Wolfsburg. Aktivisten vom Klimabündnis „Letzte Generation“ blockierten am Montag die Braunschweiger Straße. Die Polizei erstattet Anzeigen und sucht Geschädigte.

Um 20.24 Uhr hatten es die Spezialisten geschafft: Mit viel Öl und Holzspateln hatten drei Polizisten der Technischen Einsatzeinheit aus Braunschweig den letzten der drei festgeklebten Klimaaktivisten von der Braunschweiger Straße gelöst. Die insgesamt vier Mitglieder des Bündnisses „Letzte Generation“ im Alter von 16, 27, 39 und 58 Jahren hatten den Verkehr stadtauswärts in Höhe Theaterparkplatz am späten Montagnachmittag zum Erliegen gebracht.

Routiniert gingen die vier Klimaschützer vor: Gegen 17 Uhr traten sie an die Fußgängerampel an der Bushaltestelle Theater und forderten Grünlicht an. Als die ersten Autos an der Ampel hielten, stellten sie sich auf den Fußgängerüberweg – und blieben stehen. Vor den verdatterten Autofahrern breiteten sie ihre Transparente aus: „Stoppt den fossilen Wahnsinn“ und „Letzte Generation“ stand darauf.

Straßenblockaden gab’s Montag auch in Bremen, Köln, Leipzig und Mannheim

Dann machte sich das Quartett zügig ans Werk, ähnlich wie vor zwei Wochen in Braunschweig und wie am Montag in anderen deutschen Städten, darunter Bremen, Köln, Leipzig und Mannheim: Sie setzten sich auf den Asphalt, und klebten sich innerhalb kürzester Zeit auf dem Asphalt fest.

Als fast zeitgleich ein ziviler Polizeibus eintraf und ein Polizist sowie eine Polizistin ausstiegen, war die Straßenblockade schon perfekt; der Verkehr staute sich schnell bis zurück zum Südkopf. Und das, obwohl Polizeisprecher Thomas Figge, angesprochen auf das sehr schnelle Eintreffen der ersten Einsatzkräfte, bestätigte: „Wir haben einen anonymen Hinweis gekriegt.“

Klimaaktivisten blockieren Straße in Wolfsburg

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Einer der Klimaaktivisten klebte nicht auf Braunschweiger Straße fest

„Ich habe heute mit einer speziellen Klebermischung experimentiert“, sagte Gruppensprecher Edmund Schultz aus Braunschweig, ohne den Mix zu verraten. Er hatte seine linke Hand auf die Straße geklebt, während Thomas, ebenfalls aus Braunschweig, seinen rechten Fuß mit Kleber auf dem Asphalt fixiert hatte. Der Braunschweiger Pascal, ehemaliger Wolfsburger, hatte seine linke Hand angeklebt.

Nur einer klebte nicht auf der Braunschweiger Straße fest: Das zeigte sich plötzlich, als gegen 17.15 Uhr ein Rettungswagen von der Siemensstraße auf die Braunschweiger Straße einbog und sich im Stau vor der Straßenblockade langsam den Weg bahnte. Der 16-Jährige aus dem Raum Wolfsburg stand auf und ging beiseite, so dass sich zwischen Pascal und Thomas eine Lücke auftat, durch die das Einsatzfahrzeug gerade so hindurchpasste.

Kurz nach dem Start der Sitzblockade trafen die ersten Polizisten ein und nahmen die Personalien auf.
Kurz nach dem Start der Sitzblockade trafen die ersten Polizisten ein und nahmen die Personalien auf. © Claudia Caris

Im Stau vor Straßenblockade lagen Nerven bei Autofahrern blank

Als sich der junge Aktivist wieder setzte und wie seine Mitstreiter der Aufforderung der Polizei nicht nachkam, die Straße freizumachen, trugen Polizisten ihn beiseite. Denn nach Feststellung der Personalien hatten die Akteure vom Polizei-Einsatzleiter Platzverweise kassiert. Um die durchzusetzen, wurden die Technik-Spezialisten aus Braunschweig angefordert. Doch die trafen erst drei Stunden nach Beginn der Blockade ein.

Bei vielen Autofahrern im Stau lagen die Nerven blank. Eine Frau stieg aus, ging zu den Blockierern und rief: „Wir haben Termine einzuhalten, denkt doch mal über die Sinnhaftigkeit nach!“ Später erzählte die Wolfsburgerin unserer Zeitung, dass sie gerade einen wichtigen Termin mit ihrem Sohn im Klinikum verpasste, auf den sie mehrere Monate gewartet habe: „Die nehmen keine Rücksicht auf Einzelschicksale.“

Wolfsburg- Aktivisten blockieren Braunschweiger Straße

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    Aktionsbündnis will auf große Notlage der Menschheit hinweisen

    Auf ihre Kritik, dass die vielen laufenden Motoren im Stau doch jede Menge Abgase produzieren, konterte der Bündnis-Sprecher: „Es geht hier um eine richtig große Notlage, die größte, die die Menschheit je hatte. Dies scheint leider der einzige Weg zu sein, so darauf aufmerksam zu machen, dass es bei Gesellschaft und Regierungen ankommt.“

    Selfie von der Klimaaktion: Jan Beusch mit Klimaschützer Pascal.
    Selfie von der Klimaaktion: Jan Beusch mit Klimaschützer Pascal. © Claudia Caris

    Vorbeifahrende auf den Gegenfahrbahnen pöbelten oder hupten. Aber es gab auch Verständnis: „Ich finde das vollkommen in Ordnung“, sagte Vera Lauber, die mit ihrem Mann Uwe und dem Enkelsohn (6) direkt vor der Ampel stand und eigentlich nach Hause nach Hattorf wollte. Auch Jan Beusch vom Eichelkamp und ein Detmeroder sympathisierten mit den Aktivisten. „Ich finde die Aktion gut. Die hätten besser die Kreuzung blockieren sollen“, meinte Letzterer.

    Blockade in Wolfsburg: Größere Beeinträchtigungen im Berufsverkehr

    Kurz nach Blockade-Beginn hatte die Polizei die Braunschweiger Straße Richtung stadtauswärts an der E-Mobility-Station abgeriegelt. Die schätzungsweise 20 Fahrzeuge inklusive eines LKW, die auf dem gesperrten Abschnitt feststeckten, wurden über den Mittelstreifen geleitet, um wenden zu können. Ein Sattelzug wurde rückwärts zur Kreuzung gelotst. Der Verkehr stadtauswärts wurde über die Siemensstraße umgeleitet, in der Gegenrichtung wurde der Verkehr aus der Siemensstraße kommend am Südkopf entlang geführt. Es gab erhebliche Verkehrsbehinderungen, doch da der Feierabendverkehr fast durch war, entspannte sich die Situation rasch.

    Immer wieder blieben Passanten stehen, kamen mit den Aktivisten ins Gespräch. Sie wollten mit ihren Aktionen eine von ihnen so genannte „Lebenserklärung“ des Grünen-Ministers Robert Habeck erreichen: „Es darf keine neue fossile Infrastruktur geben, insbesondere keine neuen Öl-Bohrungen in der Nordsee“, forderten sie. „Wir, die wir heute am Leben sind, sind die letzten Menschen, die den unumkehrbaren Kollaps unseres Klimas noch verhindern können“, erklärte die „Letzte Generation“.

    Nach Angaben des Polizeisprechers müssen die Straßenblockierer mit Anzeigen wegen Nötigung rechnen. Da sie nicht im fließenden Verkehr auf die Fahrbahn gingen und sie besetzten, sondern das erst taten, als die Autos an der Fußgängerampel hielten, geht es dagegen wohl nicht um gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr.

    Der festgeklebte Pascal wurde als zweiter von der Fahrbahn gelöst und dann von Polizisten beiseite getragen.
    Der festgeklebte Pascal wurde als zweiter von der Fahrbahn gelöst und dann von Polizisten beiseite getragen. © Claudia Caris

    Letzte Generation: Ende Mai Blockade in Braunschweig

    Ende Mai hatte die Bewegung mit einer gut zweistündigen Sitzblockade in Braunschweig einen Stau auf der Wolfenbütteler Straße ausgelöst. Dort hatten sich mehrere Mitglieder des Aktionsbündnisses auf dem Asphalt festgeklebt und mussten von der Polizei von der Fahrbahn gelöst werden; einzelne mussten auch weggetragen werden.

    Wie schon seit einigen Monaten gab es im Laufe des Montags ähnliche Straßenblockaden der „Letzten Generation“ auch in anderen Städten: unter anderem in Bremen, Köln, Leipzig und Mannheim. Außerdem drehen Mitglieder der Gruppe immer wieder Öl-Pipelines ab. Ziviler Ungehorsam sei nötig, betonten sie wiederholt, weil nur noch wenige Jahre blieben, um umzusteuern und den Klimawandel aufzuhalten.

    Mehr Nachrichten aus Wolfsburg:

    „Letzte Generation“ startete mit Hungerstreik vor Bundestagswahl 2021

    Die „Letzte Generation“ trat nach eigenen Angaben zunächst mit einem Hungerstreik vor der Bundestagswahl 2021 in Erscheinung und habe so ein öffentliches Gespräch mit Olaf Scholz über den Klimanotfall errungen. Anfang des Jahres gab es zahlreiche Autobahnblockaden in Berlin und anderswo.

    In einem Schreiben betonen die Klimaaktivisten in Bezug auf die Straßenblockaden: „Der Schutz von Leib und Leben jetzt und in Zukunft sind Beweggründe für unseren Protest. Wir ermöglichen Einsatzfahrzeugen mit Blaulicht, einschließlich Krankenwagen und Feuerwehrautos, das Passieren von Straßenblockaden.“

    Gegen alle Personen stellte die Polizei Strafanzeige. Geschädigte, die sich möglicherweise vor Eintreffen der Einsatzkräfte bereits entfernt hatten, werden gebeten, sich unter (05361) 46460 bei der Polizei zu melden.