Osterode am Harz. Dunkle Wolken hängen über dem Kaufhaus in Osterode am Harz. Doch ein leeres Gebäude kann auch Chancen eröffnen, zeigen Forscher: ein Gedankenspiel.

Die Filiale von Woolworth in Osterode am Harz ist geschlossen – seit November 2023 stehen alle Kassenbänder still. Zwischen dem Eigentümer aus Duisburg und dem Mieter ist ein Streit entbrannt: Es geht um eine defekte Heizungsanlage und einen Wasserschaden. Und auch wenn die Firmenzentrale von Woolworth laut eigenem Bekunden an der Filiale im Harz festhalten möchte, sorgen sich viele Menschen. Denn wenn es am Ende doch dazu kommt, dass Woolworth seine Pforten schließen muss, wäre das ein weiterer Schlag für Osterodes gebeutelte Innenstadt.

Doch ein leeres Gebäude in dieser Größenordnung muss kein Menetekel sein. Das zeigen zumindest Untersuchungen deutscher Forschender von der Technischen Universität Dortmund. Nina Hangebruch und Frank Othengrafen haben 2022 mehrere Städte als Fallstudien betrachtet. Alle haben eins gemeinsam: Große Kaufhäuser, die aus verschiedenen Gründen dem Leerstand anheimgefallen sind. Und sie zeigen dabei Wege auf, wie sich Gemeinden aus der Leerstandsfalle wieder befreien können.

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Deutschlands Kaufhäusern geht es nicht gut

Deutschlands Kaufhäusern geht es nicht gut. Schon in den 90er Jahren setzt ein steter Verfall ein: Hertie, Horten, Strauss, Kaufring waren einst Namen, die überall die Innenstädte dominierten. Seit vielen Jahren ringen darüber hinaus Ketten wie Kaufhof oder Karstadt mit dem Überleben. In dieser Woche musste selbst die schillernde Kaufhauskette KaDeWe ihre Insolvenz eingestehen. Tatsächlich sind laut Hangebruch und Othengrafen zwei Drittel aller Kaufhäuser, die einst in deutschen Städten standen, schon nicht mehr in Betrieb: Tendenz fallend.

Diese Entwicklung wird von vielen Menschen als besonders schmerzhaft empfunden. Die Kaufhäuser waren nicht nur für Jahrzehnte gewohnte Ziele für Shopping und Freizeit, sondern bildeten mit ihrer Architektur auch optische Ankerpunkte. Wie Hangebruch und Othengrafen schreiben, stellen Kaufhäuser für viele Einwohner Strukturen dar, die das Stadtbild nachhaltig bestimmen – die Menschen verbinden die Identität ihrer Stadt mit den Gebäuden.

Leere Geschäfte in der Altstadt von Osterode drücken Stimmung

Kein Wunder also, dass das Thema für viele Menschen emotional aufgeladen ist. Das ist auch in Osterode allgegenwärtig zu spüren. Die leeren Geschäfte in der Altstadt drücken die Stimmung in der Stadt. Das Thema rangiert bereits ganz oben für Politik und Stadtgesellschaft. Doch wenn die Ursachen für die Probleme tief liegen, werden auch die Lösungen dafür nur tiefgreifend sein können – und langwierig. Das Stichwort, das die Wissenschaftler dafür nutzen, ist „Resilienz“, also in etwa Widerstandsfähigkeit oder Belastbarkeit. Um diese erreichen zu können, müssten aber viele gewohnte Vorstellungen von Innenstädten neu gedacht werden.

Zum Beispiel auch der Einzelhandel, der vom einstigen Fokus einer Innenstadt, zu einem gleichberechtigten Teil neben anderen wichtigen Faktoren werden müsse: „[...] in vielen anderen Studien wird deutlich, dass resilienter Einzelhandel, insbesondere im Hinblick auf den sich abzeichnenden Bedeutungsverlust des Einzelhandels in Innenstädten, nur ein Aspekt bei der Planung einer resilienten Innenstadt ist. Anders ausgedrückt: Der städtische Einzelhandel ist nur dann resilient, wenn er Teil eines resilienten und nachhaltigen Stadtsystems ist“, schreiben sie in ihrem Artikel.

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Am Ende hieße das: Falls das Woolworth-Gebäude leer fallen sollte, könnte die Stadt Osterode versuchen, eine Reihe an Maßnahmen anzustoßen, die auch in anderen Städten zum Erfolg geführt haben. Hangebruch und Othengrafen nennen zehn Punkte, darunter ein Nutzungsmix, Flexibilität in der Nutzung, Integration von gemeinwohlorientierter Verwendung und Innovation bei kreativen und offenen Nutzungskonzepten. Aber auch die Pflege bestehender Gebäude und ihre Integration in die städtische Umgebung nennen die Wissenschaftler – gerade weil solche Gebäude oft eine identitätsstiftende Wirkung haben.

Die Filiale von Woolworth in Osterode am Harz im Januar 2024.
Die Filiale von Woolworth in Osterode am Harz im Januar 2024. © FMN | Kevin Kulke

Beispiele für die Nutzung von alten Kaufhäusern: Auch für Osterode eine Lösung?

Was heißt das nun konkret für Osterode? Pauschal kann man das natürlich nicht beantworten. Aber ein Blick auf die Fallstudien der zwei Forschenden zeigt, dass es auch für Städte wie Osterode Lösungen geben kann, wenn große Kaufhäuser plötzlich brach liegen. Ein Beispiel ist das alte Hertie-Kaufhaus in Lünen. Wie Hangebruch und Othengrafen es schildern, gestaltet die Stadt ab 2014 das komplette Gebäude um, schafft Wohnungen, kleinere Geschäfte und Platz für mehrere Restaurants. Eine eher klassischere Idee der Nachnutzung eines Hauses, dass die Stadt zuvor lange geprägt hat. Für die architektonische Neugestaltung haben die Planer am Ende sogar mehrere Preise gewonnen.

Einen anderen Weg ist die Stadt Frankfurt an der Oder gegangen. Ein Kaufhaus für Kinderbekleidung in der Innenstadt stand lange leer, bis die Sparda Bank Berlin begann, das Gebäude mit einem innovativen Nutzungskonzept umzubauen. Ganz auf die Bedürfnisse der Stadtbevölkerung und der Studierenden der örtlichen Universität ausgerichtet, wurde das Gebäude zu einem Bank-Café-Hybriden. Die Bankangestellten dienen dort nebenbei als Baristas. Start-ups, Kulturveranstaltungen und Freischaffende haben im sogenannten „Blok O“ Platz für ihre Arbeit. Ein kreativer Ansatz, der sich auch in das Netzwerk der Stadtgesellschaft eingepasst hat und als Ort für viele verschiedene Nutzungen fungiert.

Das ehemalige Kaufhaus für Kinderkleidung in Frankfurt an der Oder, vor seiner Umgestaltung.
Das ehemalige Kaufhaus für Kinderkleidung in Frankfurt an der Oder, vor seiner Umgestaltung. © Blok O | Blok O

Ein drittes Beispiel, dass sich Hangebruch und Othengrafen näher angesehen haben, ist die „Gläserne Werkstatt“ in Solingen. Mit dem Ziel die lokale Wirtschaft zu stärken wurde hier aus einem alten Kaufhaus ein Ort, der Akteure aus Handel und Stadtgesellschaft miteinander in Kontakt bringt: in kleinen Werkstätten, Ausstellungen und Vermarktung von Produkten aus der Region. Hier haben die Verantwortlichen auf viel Flexibilität und Multifunktionalität gesetzt. Ob das Projekt langfristig Bestand haben wird, ist indes unklar: Der Mietvertrag läuft nur bis 2027.

Heute bietet die Sparda Bank im „Blok O“ Kreativen und Menschen, die sonst nach Berlin pendeln müssten, Platz für ihre Arbeit – die Bankangestellten fungieren nebenbei als Baristas.
Heute bietet die Sparda Bank im „Blok O“ Kreativen und Menschen, die sonst nach Berlin pendeln müssten, Platz für ihre Arbeit – die Bankangestellten fungieren nebenbei als Baristas. © Blok O | Blok O

Woolworth Osterode: Inspiration für eine neue Innenstadt am Harz?

Die Beispiele aus der Forschung der TU Dortmund sind zweifelsohne nur Inspirationen. Zum einen sind die Projekte, die sie betrachtet haben, aus Städten mit wesentlich mehr Einwohnerinnen und Einwohnern haben als Osterode. Zum anderen zeigt die Analyse nicht, wie viele ähnliche Projekte dieser Art in Deutschland bereits gescheitert sind. Außerdem muss jede Kommune sich nach der eigenen Decke strecken. Zur Haushaltseinbringung der Stadt Osterode hatte Bürgermeister Jens Augat (SPD) erst Anfang Januar daran erinnert, dass die Stadt nicht jedes Gebäude einfach kaufen kann.

Aber dennoch zeigt die Untersuchung, dass es Wege gibt, leere Strukturen wieder mit Leben zu füllen – sofern man sich von den strikten Vorstellungen einer Innenstadt als Ort des reinen Kommerzes trennt. Denn diese werden wahrscheinlich nicht wieder kommen, darin sind sich viele Wissenschaftler und auch Branchenmitglieder einig. Eckhard Brockhoff, ein Immobilienexperte aus Essen, sagte schon 2020 dem Medienunternehmen „Correctiv“, dass Einzelhandel in Innenstädten langfristig nur noch im Parterre eine Chance habe. Dass Woolworth in Osterode sein Obergeschoss schon seit Jahren nicht mehr in Benutzung hat, unterstreicht diese Auffassung.

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Für Osterode müssen die düsteren Aussichten bei Woolworth also keine Hiobsbotschaft sein. Auch weisen die Forschenden aus Dortmund darauf hin, dass für 95 Prozent aller geschlossenen Kaufhäuser eine neue Verwendung gefunden werden konnte. Dabei gehe es meistens um Zeit: Im Schnitt brauche es fünf Jahre, bis ein neues Konzept gefunden sei. In den meisten Fällen komme es dabei zur Umwandlung und Kernsanierung des alten Gebäudes.

Was bei all diesen Überlegungen aber bisher außen vor geblieben ist: Woolworth selbst. Die Kaufhauskette mit Fokus auf dem Discount-Markt hat nämlich unterdessen keinen Grund zu klagen. Im Gegenteil: Woolworth ist in den letzten Jahren von rund 400 Geschäften auf über 600 Filialen gewachsen und plant weitere Expansion. 1.500 Filialen nur in Deutschland hat Geschäftsführer Roman Heini erst im Herbst 2023 als Ziel ausgegeben.

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