Wolfsburg. Bislang kannten nur wenige den VW-Zulieferer Boryszew aus Gardelegen. Aber dessen Innenraumteile sind auch für Wolfsburg wichtig.

Der 24-stündige Warnstreik beim VW-Zulieferer Boryszew Kunststofftechnik Deutschland GmbH in Gardelegen hat einmal mehr gezeigt, dass nicht nur weltweite Versorgungsengpässe die Produktion in den deutschen Werken gefährden. Nein: Auch Probleme, die rund 40 Kilometer vor der eigenen Haustür auftreten, können sich dramatisch auswirken. Volkswagen kann nichts für den Warnstreik beim Zulieferer. Aber die Angelegenheit ist so relevant, dass sich VW-Vertreter am Dienstag umgehend ein Bild vor Ort gemacht haben und das Gespräch mit dem dortigen Management gesucht haben. Das berichtet Jan Melzer, Gewerkschaftssekretär und Verhandlungsführer der IG Bau, Chemie und Energie (IG BCE) auf Anfrage unserer Zeitung.

„In Wolfsburg könnte man ein paar Tage länger durchhalten“

Boryszew ist in der öffentlichen Wahrnehmung bei Weitem nicht so bekannt wie die großen Zulieferer oder etwa Prevent, das den Autobauer vor Jahren zu einem Produktionsstopp trieb. Aber in der Just-in-Time-Kette spielt das im polnischen Besitz befindliche Unternehmen doch eine nicht unbedeutende Rolle. Es stellt Kunststoff-Interieurteile für Türen oder Mittelkonsolen her. Da VW keine großen Lagerbestände mehr aufbaut, sind die Werke in Wolfsburg und auch das E-Werk in Zwickau auf eine passgenaue Versorgung angewiesen. Das weiß auch Melzer. „Der Puffer in Wolfsburg ist größer als in Zwickau. In Wolfsburg könnte man ein paar Tage länger durchhalten“, sagt der Gewerkschafter. Natürlich ist die Versorgungssicherheit von zwei so relevanten Werken ein erhebliches Druckmittel. Volkswagen soll laut Melzer sogar angeboten haben, sich finanziell an der Beteiligung des Gardeleger Werkes zu beteiligen.

Ohne Fortschritte drohen weitere Warnstreiks - mit Folgen für VW

Vor allem das Boryszew-Management muss sich nun in den Verhandlungen um höhere Stundenlöhne und eine Einmalzahlung bewegen. Die Botschaft ist laut Melzer auch angekommen. Er habe noch am Dienstag einen Anruf aus Warschau erhalten, wo das Top-Management der Unternehmensgruppe sitzt. Allerdings sei das spontan gemachte Angebot indiskutabel gewesen. „Wir hatten anschließend unsere Warnstreik-Kundgebung. Unsere Leute haben das Angebot mit Buh-Rufen kommentiert“, erzählt der Gewerkschafter. Am nächsten Freitag soll nun eine weitere Verhandlungsrunde starten. Sollte es keine Fortschritte geben, erwägt die IG BEC für nächste Woche weitere Warnstreiks. In Wolfsburg wird noch bis zum 25. Juli produziert, dann beginnen die Werksferien

„Die Leute haben keinen Bock mehr“

Die Vorwürfe der Gewerkschaft sind heftig. „Die Leute haben einfach keinen Bock mehr auf das Verhalten der Geschäftsführung, das jegliche Wertschätzung vermissen lässt. Denn nach insgesamt 5 Verhandlungsrunden und einer Protestkundgebung im März dieses Jahres, gibt es in der aktuellen Tarifrunde bei Boryszew noch immer kein verhandlungsfähiges Angebot des Arbeitgebers. Die betriebliche Tarifkommission hat daraufhin die Tarifverhandlungen bereits am 15. Juni für gescheitert erklärt. Die Fronten sind dadurch unnötig verhärtet. Es gilt solidarisch die Blockadehaltung der Geschäftsführung aufzubrechen“, heißt es in einer Pressemitteilung der IG BCE. Gewerkschaftssekretär Melzer wird mit dieser Aussage zitiert: „Die Beschäftigten haben innerhalb der letzten 2 Jahre durch Entgeltverzicht von durchschnittlich 20 Prozent während der Kurzarbeitsphase dafür gesorgt, dass der Standort weiter existiert. Jetzt wo die Produktion wieder auf voller Leistung läuft, verlangen sie einen gerechten Anteil. Allein die extrem gestiegenen Lebenshaltungskosten zwingen uns dazu hier härtere Bandagen zu fahren. Wie soll ein Mitarbeiter mit 11,10 Euro Stundenlohn einer Steigerung der Strom und Gaskosten von bis zu 150 Prozent verkraften, ohne dafür einen Ausgleich zu erhalten. Das Entgeltniveau bei Boryszew liegt sogar noch unter dem der Leiharbeit. Jeder Mitarbeiter im Supermarkt erhält einen deutlich höheren Stundenlohn als bei Boryszew. Die Kolleginnen und Kollegenmüssen aber dafür im 4-Schichtsystem unter widrigsten Arbeitsbedingungen ihre Leistung erbringen. Das soll wenigstens entsprechend vergütet werden. Es ist Aufgabe des Managements, die derzeit höheren Energie- und Rohstoffkosten an den Kunden, sprich Volkswagen, weiterzureichen. Wenn das nicht gelingt, muss VW auch damit leben, dass durch Streiks in der Folge auch die Bänder in Wolfsburg und Zwickau stehen werden. Den Vorgeschmack bekommen sie bereits mit diesem ersten Warnstreik.“

Gardelegen gehört einer der größten Industriegruppen Polens

Die Gruppe Boryszew Automotive Plastics (BAP) mit Stammsitz in Warschau besteht aus Unternehmen, die auf die Massenproduktion von hochwertigen Kunststoffteilen für den Automobilsektor spezialisiert sind, die innerhalb und außerhalb von Autos verwendet werden, einschließlich verzinkter und lackierter Kunststoffteile und Spritzgussformen für die Herstellung dieser Elemente. BAP ist Teil der Kapitalgruppe Boryszew SA, die seit 1996 an der Warschauer Börse notiert ist und eine der größten Industriegruppen in Polen ist. Die Boryszew-Gruppe ist auf die Herstellung von Autoteilen, die Verarbeitung von Nichteisenmetallen und die Industriechemie spezialisiert. Es betreibt 30 Produktionsstätten und F&E-Zentren in Europa, Asien und beiden Amerikas. In Gardelegen beschäftigt BAP rund 550 Mitarbeiter/innen. Schließungsgerüchte aus dem Vorjahr hatte das Unternehmen dementiert.

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