Osterode. Einzelhändler Joachim Thunert betreibt seit 32 Jahren ein eigenes Modegeschäft in Osterode. Was ihn antreibt und welche Ideen er noch hat.

75 Mark hatte er in der Lohntüte, die er im zweiten Lehrjahr aus den Händen der Unternehmersgattin in Empfang nahm. Das ist viele Jahrzehnte her. Wenn in der Textilbranche jemand vom Fach ist, dann Joachim Thunert (74), Urgestein des Einzelhandels in Osterode am Harz. Sein Handwerk lernte er bei Ludwig Stark, Begründer des gleichnamigen Osteroder Modehauses, und nach dem Militärdienst bei der Luftwaffe in Goslar in der Textilschule in Nagold in Baden-Württemberg. Er war dort Absolvent des ersten Ausbildungsjahrgangs zum Textilbetriebswirt. Es folgten fünf Jahre bei der Firma Singer in Frankfurt, bevor ihn die Verbindung mit seiner heutigen Frau Ursula zurück nach Osterode und vor 37 Jahren in die Selbstständigkeit führte. Seit 32 Jahren wirtschaftet er mit mehreren Modegeschäften neben Osterode in Nordhausen und Einbeck. Lange hatte Joachim Thunert eine Camel-Vertretung inne.

Unternehmer aus Osterode: Kritischer Beobachter der Innenstadtentwicklung

Als Geschäftsmann ist der Textilbetriebswirt von Hause aus ein kritischer Beobachter der Innenstadtentwicklung und diese ist durchaus „schwierig“, meint er. „Osterode verfügt zwar über eine gute Infrastruktur an erfolgreichen Firmen und Unternehmen. Doch es fehlt an Kaufkraft und touristischen Impulsen.“ In den vergangenen Jahren sei der Mittelstand immer mehr weggebrochen. „Die Menschen sind abgewandert in die Städte, und das merkt der Einzelhandel.“ Zwar habe man den Harz als wertvolle Tourismusdestination vor der Tür, nutze das aber zu wenig: „Die Fehler wurden in Osterode schon vor 25 oder 30 Jahren gemacht“, glaubt der Geschäftsmann. Er selbst schätzt das Gebirge, ist dort regelmäßig unterwegs, ist bekennender Fan von der Krimiserie Harter Brocken und weiß als Vater von zwei inzwischen erwachsenen Söhnen durchaus um die Vorzüge eines kleinstädtischen Umfelds.

Die Fehler wurden in Osterode schon vor 25 oder 30 Jahren gemacht.
Joachim Thunert - Einzelhändler aus Osterode

Ja, die Trends sind inzwischen gegenläufig, räumt Thunert ein. Junge Leute kommen zurück, Osterode wächst wieder, und auch der Harztourismus entwickelt sind positiv. Doch für einen gedeihlichen Unterbau des Handels reiche das in Osterode noch nicht. Wichtig wäre ein großes Hotel, wären Freizeitanlagen beispielsweise auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhauses: „Und wir müssen in Osterode auch etwas bieten können.“ Und da wäre man mit der Umsetzung städtischer Vorhaben mit Stadtbibliothek, Schachtrupp-Villa, Museum und mit der Stadthalle schon gut aufgestellt. Mit Blick auf das neue Aloha allerdings ist sich Thunert nicht so sicher, ob das Angebot den Ansprüchen von Familien genügen wird.

Das Geschäft von Joachim Thunert in der Marientorstraße von Osterode.
Das Geschäft von Joachim Thunert in der Marientorstraße von Osterode. © FMN | Michael Paetzold

Negative Folgen der Innenstadtsanierung befürchtet

Mit Sorgen blickt er auf ein städtisches Bauvorhaben, die Innenstadtsanierung und befürchtet über mehrere Jahre für den Einzelhandel unverträgliche Begleiterscheinungen. Aber würde eine neugestaltete Innenstadt nicht positive Effekte mit sich bringen? Vielleicht! Vielleicht aber werden die Veränderungen auch gar nicht so nachhaltig wahrgenommen. Und: „Werden die Geschäfte die Bauphase überhaupt überstehen?“

Sein Eindruck nach vielen Gesprächen: Wirtschaftlich sind die Geschäfte auf Kante genäht. Schmerzhaft wirken sich nach seiner Einschätzung vor allem die großen Leerstände Post, Kressmann und gerade neu in der Marientorstraße, vis-a-vis zu seiner Niederlassung, im Woolworth-Gebäude aus. Hier fällt ein wichtiges Ankergeschäft weg.

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Schwierige Zeiten für Einzelhandel: Kundinnen und Kunden haben es in der Hand

Letztlich aber haben Kundinnen und Kunden ihren Anteil an der Entwicklung. „Die Menschen shoppen heute anders, oft lieber vom heimischen Sofa aus oder fahren in große Outletzentren“, stellt der Einzelhändler fest, ganz ohne Vorwurf, wie er betont. „Das ist einfach so, das Kaufverhalten hat sich verändert.“ Fast Fashion boomt, „Fastfood für Klamotten“ hat Konjunktur.

Für den Osteroder Geschäftsmann lohne es nicht, das Internet groß zu bespielen, es sei zu aufwendig. Stattdessen setzt er traditionell auf gute Qualität seiner Ware, mit zur Hälfte für Herren und Damen, sowie guten Service und Beratung durch seine elf Mitarbeiterinnen, was Kunden selbst aus Göttingen und Goslar mit ihrem Besuch in Osterode quittierten. Thunert: „Ein solches Angebot gibt es heute nicht mehr überall“.

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„Osterodes gibt es viele in Deutschland“

Der Einzelhändler macht eine einfache Rechnung auf: Würden die Menschen nur ein Drittel über das Internet, ein Drittel im Urlaub und ein Drittel vor Ort kaufen, würde es seiner Meinung nach wirtschaftlich gut passen. Das Verhältnis allerdings spreche eine andere Sprache. Es ist wie so oft: Die Ursachen für Ungemach sind viele, das Problemfeld weit gefächert, nicht nur in der Sösestadt. „Osterodes gibt es viele in Deutschland“, meint er. Und: „Kundinnen und Kunden stimmen letztlich mit den Füßen ab.“

Immer wieder ploppten in der Vergangenheit Gerüchte über eine bevorstehende Geschäftsschließung auf. Und würde es allein nach Umsatz und Verdienst gehen, wäre Thunert Mode vielleicht schon Geschichte: Aber da ist der Einzelhändler, inzwischen im besten Rentenalter, anders gestrickt: „Mein Geschäft ist ja nicht nur Broterwerb, sondern auch mein Hobby.“

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