Fallersleben. Das Modehaus Biewendt in der Fallersleber Altstadt besteht 125 Jahre. Einst eröffnete im Kellergeschoss der erste Aldi in Wolfsburg. Eine Zeitreise.

So modern das Geburtstagskind daherkommt mitten in der Fallersleber Altstadt, mag mancher kaum glauben, dass er vor Wolfsburgs ältestem Kaufhaus steht: 1898 wurde das Modehaus Biewendt eröffnet, jedoch an anderer Stelle. Zur wechselvollen 125-jährigen Firmengeschichte gehören ein verheerender Brand und die Eröffnung des ersten Aldi-Marktes in Wolfsburg. Geschäftsführerin Susanne Kucharzik-Harris erinnert sich anlässlich des seltenen Jubiläums.

Firmengründer war Andreas Biewendt, der das Bekleidungsgeschäft in der Kampstraße 6 eröffnete, wo heute eine Versicherung ansässig ist. Er vermachte das Modehaus an seinen Sohn Carl Biewendt. Doch dessen Ehe war kinderlos, es fand sich kein Nachfolger.

„Auf einer Zugfahrt nach Hamburg hat er damals unseren Vater kennengelernt“, blickt die heutige Chefin zurück. Heinz Kucharzik stieg zunächst als Mitarbeiter ein und kaufte Biewendt 1961 das Modehaus ab.

Jubiläumsfoto: Senior-Chefin Herta Kucharzik (Mitte) und Biewendt-Geschäftsführerin Susanne Kucharzik-Harris (rechts, in Weiß) mit ihrem Team.
Jubiläumsfoto: Senior-Chefin Herta Kucharzik (Mitte) und Biewendt-Geschäftsführerin Susanne Kucharzik-Harris (rechts, in Weiß) mit ihrem Team. © Modehaus Biewendt

Verheerendes Feuer zerstörte Fachwerkhaus am heutigen Firmensitz

Da die Familie Kucharzik seinerzeit noch in Bad Bevensen wohnte und dort einen Textilladen betrieb, pendelte der Vater zunächst, baute sein neues Geschäft in Fallersleben aus und gab den Laden in der Heide auf, als die Familie am 31. März 1962 in die Hoffmannstadt zog. Doch die Geschäftsräume samt Wohnung darüber wurden irgendwann zu klein, und es bot sich das Grundstück in der heutigen Marktstraße 2 an, erzählt Susanne Kucharzik-Harris, studierte Betriebswirtin und seit 1985 Geschäftsführerin der GmbH & Co. KG.

Dort stand damals noch ein altes Fachwerkhaus, früher Sitz der Drogerie Walkering. Also wurde ein Neubau geplant und mit dem Abriss der Ruine begonnen. „Der Rest ist den Flammen zum Opfer gefallen“, blickt die Chefin mit ihrer älteren Schwester Christiane Mette zurück, die wie auch die jüngere Schwester Anja Kucharzik im Unternehmen mitarbeitet.

Passiert ist es in der Nacht zum 1. Mai 1972, erinnern sich die beiden. Ein verheerendes Feuer zerstörte das alte Haus. „Die ganze Altstadt war in Gefahr, denn in der Ruine lagerten Chemikalien von der ehemaligen Drogerie. Es herrschte Explosionsgefahr, es gab Katastrophenalarm.“ Ein Schock nicht nur für die Kaufmannsfamilie.

Der Stammsitz des Modehauses Biewendt in der Kampstraße 6.
Der Stammsitz des Modehauses Biewendt in der Kampstraße 6. © regios24 (repro) | Lars Landmann

Heinz Kucharzik vermietete im Neubau an ersten Aldi in Wolfsburg

Ärger gab es zuvor, weil Denkmalschützer das Fachwerkhaus im damals noch eigenständigen Städtchen Fallersleben erhalten wollten, der Landkreis Gifhorn den Neubau aber genehmigt habe, erinnern sich die Schwestern. Vor 50 Jahren zog Biewendt dann in die Marktstraße – und stand nach der Gebietsreform plötzlich in Wolfsburg.

Ein Kuriosum, viele Fallersleber wissen es noch: Im Kellergeschoss eröffnete 1973 noch vor dem Modehaus der erste Aldi in ganz Wolfsburg. „In Wolfsburg wollte damals niemand sonst Aldi als Mieter.“ Der Discounter blieb bis zum Umzug in den Schulzen Hof vor 35 Jahren.

Auf dem heutigen Biewendt-Grundstück stand einst ein Fachwerkhaus.
Auf dem heutigen Biewendt-Grundstück stand einst ein Fachwerkhaus. © regios24 (repro) | Lars Landmann

Schwerer Schicksalsschlag für Kaufhaus Biewendt

Ein schwerer Schicksalsschlag traf die Familie 1979, als Vater Heinz starb und Mutter Herta mit den drei Töchtern sowie einem Schuldenberg wegen des Neubaus plötzlich allein da stand. „Wir sind dann immer viel hier gewesen und eingesprungen. Und unsere Mutter hatte zuverlässige Mitarbeiter“, erinnert sich die älteste der drei Schwestern. Bis heute bestehe eine enge Verbundenheit zu vielen Mitarbeitern, wie auch zur Stammkundschaft. „Wir pflegen das, wir sind ein Familienbetrieb.“

Senior-Chefin Herta Kucharzik schließt auch mit 94 Jahren noch jeden Morgen das Geschäft auf und arbeitet einige Stunden mit, wie Susanne Kucharzik-Harris stolz berichtet. Ihre Söhne wollen jedoch leider nicht in ihre Fußstapfen treten, erzählt sie.

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Fallersleber Traditionskaufhaus hat sich immer weiterentwickelt

Trotz schwerer Zeiten, auch durch VW-Krisen, hat sich das Traditionskaufhaus behauptet und immer weiterentwickelt. „Nur so etwas Gruseliges wie Corona gab’s noch nie“, sagt die Chefin kopfschüttelnd. „Aber die anfängliche Panik ist besser geworden. Wir sind auf dem Weg zum Vor-Corona-Niveau.“ Ganz bewusst hat sich das Unternehmen übrigens gegen den Online-Handel entschieden.

Am Sortiment hat sich im Laufe der Jahrzehnte wenig geändert. Heute hat Biewendt auf 1200 Quadratmetern Verkaufsfläche Damen-, Herren- und Kindermode, Unterwäsche, Handtücher, Bettwaren sowie Bettenreinigung im Angebot und beschäftigt 14 Stamm-Mitarbeiter.

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