Osterode am Harz. Die Osteroder Innenstadt stirbt aus - viele Geschäfte stehen leer. Ein Experte hat Ideen, was getan werden kann, um die Stadt am Harz zu retten.
- Nahezu jedes dritte Geschäft in Osterodes Innenstadt steht leer
- Barrierefreiheit ist in Osterode am Harz nicht überall gegeben
- Die Zeit der Einkaufsstädte ist laut Forschern vorbei
In der Altstadt von Osterode herrscht Leerstand: In den pittoresken Gassen reihen sich viele verwaiste Ladengeschäfte aneinander. Das Problem ist bekannt, schon lange beschäftigt das Thema die Stadt. Im vergangenen Jahr haben gleich mehrere Geschäfte ihren Rückzug aus der Altstadt bekannt gegeben, darunter auch größere Geschäfte wie beispielsweise Mäc Geiz. Und bei der Filiale der Kaufhauskette Woolworth zeichnen sich dunkle Wolken ab. Möglicherweise droht hier bald eine neue große Lücke im Stadtbild von Osterode am Harz.
Die Entwicklung schlägt auf das Gemüt der Einwohnerinnen und Einwohner. Doch eine Patentlösung hat niemand parat. Zumal der schleichende Prozess des Rückgangs an Einzelhandel viele Städte in ganz Deutschland betrifft. Spätestens seit der Coronapandemie hat sich die Entwicklung empfindlich beschleunigt. Deutschlands Innenstädte sterben – und es scheint nur wenig Unterschied zu geben, zwischen Groß- und Kleinstädten. Auch Städte wie Hamburg, Stuttgart oder Köln kämpfen zunehmend mit leeren Geschäften in den Fußgängerzonen. Aber in Kleinstädten ist die Entwicklung schon aufgrund der kürzeren Wege wahrscheinlich stärker sichtbar.
Was tun gegen den Leerstand in den Innenstädten im Harz?
Was aber tun? Darüber zerbrechen sich nicht nur Anwohner und Politik die Köpfe, auch die Wissenschaft untersucht das Phänomen. Dr. Philipp Sacher ist Humangeograph an der Universität Göttingen. Seine Disziplin befasst sich mit der komplexen Wechselwirkung zwischen Menschen und ihrer Umgebung. Er plant ein eigenes Forschungsprojekt dazu, wie Mittelstädte mit sogenannten militärischen Konversionsflächen umgehen, also alten Kasernengeländen zum Beispiel.
Da passt Osterode natürlich genau ins Raster: Einst ein wichtiger Bundeswehrstandort, ein regionales Mittelzentrum, leidet die Stadt nun unter den demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre. Dass es keine fertigen Lösungen dafür gibt, könnte auch daran liegen, dass die Wissenschaft meist nicht auf Kleinstädte wie Osterode schaut: „Städte mit weniger als 100.000 Einwohnern“, sagt Sacher, „werden aus der Forschungsperspektive ein bisschen vernachlässigt.“
Trotzdem kommt Sacher Mitte Dezember extra nach Osterode gereist; schlendert mit den Journalisten vom Harz Kurier durch die vorweihnachtlichen Gassen der Stadt. Noch hat er keine Untersuchungen durchgeführt, aber ihm ist es wichtig, vor Ort gewesen zu sein: „Man muss sich die Städte vor Ort angucken. Nur wenn man sich mit einer Stadt und ihrer Struktur und ihren Kennzahlen auch einmal auseinandersetzt, weiß man, wo die größten Problemlagen sind und wie man ihnen entgegentreten kann.“
Aus der Sicht des Forschers spielt der demografische Wandel eine große Rolle für die aktuelle Entwicklung, ist aber bei weitem nicht der einzige Erklärungsansatz: „Was aber definitiv auch eine Rolle spielt, sind die großen Transformationen unserer Zeit, auch ein kultureller Wandel in der Bevölkerung, zwischen den Generationen. Eine Stadt wie Osterode bleibt nicht statisch – es ziehen junge Menschen weg, Ältere bleiben zurück. Und andere kommen auch wieder zurück. Die Frage ist: Was sind das für Gruppen und was sind deren Bedürfnisse? Und sind das diejenigen, für die man dann die Stadt planen muss? Oder will man lieber versuchen, wieder andere Gruppen in die Stadt hineinzuziehen, neu zu integrieren?“
Sind die Bedingungen für Einzelhandel so schlecht in Osterode am Harz?
Was Sacher in Osterode direkt auffällt: So schlecht sind die Rahmenbedingungen gar nicht. Es gibt mehrere traditionelle Metzger und Bäcker. Ankerpunkte der Nahversorgung. So glücklich können sich andere Städte da nicht mehr schätzen, meint er. Und darüber hinaus verfügt Osterode über eine historische Altstadt mit gepflegten Fachwerkgebäuden, eine stabile Industrie mit guten Arbeitsplätzen. Und am Fuße des Harzes, als Tourismusmagnet, hat die Stadt gute Ausgangsbedingungen, mehr Menschen anzulocken. Ein Hoffnungsschimmer also?
Absolut, findet Sacher. Doch natürlich liegt es am Ende an Ressourcen, sprich Geld, wie diese Basis weiterentwickelt werden kann. Aus seiner Sicht müssten die „individuellen und endogenen Stärken“ von Städten stärker hervorgehoben und neu genutzt werden. Also die Dinge, welche die Stadt jetzt schon auszeichnen.
Gedanken, die in der Osteroder Politik auf fruchtbaren Boden fallen sollten. Bei der Vorstellung des Tourismuskonzeptes vor dem Stadtrat im vergangenen Jahr war genau dies ein zentrales Thema. Zum Beispiel das Fachwerk und die historischen Bauten stärker in den Fokus eines geschlossenen Stadtmarketings zu rücken. Mit dem Ziel, am Ende mehr Menschen anzulocken und in der Stadt zu halten.
Der Einzelhandel stirbt - auch in Osterode am Harz
Eine Reisegruppe, die zufällig den Weg kreuzt, verdeutlicht für den Forscher andererseits ein Problem: Ein Mann sitzt im Rollstuhl. Die Gruppe bleibt kurz vor einem Café stehen – entscheidet sich aber weiterzuziehen. Anscheinend gab es keine Möglichkeit, den Herren im Rollstuhl über die steile Eingangstreppe zu wuchten. „Barrierefreiheit ist ein Thema, das enorm wichtig ist, beim Umbau einer Stadt wie Osterode“, sagt Sacher. Es wundert ihn, dass gerade bei einer alternden Stadtbevölkerung da nicht mehr investiert wird von Seiten des Handels.
Das Einkaufen zu Fuß, es ist mit das größte Problem des Einzelhandels. Mancher sehnt sich die Zeiten zurück, als man mit dem Auto durch die Altstadt, auch auf den Kornmarkt fahren konnte. Für ältere Menschen, die in der Innenstadt einkaufen, wäre das sicherlich ein Gewinn. Aber ehrlicherweise muss man auch attestieren: Zum Einkaufen fahren auch Menschen in Osterode nicht mehr in die Innenstadt. Zu gut ist das Angebot und der Komfort bei den Supermärkten im Umland – alleine schon für das Parken. Gleichzeitig sinkt der Umsatz im stationären Einzelhandel stetig und das schon vor der Pandemie, wie das Ifo-Institut aus München 2022 mitteilt.
Und auch bei aktuell schwächelnder Konjunktur: Der Online-Handel boomt. Dem Online-Portal Statista zufolge ist der sogenannte E-Commerce seit 2019 von 59 Milliarden Euro über 50 Prozent gewachsen, auf über 89 Milliarden Euro im Jahr 2023. Das spüren kleine und große Städte im gleichen Maße, auch weil die Mietpreise stabil bleiben oder sogar ansteigen, wie das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ermittelt hat. Sorgt das veränderte Konsumverhalten also dafür, dass die Innenstädte irgendwann gänzlich leer sein werden? Die Wissenschaft sagt nein – aber es kommt darauf an, wie der Prozess des Wandels begleitet wird.
Geisterstadt Osterode - Sind Einkaufsstädte noch zeitgemäß?
Auch Forscher der technischen Universität Dortmund haben unterschiedliche Herangehensweisen an diese Fragen untersucht. Und haben verschiedene Fallbeispiele aus deutschen Städten analysiert. Für sie ist eines klar: Die Zeiten der Innenstädte als großflächiges Einkaufserlebnis, die seien unwiederbringlich vorbei. Zumindest in kleineren Städten, wie zum Beispiel in Osterode am Harz. Aus ihrer Sicht können sich solche Städte besser aufstellen, indem sie auf einen breiteren Mix bei der Gebäudenutzung bauen. Weg von der Innenstadt als reiner Einkaufs-Ort und hin zu einem Ort mit hochwertigem Aufenthaltserlebnis.
Damit der Prozess des Wandels gelingen kann, müssten Städte ihre vorhandenen Strukturen nutzen und neue Nutzungsideen dafür schaffen. Die Stadt als Erlebnis konzipieren, meint auch Philipp Sacher: „Stadterleben spielt eine immer größere Rolle und gleichzeitig muss aber der Einzelhandel es schaffen, auch andere Kanäle zu bedienen, wenn er denn erfolgreich weiter bestehen möchte.“ Ein Mix aus Arbeit, Freizeit, Geschäften und Gastronomie sei entscheidend. Als Beispiel für einen solchen Prozess nennt er die Stadt Lippstadt in Nordrhein-Westfalen. Dort hat die Stadt bereits 2017 begonnen, einen hybriden Einzelhandel zu etablieren – also zwischen klassischem, stationären Verkauf und Verkauf im Web: Auf einer Online-Plattform kann sich der Einzelhandel mit seinen Produkten präsentieren, wird so das Bindeglied zwischen Online-Versandhäusern und reinem Ladenverkauf.
Entscheidend, so Sacher, sei aber die Ganzheitlichkeit solcher Konzepte: „Alle Ideen müssen sich in die unterschiedlichen Funktionen fügen, die eine Stadt hat: Wohnen, Aufenthaltsqualität, Kultur, Einkaufen und so weiter.“ Erfolgreich seien meistens die Städte, die es schafften, den Einzelhandel in ein gesamtstädtisches Leitbild zu integrieren, das auch Kultur und Stadtgeschichte beinhalte. Denkbar wäre ein Stadtrundgang, unterstützt mit digitalen Angeboten, wie historischen Ansichten auf dem Smartphone, der auch thematisch an Geschäften vorbeiführt, die authentische Produkte der Region verkaufen.
Osterode muss auch die weichen Faktoren mitdenken
Scheint so, als hätten Städte wie Osterode eine ganze Menge Arbeit vor sich. Dabei sei für Sacher aber auch entscheidend, dass sich Osterode nicht isoliert betrachtet: „Wenn Städte wie Herzberg, Bad Lauterberg, Osterode und so weiter ihre Probleme zusammen denken und versuchen würden, eine gemeinsame Marke aufzubauen, das wäre in meinen Augen ein wichtiger Schritt.“
Am Ende seien es eben nicht nur die „harten Faktoren“, wie Sacher sie nennt, die für eine Stadt und ihre Wahrnehmung entscheidend seien. „Wir blicken oft auf Kita-Plätze, Wirtschaftsleistung, Einzelhandel und so weiter. Aber die weichen Faktoren, die so schwer zu fassen sind, auch für die Wissenschaft, die sind ebenfalls entscheidend. Das Gefühl eben. Was macht ein erfolgreiches städtisches Gefühl aus?“ Daran arbeite seine ganze akademische Disziplin. Eine klare Antwort darauf gebe es nicht.
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