviertel zwischen Kapital, Klubs und Kiez in der City blies sich Samstagnacht mal wieder richtig auf. Kultviertelnacht!
„Nach Corona“ endlich wieder ein Programm ohne Einschränkungen, dazu trockenes Top-Wetter trotz unzähliger Unwetterwarnungen, die aber alle nicht eintrafen – und dann noch kräftig brodelnder Publikumszuspruch: Organisator und Kultviertelvereins-Vorsitzender Falk-Martin Drescher war superzufrieden, nutzte aber auch im Gespräch mit unserer Redaktion die Gelegenheit, das Grundsätzliche anzusprechen.
Tatsächlich ist das sogenannte Kultviertel, noch vor geraumer Zeit ein Patient am Rand der Braunschweiger Innenstadt, zu einem Modell für unkonventionelle Ideen und Netzwerke in Innenstädten geworden, die von Leerständen und Wirtschaftskrisen gebeutelt werden.
Wir sprachen mit Falk-Martin Drescher:
Kultviertelnacht 2022 – ein erster Kommentar?
Endlich konnten wir nach Corona zurückkehren auf unser ursprüngliches zentrales Konzept mit Bühne und allem Pipapo. Da kommen alle Themen zusammen – Kunst, Entertainment, neue Gastro-Konzepte, Mischungen aus Event, Spaß und Gastronomie, einfach Spaß. Schon gut, wir bringen die Menschen wieder in unseren Kiez.
Was machen die Kultviertel-Leute besser als andere?
Schon seit zehn bis 15 Jahren versuchen wir, die Eigenheiten des Viertels zu unserer Stärke zu machen. Wir sind hier Kiez, Milieu, da ist die Bruchstraße, hier gibt es Leerstände, und alles geht ein wenig rauer zu, da steht schon mal eine Schlägerei oder ein Polizeieinsatz in der Zeitung. So ist das Leben mit allen Facetten, aber auch ein echter Möglichkeitsraum in City-Randlage. Wenn es woanders zu teuer ist, kommt man vielleicht gerade hier hin, vielleicht gerade deshalb, weil es hier so rough ist. Frecher.
Müsste so die ganze Innenstadt sein?
Für uns hier ist es auf jeden Fall eine große Chance. Da tauchen ja plötzlich ganz neue Gründer auf. Die kämen woanders gar nicht klar, aber bei uns. Ladengeschäftskonzepte, Büro-Kollektive, Künstler-Kollktive und mehr. Hier wird einfach gemacht, umgesetzt. Ja, stimmt schon, natürlich ist das unterm Strich auch eine Chance für die Innenstadt. Da können in den Räumen in den Erdgeschossbereichen ganz anders Ideen entstehen.
Plötzlich wird der Rand zur Mitte?
Tja, mit der Not, die jetzt in den A- und B-Lagen auftritt – wo man das ganz lange gar nicht kannte – musste sich das Quartier hier rund um den Friedrich-Wilhelm-Platz schon ganz lange auseinandersetzen. Darin liegt jetzt ein Vorteil. Hier gab es bis zu 15 Leerstände gleichzeitig. Da musste man was tun! Es gab Zwischennutzungen, Partys, Ausstellungen, Lesungen, Theaterstücke. Einfach alles Mögliche, um Aufmerksamkeit auf diese Räume zu bringen und die Flächen temporär zu nutzen. Und jetzt reden sie halt überall davon, dass das der richtige Weg ist.
Kann man sich zurücklehnen?
Bloß nicht. Wir bleiben eine Art Ermöglicher, vielleicht auch Sparringspartner, können unsere Erfahrungen und Ideen teilen. Für die Innenstadtlagen ist das Thema ja immer brisanter und akuter geworden. Ein Beispiel: Jetzt erkennen auch große Unternehmen, was es bringt, wenn die Mitarbeiter gewissermaßen vor ihrer Bürotür einen spannenden Erlebnisraum vorfinden. Das ist hier im Kultviertel ein Sprung nach vorn, die Aufwertung des Umfeldes.
Ein Tipp für Nachahmer?
Starten, machen, anfangen, loslegen. Bevor man fünf Jahre lang ein Konzept schreibt, Marktforschung und Erprobungen betreibt – einfach beginnen. Wenn’s nicht funktioniert – ändern, beerdigen, was Neues machen. Für dieses Experimentieren stehen wir hier in besonderer Weise. Daran kann man in so einer schönen Kultviertelnacht ja mal erinnern.
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