Wolfsburg. Fürs neue Schuljahr hat das Gymnasium Fallersleben per Losverfahren etliche Schüler abgelehnt. Gefrustete Familien berichten von zwei krassen Fällen.

Es passiert immer wieder – und es sorgt immer wieder für Frust und Unverständnis bei den betroffenen Familien: Weil das Gymnasium Fallersleben so beliebt ist, gab es für die fünften Klassen zum neuen Schuljahr 2022/2023 wieder mehr Anmeldungen als Plätze. Weshalb wieder das Losverfahren angewendet werden musste. Krass: Unter den Abgelehnten sind auch zwei Schüler, die direkt am Schulzentrum wohnen!

Für etliche betroffene Familien, die in Fallersleben oder den Nachbarorten Sülfeld, Ehmen oder Mörse leben, ist das Verfahren blanker Hohn. Sie kritisieren, dass es aufgrund der hohen Anmeldezahlen insgesamt in Wolfsburg keine echte Wahlmöglichkeit mehr gebe. Sie halten die vom Rat der Stadt vor vielen Jahren beschlossene Regelung, dass im stadtweiten Schulbezirk für alle Schulen alle Gymnasien satzungsgemäß vierzügig sind, für längst nicht mehr zeitgemäß. Und fordern als Sofortmaßnahme einen fünften Zug am Gymnasium Fallersleben.

Zwei Familien wohnen direkt am Schulzentrum Fallersleben

Unter rund zwölf betroffenen Familien, die sich in einer Whatsapp-Gruppe zusammengeschlossen – es gibt wohl noch eine weitere Gruppe – und an unsere Zeitung gewandt haben, sind zwei besonders extreme Fälle. Beim Treffen mit der Redaktion vor dem Schulzentrum am Mittwoch berichten sie davon.

Da ist zum einen Mila (9). Wie ihre Mutter Laura Lockenvitz schildert, lebt die Familie nur etwa 400 Meter westlich des Gymnasiums. „Meine Tochter hat alle ihre sozialen Kontakte in dieser Gegend und müsste nun, um ein Gymnasium besuchen zu können, zirka fünf Kilometer weiter in einen Ortsteil von Wolfsburg fahren, der ihr absolut fremd ist.“ Zudem betreibe Mila beim VfB Fallersleben in der benachbarten Sporthalle Rhönrad-Sport auf hohem Niveau, was dann zeitlich so nicht mehr möglich wäre, berichtet die Mutter.

Schülerin wollte mit Freundinnen aufs Gymnasium Fallersleben

Hinzu komme, dass sie selbst als Lehrerin an der nahen Hauptschule ihre Kinder bisher stets gut in Nähe untergebracht gewusst habe. Künftig müsste sie ihre Stundenzahl drastisch reduzieren, um familiär alles unter einen Hut zu bekommen, erzählt die Fallersleberin. „Aber von der Stadt als Schulträger wurde uns null Hoffnung auf eine Härtefall-Regelung gemacht.“

Mila sagt: „Ich find’s blöd, denn ich wohne doch direkt hier. Meine beste Freundin darf hier aufs Gymnasium. Wir sind jetzt beide total traurig.“

Vater sprach mit Oberbürgermeister über die Problematik

Da ist zum anderen Yannick (10). „Ich soll jetzt auf eine Schule, wo ich niemand kenne“, sagt er. „Dabei wollte ich auf keinen Fall auf eine Schule in der Innenstadt.“ Denn weil er beim VfB Fallersleben Leichtathletik trainiere, wolle er gern auch weiter in Fallersleben zur Schule gehen.

Sein Vater Tillmann Frey berichtet, dass die Familie durchs Gartentor nur etwa zehn Meter Fußweg zum Gelände des Schulzentrums habe. Er habe vorige Woche ein Gespräch mit Oberbürgermeister Dennis Weilmann gehabt. Der könne die Sorgen verstehen, habe aber darauf hingewiesen, dass der Rat der Stadt entscheidet.

Der Oberbürgermeister habe einige Gespräche mit betroffen Eltern geführt, beispielsweise im Rahmen seiner Bürgersprechstunde, hieß es dazu seitens der Stadt. „Er hat großes Verständnis für die persönliche Situation jedes Einzelnen, konnte in den Gesprächen allerdings nur auf die aktuelle Beschlusslage im Rat verweisen.“

Eltern sehen freie Schulwahl in Wolfsburg nicht mehr gewährleistet

Die genervten Eltern wollen weitere Familien auf die Problematik aufmerksam machen. „Wir wollen auch andere wach machen, zum Beispiel Familien, die in den Kleekamp gezogen sind“, betont Laura Lockenvitz. Das Fallersleber Neubaugebiet liegt nur wenige hundert Meter vom Schulzentrum entfernt. „Und es wird in den nächsten Jahren ja nicht besser, es kommen ja noch mehr Kinder.“

Die Familien berichten, dass sie bereits viele Gespräche geführt haben, mit Ortsrats- und Stadtratspolitikern, mit dem Oberbürgermeister und mit Schuldezernentin Iris Bothe. Viele würden ihre Position unterstützen, dass in Fallersleben wegen des großen Andrangs ein fünfter Klassenzug eingerichtet werden soll. Jedoch: Der müsste vom Rat der Stadt beschlossen werden. Denn der hat einst auch entschieden, dass in Wolfsburg die freie Schulwahl gilt. Und dass zwar alle Schüler Anspruch auf einen Platz am Gymnasium haben, nicht aber darauf, an welcher Schule.

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Einige legten Widerspruch gegen Schul-Ablehnung per Los ein

„Mit freier Schulwahl hat das nichts mehr zu tun“, kritisieren die Eltern das aus ihrer Sicht überholte Verfahren. Sie fragen sich, warum die Schulen unterschiedliche Profile entwickeln, wenn dann aber für die Familien gar nicht sichergestellt sei, dass für ihre Kinder am favorisierten Gymnasium überhaupt Platz sei.

Nach Informationen der Familien, die sich zusammengetan haben, sind fürs neue Schuljahr am Gymnasium Fallersleben 22 Schüler abgelehnt worden, darunter 16 aus Fallersleben, Sülfeld, Ehmen oder Mörse. Einige hätten Widerspruch gegen die Ablehnung per Los eingelegt. Hinzu kommen nach Berechnung der Eltern vier Kinder aus „überfüllten Klassen“, denn neuerdings kann per Sondergenehmigung die Klassenstärke auf 31 Schüler erhöht werden. Kämen noch weitere hinzu, die die fünfte Klasse wiederholen, dann käme eine volle weitere Klasse zustande, argumentieren sie.

Laut Stadt wurden alle Regelungen für Losverfahren ausgeschöpft

Am letzten regulären Anmeldetag am 19. Mai lagen am Gymnasium Fallersleben 144 Anmeldungen vor für die ursprünglich 120 Plätze, die per Sondergenehmigung auf 124 aufgestockt wurden, teilte die Stadt auf Anfrage mit. Von diesen Anmeldungen stammten 137 von Wolfsburger Schülern und 7 von Kindern aus anderen Kommunen. Angaben dazu, wie viele dieser Schüler beispielsweise direkt aus Fallersleben kamen, konnte die Verwaltung nicht machen.

Geschwisterkinder seien bereits gesetzt gewesen. „Alle anderen Wolfsburger Schüler*innen kamen ins Losverfahren“, hieß es seitens der Stadt. Auswärtige seien gar nicht aufgenommen worden, wenn nicht bereits ein Geschwisterkind die Schule besuche. Somit seien „alle möglichen Regelungen des niedersächsischen Schulgesetzes für das Losverfahren durch Festlegung der Schulleitung bereits ausgeschöpft“ worden.

„In den letzten Jahren standen für Wolfsburger Schüler*innen ausreichend Plätze am Gymnasium in Fallersleben zur Verfügung und es fand kein Losverfahren unter Wolfsburgern statt“, teilte die Stadt weiter mit. Doch das stimmt nicht: Unsere Zeitung hatte nach den vergangenen fünf Jahren gefragt – und erst vor vier Jahren gab es den krassen Fall, dass ein Junge per Los abgelehnt wurde, der direkt neben dem Schulzentrum wohnte.

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