Braunschweig. Nach dem Abitur stehen einem viele Türen offen – aber welche soll man wählen? Drei junge Leute schildern, wie das letztes Jahr bei ihnen war.

Das Jahr nach dem Abi – für mich war es der Lichtblick zwischen Homeschooling und Abi-Stress. Dann würde das Leben richtig losgehen! Wie meine Schwester wollte ich ein Gap Year machen, also ein Orientierungsjahr, und mir die Zeit für Praktika, Reisen und ganz viele andere neue Erfahrungen nehmen.

Soweit der Plan. Als mit der Abi-Entlassung meine Schulzeit vorbei war, kamen auf einmal die Zweifel: Ist das wirklich das Richtige? Verplempere ich nicht einfach nur meine Zeit? Gedanken, die mich das Jahr über noch sehr häufig begleitet und mich immer wieder in Phasen voller Selbstzweifel und Unzufriedenheit gestürzt haben. Mein Anspruch an mich selbst: Das war meine größte Herausforderung. Das hätte ich vorher auch nicht gedacht.

Mette Springer hat das Jahr nach ihrem Abitur genutzt für Praktika und Reisen – hier hilft sie ihrer Gastfamilie bei der Stachelbeer-Ernte.
Mette Springer hat das Jahr nach ihrem Abitur genutzt für Praktika und Reisen – hier hilft sie ihrer Gastfamilie bei der Stachelbeer-Ernte. © Mette Springer

Die Entscheidung war nun einmal gefallen, und einen Rückzieher hätte ich mir wahrscheinlich auch nicht verziehen. Geholfen hat mir, dass mein allererster Schritt bereits feststand. Ich hatte bereits einen Praktikumsplatz in einem anderen Bundesland, und so waren da direkt der Umzug und die vielen neuen Menschen und Herausforderungen.

Zunächst hat mich das ganz schön überfordert, aber es hatte auch sein Gutes. Denn im nächsten Praktikum bei der Jugendorganisation eines Umweltverbandes fiel es mir schon deutlich leichter, mit der Situation umzugehen. Eine weitere Erkenntnis während dieser Zeit: Nicht alle Aufgaben und Strukturen in einem Praktikum begeistern einen. Ich habe viel Neues gelernt – aber aus manchen Momenten auch nur die Erkenntnis mitgenommen, was ich in Zukunft nicht möchte.

Neben meinen Erfahrungen in den Praktika hat auch die Zeit mit all den tollen Menschen, die ich das Jahr über kennenlernen durfte, viel in mir ausgelöst. Rückblickend merke ich, wie viel ich aus der immer wieder neuen Konfrontation mit ganz unterschiedlichen Menschen gelernt habe.

In besonderer Erinnerung bleibt mir die Zeit mit einer Gruppe von Menschen aus verschiedenen Ländern und , mit denen ich ein paar Wochen auf einem Hof gelebt und gearbeitet habe. Dort konnte ich viele Dinge ausprobieren, die ich so noch nie gemacht hatte: beispielsweise in einem Hofladen arbeiten, Sellerie ernten oder Tausende von Tulpenzwiebeln für den Frühling pflanzen. Aber vor allem die Gespräche und neuen Perspektiven möchte ich in keinem Fall missen!

Mich hat insbesondere die Erkenntnis sehr bewegt, dass ich auch an einem komplett neuen Ort Menschen finde, die mich so mögen und schätzen, wie ich bin. Ohne solche Erfahrungen im Gepäck hätte ich mich meiner größten Herausforderung in diesem Jahr vielleicht gar nicht gestellt.

Nachdem ich wegen Corona einige Reisepläne über den Haufen werfen musste, konnte ich mir schließlich doch noch einen großen Wunsch erfüllen: Ich bin mit dem Zug einen Monat lang alleine durch Skandinavien gereist. Für mich war das eine einzigartige Zeit. Noch nie habe ich mich so frei gefühlt! Rückblickend bin ich einfach nur stolz auf mich, dass ich das so durchgezogen habe. Die Gewissheit, auch alleine in einem fremden Land klarzukommen, hat mir viel Selbstbewusstsein gegeben.

Es gäbe noch so viel mehr zu berichten. Von so vielen schönen Momenten, aber genauso von solchen, in denen ich einfach nur weinend auf meinem Bett saß und mir dachte, ich sei eine Komplettversagerin. Denn so ein Jahr nach dem Schulabschluss ist nicht nur schön. Es ist auch anstrengend und spült alle Unsicherheiten, die man im bekannten Schulumfeld so gut überdecken konnte, an die Oberfläche. Gleichzeitig bin ich aber unglaublich dankbar für all das, was ich erleben durfte. Für all die Erfahrungen, die mich an meine Grenzen gebracht und diese aus heutiger Perspektive sogar verschoben haben.

Ich weiß, dass ich mich glücklich schätzen kann, dass ich die Möglichkeit hatte, ein solches Gap Year zu machen. Ich möchte deswegen auch nicht am Ende appellieren, dass alle so etwas machen sollten. Wir sind schließlich alle individuelle Persönlichkeiten in unterschiedlichen äußeren Umständen. Trotzdem hoffe ich, dass die eine oder andere Person etwas aus meinen Erfahrungen mitnehmen kann und sei es nur die Erkenntnis, dass es sich manchmal lohnt, Neues auszuprobieren und sich auch erst einmal unbequem scheinenden Situationen zu stellen.

Ich gehe mit all’ diesen Erlebnissen im Gepäck jetzt gestärkt in meine nächste Phase und freue mich darauf, im Herbst ein Studium zu beginnen.

Studieren in der Region Braunschweig-Wolfsburg – Mehr Infos gibt’s hier:

„Was ich tue, rettet nicht die Welt, trotzdem kann ich Menschen helfen“

Von Emily Buch

Dass auch Kühe einen äußerst anklagenden Blick beherrschen, lerne ich im Juli 2021. Es ist 6 Uhr morgens, ich stehe in Gummistiefeln im Mist und habe soeben aus Versehen einer Kuh eine Karotte ins Gesicht geworfen.
Ich hatte seit wenigen Tagen mein Abi, und noch keine Ahnung, was ich danach machen sollte. Alles, nur nicht sofort studieren. Ein Jahr auf einem Bauernhof zu arbeiten klang eigentlich verlockend, während meines Probearbeitens merke ich jedoch schnell, dass ich eindeutig für die Stadt gemacht bin. Und obendrein eine Heuallergie habe. Und schlecht im Gemüsefüttern bin, siehe oben.

Emily Buch aus Braunschweig (ganz links) macht nach dem Abi ein FSJ und ist damit sehr zufrieden.
Emily Buch aus Braunschweig (ganz links) macht nach dem Abi ein FSJ und ist damit sehr zufrieden. © Emily Buch

Fast mehr aus Verlegenheit beginne ich schließlich in Braunschweig ein Freiwilliges Soziales Jahr – und bereue es sofort. Ich arbeite in einer Krippengruppe und bin kreuzunglücklich. Die Kinder sind süß, doch mit den Erzieherinnen klappt es nicht. Ich gebe ungern auf, doch nach einigem Hin und Her wechsle ich meine Einsatzstelle und fange beim Betreuten Seniorenwohnen von „Ambet“ an. Ganz ehrlich, eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Im Grunde bin ich hier ein bisschen das „Mädchen für alles“.

Wir sind kein Altersheim, eher ein großes Wohnhaus mit eigenständigen Wohnungen und Betreuung. Ich begleite Veranstaltungen, erledige Fahrdienste, helfe im Büro und werde für all’ das eingesetzt, was spontan ansteht, vom Großeinkauf bis zum Arztbesuch.

Mir ist bewusst, dass ein FSJ für viele nicht unbedingt die erste Wahl ist. Besonders zu Beginn habe ich meine Entscheidung auch oft in Zweifel gestellt, gerade im Hinblick darauf, dass ich beruflich eigentlich nicht in den sozialen Bereich gehen möchte, und zusätzlich noch einen Nebenjob habe.

Natürlich ist es hart, wenn du das Gefühl hast, nie genug Zeit zu haben, nie allem und allen gerecht werden zu können. Und wenn deine studierenden Freunde auch an einem Donnerstag feiern gehen und du natürlich doch mitgehst, weil mit 20 drei Stunden Schlaf noch nicht so tödlich sind.

Ein FSJ ist anstrengend, aber (zumindest für mich) auch großartig. Die Welt wartet leider nicht so sehnsuchtsvoll auf jeden Abiturjahrgang, wie es Lehrer oft ausmalen, und diese Erkenntnis lernt man nicht unbedingt in einem Studium. Ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt, Vollzeit zu arbeiten, Teil eines Teams zu sein. Was ich tue, rettet nicht die Welt, trotzdem kann ich Menschen helfen.

Ich freue mich unglaublich auf das Studium, eine neue Stadt und neue Erfahrungen, doch für all’ das wäre ich im letzten Sommer noch nicht bereit gewesen. Ein Jahr hat mich erwachsen werden lassen, und auch ein kleines Stückchen demütiger. Interessant, was eine schlecht geworfene Karotte alles bewirken kann...

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„Als Vegetarier bin ich in Frankreich ein Exot“

Von Leo Könneke

Der Schulabschluss ist die bisher prägendste Zäsur meines Lebens. Ich stehe vor einer Menge Türen, von denen viele auf- und andere zugehen.

Eine der wichtigsten Türen, durch die ich bereits gegangen bin, möchte ich vorstellen. Es ist die Tür mit der Aufschrift „Selbstständigkeit“. Nach dem Abitur im vergangenen Sommer bin ich für die „Stiftung Ökumenisches Lernen“ nach Frankreich gegangen – ganz allein in ein fremdes Land. Hier in der Bretagne lebe ich noch bis August mit Menschen mit Behinderung zusammen und arbeite mit ihnen.

Ich trage also eine Botschaft der interkulturellen Verständigung bei mir, ich werde zum Medium zwischen Gesellschaften, und dennoch darf ich meine Rolle als Gast nicht vergessen. Beispiel: Als Vegetarier bin ich hier etwas sehr Exotisches. Daheim war fleischlose Ernährung eher Standard als Ausnahme – in Frankreich hingegen stieß ich auf große Skepsis gegenüber dieser Ernährungsentscheidung.

Leo Könneke hat sein Abitur am Martino-Katharineum in Braunschweig gemacht und ist anschließend für ein Jahr nach Frankreich gegangen, wo er mit Behinderten arbeitet.
Leo Könneke hat sein Abitur am Martino-Katharineum in Braunschweig gemacht und ist anschließend für ein Jahr nach Frankreich gegangen, wo er mit Behinderten arbeitet. © Leo Könneke

Die kulturellen Missverständnisse führen uns unsere gesellschaftlichen Unterschiede vor Augen. Die Perspektive zu wechseln, ist wichtig, um Verständnis für diese Unterschiede zu entwickeln – das tue ich jeden Tag, um mich hier zu integrieren, um mein Umfeld zu verstehen und damit die Kommunikation mit den Menschen um mich herum gelingt.

Das enge Zusammenleben mit der Familie im Corona-Lockdown und das Gefühl, nicht mehr richtig rauszukommen, machten meinen Schritt ins Ausland nicht einfacher, aber umso wichtiger. Tatsächlich fiel meine Wahl auch aus pandemischen Gründen auf das vergleichsweise nahe Frankreich. Im Rückblick würde ich zu diesem Argument allerdings sagen: Pustekuchen. Weg ist weg! Es ist der Pandemie ziemlich egal, wo ich mich gerade befinde.

Der Abschied von allem Vertrauten und der komplette Neuanfang an einem weit entfernten Ort habe ich als radikal erlebt. Zuvor hatte ich mich selbst beruhigt: Die medialen Möglichkeiten, dachte ich, böten mir jederzeit einen Rückspiegel, eine Verbindung in mein altes Leben.

Doch mein Aufbruch ist genau das: ein Bruch. Denn viele meiner Kontakte, meiner Gewohnheiten und eigenen Bedürfnisse haben in meinem Leben jetzt keinen Platz mehr. Das Auslandsjahr ist für mich ein Filter geworden, der Wichtiges von Ballast trennt. Es extrahiert für mich das, was ich im Leben brauche. So habe ich für viele Leute, mit denen ich früher viel Zeit verbracht habe, keine Zeit mehr. Und andere schätze ich dafür umso mehr.

Ich kann allen, die an einer ähnlichen Erfahrung wie der meinen interessiert sind, nur raten, diesen Prozess zuzulassen. Das Glück und die Freiheit, die ich durch die Begegnungen und Erlebnisse vor Ort erfahre, haben mich lernen lassen, im Hier und Jetzt zu leben.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie es gewesen wäre, diesen Sprung ins kalte Wasser nicht gemacht zu haben. Es erfüllt mich mit Freude, dass dieses Jahr in der Bretagne sich als das Beste herausgestellt hat, das mir nach dem Abitur passieren konnte. Ich habe lernen dürfen, das mit Offenheit und Vertrauen jedes kalte Wasser gleich ein paar Grad wärmer ist.

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