Wolfsburg. Ein Antrag der CDU und PUG scheiterte im Ausschuss – zur Enttäuschung der betroffenen Eltern, deren Kinder keinen Platz bekommen haben.

Die Enttäuschung stand den betroffenen Familien ins Gesicht geschrieben: „Das ist ein besch… Tag für Wolfsburg“ entfuhr es glatt einem Ausschussmitglied. Was war geschehen? Das Gremium hatte soeben, mit haarkleiner Mehrheit, den Antrag von CDU und PUG abgelehnt, übergangsweise eine fünfte 5. Klasse am Gymnasium Fallersleben einzurichten, um all jene Kinder, die im Losverfahren keinen Platz an ihrer favorisierten Schule erhalten hatten, doch noch aufzunehmen. Eine denkbar knappe Entscheidung: Am Ende stand es 9:8.

Die Stimmung an diesem Sitzungstag war schon aufgeladen, bevor der Schulausschuss seine Sitzung überhaupt begann. Im Vorfeld hatten sich mehrere Eltern mit ihren Kindern an unsere Zeitung gewandt, weil sie das angewendete Losverfahren als unfair empfanden. Kinder, die nur einen gefühlten Steinwurf vom Gymnasium ihrer Wahl entfernt wohnen, sollen nun auf eine viel weiter entfernt liegende Schule gehen, die sie sich nicht ausgesucht haben – das sei sowohl aus sozialen Gesichtspunkten, als auch aus zeitlichen sowie Gründen des Umweltschutzes falsch, argumentierten Eltern wie Kommunalpolitiker.

Eltern kritisieren Losverfahren

„Die freie Schulwahl gibt es so nicht mehr. Sie ist längst ein Glücksrad“, trug etwa der Fallersleber Vater Tillmann Frey in der Einwohnerfragestunde vor. 23 Kinder, davon sieben aus Ehmen, drei aus Fallersleben und drei aus Mörse, haben im Zuge des Losverfahrens keinen Platz am Fallersleber Gymnasium erhalten.

Grund dafür, dass das Losverfahren überhaupt zur Anwendung kommt, ist die Aufhebung der Schulbezirke: Schon seit Jahren können Eltern und Kinder frei entscheiden, welche weiterführende Schule für sie die richtige ist. Der Wohnort spielt nur noch eingeschränkt eine Rolle; Vorrang haben weiterhin Wolfsburger Kinder gegenüber Auswärtigen.

Freie Plätze am Albert-Schweitzer-Gymnasium

Ein wunder Punkt, der am Sitzungstag für explosiven Diskussionsstoff sorgte: Viele freie Plätze gibt es nach Ablauf der Anmeldephase für die weiterführenden Schulen am Albert-Schweitzer-Gymnasium. Die betroffenen Eltern argumentieren, dort würden nun die abgelehnten Schülerinnen und Schüler aus Fallersleben die, sinngemäß, „unbeliebten“ Plätze zugeteilt bekommen.

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„Keiner will ans ASG“, warf eine aufgebrachte Mutter dem Schulausschuss vor. Und bekam sogleich Gegenwind – sowohl aus den Zuschauerreihen, wo auch Angehörige des ASG Platz genommen hatten, als auch von der Ausschussvorsitzenden Christa Westphal-Schmidt (SPD), die zur Mäßigung aufrief.

Explosiver Gesprächsstoff: Hitziger Schlagabtausch

Denn die Diskussion über das emotionale Thema lief mitnichten nüchtern ab. Dezernentin Iris Bothe wurde in ihrer Antwort an die Eltern durch Zwischenrufe unterbrochen; ebenfalls lieferten sich die anwesenden Eltern einen kleinen Schlagabtausch. Fast schien es, als stünden sich ASG und Gymnasium Fallersleben feindlich gegenüber.

Ein Eindruck, den der Fallersleber Vater Tillmann Frey bedauert. „Es hat uns sehr irritiert, dass das ASG mit so vielen Elternvertretern und dem Schulleiter da waren und offensiv gegen das Interesse der abgelehnten GyFa-Kinder und gegen den Antrag von CDU/PUG gesprochen haben“, sagte er im Nachgang unserer Zeitung. „Das schien gut organisiert. Hier wurde eine Gegnerschaft inszeniert, die es nicht gibt. Wir wollen nur nicht, dass Kinder Spielball von Schulpolitik werden.“

Dezernentin Bothe: ASG ist nicht Schule zweiter Klasse

Und auch aus dem Ausschussgremium kamen Stimmen, die einen Wettbewerb zwischen den Gymnasien in Wolfsburg vermeiden wollen. „Wir haben fünf gleichwertige, gute Gymnasien“, betonte Iris Bothe. Es könne nicht von „Restplätzen“ am ASG die Rede sein, im Gegenteil gebe es viele Schülerinnen und Schüler, die gerne das Albert-Schweitzer-Gymnasium besuchten.

Überhaupt bemühte sich Dezernentin Iris Bothe deutlich um Diplomatie in der aufgeheizten Diskussion. „Alle Seiten haben Recht“, sagte sie gleich eingangs; es gehe darum, die verschiedenen Perspektiven in Betracht zu ziehen.

Elternwünsche stehen Verwaltungsbedenken gegenüber

Betroffene Familien wandten sich an unsere Zeitung: Sie wurden abgelehnt, obwohl sie in der Umgebung der Schule wohnen.
Betroffene Familien wandten sich an unsere Zeitung: Sie wurden abgelehnt, obwohl sie in der Umgebung der Schule wohnen. © regios24 (Archiv) | Helge Landmann

Und die sehen so aus: Eltern wie Schülerschaft wünschen sich den Zugang zu dem Gymnasium, das sie sich ausgewählt haben. Sie möchten Freundschaften nicht aufs Spiel setzen, den kurzen Weg zur Schule haben, nicht unnötig Zeit auf dem Schulweg verlieren. Auf Nachfrage bei der Schule und der zuständigen Landesbehörde habe es geheißen, eine fünfte fünfte Klasse sei umsetzbar, argumentierte Tillmann Frey im Namen der betroffenen Familien.

Die Verwaltung auf der anderen Seite sieht zum Einen die Zahlen: 599 Anmeldungen, 600 Schulplätze. Zwar sei, je nach Bevölkerungsprognose, irgendwann sicher der Punkt erreicht, an dem die festgelegte Vierzügigkeit aller Wolfsburger Gymnasien nicht mehr ausreiche, so Bothe. Doch der Zeitpunkt sei noch nicht erreicht.

Lehrermangel stellt die Stadt vor große Schwierigkeiten

Der aber wohl wichtigste Punkt: Die Aussage, eine fünfte 5. Klasse sei realistisch umsetzbar, hält Iris Bothe für zweifelhaft. „Ich bin überrascht von diesen Aussagen“, sagte sie, „denn die Lehrerversorgung ist jetzt schon desaströs.“ Sie liege in Wolfsburg bei nur 83 Prozent. „Zum Teil fallen Stunden und ganze Fächer jetzt schon aus“, so Bothe, „das Thema ist nicht trivial.“

Wie sehr der Lehrermangel die Zukunftsüberlegungen belastet, betonte Bothe am Ende der Diskussion erneut. „Es ist nicht das letzte Mal, dass Sie Wünsche nicht erfüllen werden können“, warnte die Dezernentin die Ausschussmitglieder. Nicht nur die Lehrkräfte fehlten, auch das Geld – und am Schulzentrum Fallersleben habe zwar das Gymnasium genug Platz, Realschule und Hauptschule fehlten jedoch bereits jetzt Unterrichtsräume.

Antrag erhält acht Für- und neun Gegenstimmen

Gespalten zeigten sich die Ausschussmitglieder. Für die fünfte 5. Klasse sprachen sich CDU und PUG aus. „Das ASG ist halt in Westhagen“, sagte Jan Schröer (PUG) schulterzuckend. Die Ausstattung sei alt. Constanze Rößler (CDU) betonte: „Wir sind nicht gegen das ASG, aber es geht ja nicht nur um einzelne Kinder, sondern eine ganze Schulklasse, die beim Losverfahren keinen Platz bekommen hat.“ Und: „Schüler brauchen soziale Gruppen.“

Gegen den Antrag positionierten sich die anderen Fraktionen. „Es ist eine ganz schwierige Situation“, sagte Maike Woehlk (FDP), ihre Fraktion habe lange diskutiert, trage den Antrag aber nicht mit. „Soziale Aspekte und Fahrgemeinschaften sind wichtig, sollten aber nicht überbewertet werden“, befand Kerstin Struth (SPD). Es gehe darum, dass sich durch die Auflösung der Schulbezirke Schulen mit unterschiedlichen Profilen und Schwerpunkten ausbilden konnten. „Alle Schulen sind mit Fahrrad und Bus gut zu erreichen.“

Eltern sind enttäuscht: Auch Stadtelternrat stimmte gegen sie

Gegen den Antrag positionierte sich auch der Stadtelternrat in Person seines Vorsitzenden Alexander Paul. Man müsse das Losverfahren akzeptieren, wenn man nicht wolle, dass die Schulbezirke wieder eingeführt würden, so Paul. Eine Aussage, die Tillmann Frey im Nachgang bedauerte. „Wir als betroffene Eltern sind sehr enttäuscht, dass gerade der Stadtelternrat uns die entscheidende Stimme verwehrt hat“, so Frey gegenüber unserer Zeitung.

In Stein gemeißelt ist die knappe Entscheidung des Ausschusses gegen eine vorübergehende Fünfzügigkeit des Gymnasiums Fallersleben aber nicht. Endgültig entscheidet, wie immer, der Rat der Stadt. Die nächste Sitzung findet am Dienstag, 12. Juli, statt.