Wolfsburg. Auf der letzten Betriebsversammlung des Jahres sprach der Manager über die Risiken und Chancen, die die Zukunft bringt.

Warum sind im Wolfsburger VW-Stammwerk nicht genügend Halbleiter verfügbar, um auch die Golf-Linien durchlaufen zu lassen? Die Frage ist spannend. Und sie bleibt der Belegschaft und insbesondere den Golf-Teams wohl auch im neuen Jahr erhalten – obwohl der Auftragsbestand der Marke VW so hoch ist wie noch nie. Diese verworrene Situation hat Markenchef Thomas Schäfer auf der jüngsten Betriebsversammlung zum Anlass genommen, die Dinge ins Verhältnis zu setzen.

„Aktuell haben wir 650.000 Fahrzeuge in den Büchern“

„Aktuell haben wir 650.000 Fahrzeuge in den Büchern, so viele wie nie. Das müssen wir jetzt zügig abarbeiten, damit unsere Kunden ihren neuen VW so schnell wie möglich bekommen. Klar ist aber auch: Der Start ins Jahr 2023 wird uns alles abverlangen: Wir haben nach wie vor zu wenig Halbleiter und Teile, der Wettbewerb bleibt knallhart und die Energie- und Rohstoffkosten belasten uns zusätzlich. Und was noch on-top für uns alle kommt, ist die gestiegene Inflation, die nichts anderes bedeutet, als dass die Menschen weniger Geld in der Tasche haben. Wichtig ist: Wir lassen Euch nicht im Regen stehen“, sagte der Vorstandschef der Kernmarke in Halle 11. Doch warum landen zu wenige Chips am Mittellandkanal? Mit Blick auf das Konzernergebnis, das bei weniger Absatz mehr Geld in die Kasse fließen ließ, machte Schäfer deutlich, wie das Geschäft läuft: „Das Operative Ergebnis konnte der Konzern im selben Zeitraum um 22,5 Prozent auf 17 Milliarden Euro steigern – dank einer starken Performance von Audi,Porsche und den anderen Premium- und Luxusmarken. Sie haben mehr der knappen Halbleiter bekommen, weil wir mit diesen Produkten das meiste Geldverdienen.“ Das wäre also ein- für allemal geklärt.

Die Marke VW verkauft vor allem gut ausgestattete Autos

Dass gerade die Produktionsteams in Wolfsburg ob der ständigen Kurzarbeit, der Auflösung der Nachtschichten und der erhöhten Flexibilität im Personaleinsatz gefrustet sind, ist Schäfer wohl bewusst: „Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich freue mich in diesem Jahr besonders auf ein paar Tage des Durchatmens. 2022 war turbulent und anstrengend. Für mich auch ein ganz besonderes Jahr, weil ich die Verantwortung für die Marke VW übernehmen durfte, die wir jetzt gemeinsam in die Zukunft führen.“ Die Bilanz der Marke nach neun Monaten kann sich laut Schäfer sehen lassen: „Wir haben in den ersten 9 Monaten des Jahres weltweit 3,3 Millionen Fahrzeuge an Kunden ausgeliefert – ein Minus von gut 12 Prozent, vor allem aufgrund der angespannten Versorgungslage. Das Operative Ergebnis konnten wir auf 2,5 Milliarden Euro verdoppeln, weil wir vor allem gut ausgestattete Autos verkaufen konnten und sich die Auslieferungen im 3. Quartal erholt haben. Unsere Umsatzrendite liegt bei stabilen 4,7 Prozent. Damit haben wir unter schwierigen Bedingungen das geschafft, was wir uns vorgenommen hatten. Zunächst mal zeigen diese Zahlen: Volkswagen fährt trotz des extrem herausfordernden Umfelds auf Kurs. Das ist gut. Ein bärenstarke Teamleistung. Danke dafür!.“ Doch das letzte Quartal war dann laut Schäfer wieder wirklich schwierig. „Wir kämpfen darum, ein ordentliches Jahresergebnis für die Marke einzufahren. Und was die Zahlen auch nicht zeigen: Die großen Unsicherheiten, mit denen Ihr, mit denen wir in diesem Jahr umgehen müssen. Ich verstehe, dass sich viele von Euch Sorgen machen. Fakt ist: Wir hatten schon einmal ruhigere Zeiten hier am Mittellandkanal. Ich bin damit genauso wenig zufrieden wie Ihr es seid. Die Beschaffungssituation darf nicht so bleiben. Punkt. Und dennoch habt Ihr alle bewiesen, was in Euch steckt: Mit Ruhe, Durchhaltevermögen und einem hohen Maß an Flexibilität habt Ihr, haben wir es als Team VW geschafft, unser Unternehmen durch dieses schwierige Fahrwasser zu steuern“, bilanzierte Schäfer, der im Sommer den Chefposten von Ralf Brandstätter übernommen hatte.

„Es ist eine Verpflichtung, dass wir gemeinsam Gas geben“

In seinen Dank schloss Schäfer „ganz besonders“ auch Betriebsratschefin Daniela Cavallo ein: „Frau Cavallo, ich schätze Ihren Sachverstand, Ihre Unaufgeregtheit und Ihre Zielstrebigkeit. Wir wissen: Es geht nur gemeinsam. Und ich denke, das leben wir“. Den sehr passablen Tarifabschluss für VW ordnete der Top-Manager so ein: „Trotz der enormen Belastungen für unser Unternehmen haben wir gemeinsam mit dem Betriebsrat einen Tarifabschluss hinbekommen, der für beide Seiten tragfähig ist – mit deutlichen Entgelt-Erhöhungen und Inflationsausgleich. Wir tragen damit der gesamtwirtschaftlich angespannten Lage Rechnung. Dieser Tarifabschluss ist mehr als ordentlich! Er ist aber auch Verpflichtung, dass wir jetzt gemeinsam Gas geben.“ Davon soll künftig vor allem die Kundschaft profitieren. Schäfer: „Nicht erst übermorgen, sondern so schnell wie möglich. Wir haben keine Zeit zu verlieren! Die Kunden werden nicht warten, bis wir uns intern lange sortiert haben. Einen ersten „Quick Win“ habt Ihr vielleicht schon mitbekommen: Wir bringen das Tastenlenkrad zurück. Den Anfang machen der Passat und Tiguan. Darum geht es: Den Kunden genau zuhören und dann schnell umsetzen. Gleichzeitig schärfen wir unseren Fokus und schrecken auch nicht davor zurück, alte Zöpfe abzuschneiden. Bezogen auf unser Produktportfolio heißt das: Wir konzentrieren uns in Zukunft auf unsere Kernmodelle und vereinfachen in den nächsten 10 Jahren spürbar unser Modellangebot. Volkswagen war immer erfolgreich mit starken, global erfolgreichen Kernmodellen: dem Golf, dem Tiguan, dem Passat und auch dem T-Roc. Wir müssen nicht alles machen. Aber das was wir machen, richtig gut! 100 Prozent VW, 100 Prozent auf den Punkt.“

„Wir haben ein erfahrenes, internationales und vielfältiges Team“

Dabei setzt der VW-Chef auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von deren Können und Leidenschaft er überzeugt ist. „Ein Wegbegleiter hat mir vor meinem Antritt als VW-Chef gesagt:„Thomas, VW ist ein Tanker! Glaub‘ ja nicht, dass Du da schnell etwas bewegen kannst. Ich muss Euch sagen: Ich habe das in meinen ersten Monaten durchaus anders erlebt – in Wolfsburg und auf der ganzen Welt. Egal ob in der Vorstandssitzung, der Werkshalle oder in den Büros: Es sind die Menschen, die den Unterschied ausmachen! Wir haben in unserer Marke ein erfahrenes, internationales und vielfältiges Team. Diese Stärken muss genutzt werden. Und was für eine Leidenschaft und Begeisterung wir entfachen können, hat mir auch unsere erste VW Classic Tour gezeigt. Da ging es nicht darum, wer den ersten Platz macht, sondern dass wir als Team, als VW-Familie zusammenkommen. Mir hat das unglaublich gut gefallen und ich freue mich bereits aufs nächste Jahr. Apropos Familie: Wir werden auch ein großes Familienfest hier in Wolfsburg nach den Werksferien für Euch organisieren. Auch darauf können wir uns alle freuen.“

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