Bonn. Der Präsident der Bundesnetzagentur warnt: Die Energiekrise ist noch längst nicht ausgestanden. Für Verbraucher hat er konkrete Tipps.

  • Klaus Müller ist Chef der Bundesnetzagentur und gehört damit zu den wichtigsten Verbraucherschützern in Deutschland
  • Wir haben ihn zum Interview getroffen und mit ihm über die Heizungsdebatte
  • Dazu positioniert er sich deutlich und gibt Verbrauchern klare Empfehlungen

Klaus Müller empfängt im 13. Stock des Tulpenfeld-Hochhauses im Bonner Bundesviertel. Seit etwas mehr als einem Jahr hat der zuvor langjährige oberste Verbraucherschützer hier sein Büro – als Präsident der Bundesnetzagentur. Um den Ausblick aus seinen neuen Räumlichkeiten auf Rhein und Siebengebirge zu genießen, dürfte Müller in den vergangenen Monaten aber meist die Zeit gefehlt haben.

In der Energiekrise ist die Bundesnetzagentur eine der wichtigsten Behörden Deutschlands – sie entscheidet im Notfall über die Rationierung von Gas, sie muss sich um volle Speicher kümmern und wacht über die Stromnetze. Im Interview spricht Müller über die Gefahren für den kommenden Winter, die Belastung für das Stromnetz durch Wärmepumpen – und gibt Eigentümern und Mietern Tipps zum Energiesparen.

Herr Müller, die Preise für Strom und Gas fallen, die Speicher füllen sich. Ist die Energiekrise ausgestanden?

Klaus Müller: Nein. Wir haben im letzten Jahr in kürzester Zeit viel erreicht. Unternehmen, Verbraucher und Politik haben an einem Strang gezogen – und wir hatten Glück mit dem Wetter. Bei der Speicherbefüllung sind wir jetzt auf einem anderen Niveau als im vergangenen Jahr. Wir sind auch besser bei der Diversifizierung unserer Gasflüsse. Aber der größte Faktor bleibt das Wetter. Wenn es ein kalter Winter in Europa wird, werden wir froh sein, wenn wir wieder gut vorgesorgt haben. Auch weil wir solidarisch mit unseren europäischen Nachbarn sein müssen.

NameKlaus Wolfgang Müller (52)
Geboren21. Februar 1971 in Wuppertal
ParteiBündnis 90/Die Grünen
AmtPräsident der Bundesnetzagentur

In diesem Winter durften Pools beispielsweise nicht mehr beheizt werden. Wird es im Herbst wieder Verbote geben?

Müller: Wenn alles gut geht, werden wir im Spätsommer volle Speicher haben. Das hilft für eine begrenzte Zeit. Der Verzicht auf beheizte Pools ist die geringste Sorge, die die Menschen haben. Wir wollen dafür sorgen, dass die Wohnzimmer warm bleiben, die Industrie geschützt wird und die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Das gelingt uns durch Zuflüsse, volle Speicher und Achtsamkeit beim Energieverbrauch.

Niedrigere Preise könnten dazu führen, dass weniger gespart wird. Wie wollen Sie die Menschen zum Energiesparen bringen?

Müller: Energie ist immer noch teuer, die Preissignale wirken nach wie vor. Viele Menschen sparen freiwillig Energie.

Klaus Müller ist seit März 2022 Präsident der Bundesnetzagentur. Zuvor war er knapp acht Jahre Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands.
Klaus Müller ist seit März 2022 Präsident der Bundesnetzagentur. Zuvor war er knapp acht Jahre Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Können Verbraucher etwas tun, um vorzusorgen?

Müller: Oh ja. Eine neue Heizung einzubauen, das Haus zu dämmen oder beim Vermieter einen hydraulischen Abgleich der Heizung vornehmen zu lassen, spart in jedem Winter Geld. Es gilt für Eigentümer und Mieter: Man muss den Sommer nutzen, um das Haus oder die Wohnung winterfest zu machen.

Selbst bei vollen Speichern reicht das Gas bei einem kalten Winter nur zweieinhalb Monate. Länder wie Österreich können den kompletten Jahresbedarf einspeichern. Brauchen wir mehr Gasspeicher?

Müller: Das ist in Deutschland absolut unrealistisch, mehr als zweieinhalb Monate können wir nicht abdecken, wenn es richtig kalt ist. Unsere Größe und Geologie geben nicht mehr her. Es werden Speicher erweitert. Das finde ich gut. Aber Deutschlands Gasbedarf ist viel größer. Daher müssen wir auch auf gute und diversifizierte Zuflüsse setzen und müssen Gas sparsam und effizient verbrauchen.

Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung zu exorbitanten Preisen Gas eingekauft – war das rückblickend ein Fehler?

Müller: Damals war unsere Ausgangslage eine andere. Deutschlands größter Speicher in Rehden war leer, als wir ihn im Treuhandmodell übernommen haben. Wir mussten jeden Tag das technisch mögliche Maximum einkaufen und einspeichern. Wir hatten da keine andere Wahl und auch andere europäische Länder haben zu diesem Zeitpunkt Gas eingekauft. Darauf reagiert ein Markt mit hohen Preisen. Nach wie vor glaube ich, dass die Entscheidung richtig gewesen ist. Aktuell sehen wir, dass es der Markt von allein regelt. Das ist die beste Lösung.

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Mittlerweile ist der Gaspreis unter das Niveau der Gaspreisbremse gefallen – manche Anbieter machen aber mit der Gaspreisbremse Kasse und kassieren Steuergeld. Brauchen wir die Gaspreisbremse noch?

Müller: Wenn der Winter mild wird, die Konjunktur in China gedämpft bleibt und Putin die letzten bestehenden Gaslieferungen nach Europa nicht unterbricht, werden wir die Gaspreisbremse im kommenden Winter rückblickend vielleicht nicht gebraucht haben. Wenn es aber anders kommt, kann sich die Lage ganz schnell ändern – also ist es gut, dass wir sie haben. Das Bundeskartellamt überprüft aktuell, ob einzelne Anbieter überhöhte Ausgleichszahlungen beantragt haben – das finde ich richtig. Wir sehen auch, dass sich auf den großen Vergleichsportalen etwas tut. Die Preissenkungen kommen langsam bei den Verbrauchern an.

Sollten Verbraucherinnen und Verbraucher jetzt ihren Vertrag wechseln?

Müller: Ich würde ihnen raten, nachzuschauen, ob es eine Alternative gibt. Am Ende muss jeder für sich abwägen, ob man sich zu den aktuellen Preisen für einen längeren Zeitraum bindet oder ob man monatlich flexibel bleiben will.

Der Sitz der Bundesnetzagentur im Bonner Bundesviertel: Rund 3.000 Beschäftigte arbeiten bei der Behörde.
Der Sitz der Bundesnetzagentur im Bonner Bundesviertel: Rund 3.000 Beschäftigte arbeiten bei der Behörde. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Ab wann sollten neue fossile Heizungen Ihrer Meinung nach verboten werden?

Müller: Der aktuelle Gesetzesentwurf ist technologieoffener als es in der aktuellen Debatte den Anschein erweckt. Ich habe volles Vertrauen, dass die Koalition jetzt schnell eine gute Entscheidung treffen wird.

Derzeit gibt es einen Ansturm auf neue Gasheizungen. Was halten Sie davon?

Müller: Es ist schon lange beschlossen, dass wir einen CO2-Preis haben, der verlässlich steigen wird. Eine Investition in eine neue Gasheizung mag heute kostengünstig wirken, wird in ein paar Jahren aber sehr teuer werden. Meine Bitte ans Handwerk lautet: Beratet ehrlich und umfassend. Es ist immer einfach, das einzubauen, was man seit 10 Jahren einbaut. Aber jetzt brauchen Verbraucher verlässlichen und zukunftsorientierten Rat.

Brauchen wir überhaupt Verbote oder kann auch der CO2-Preis die Wirkung alleine erzielen?

Müller: Das ist eine politische Entscheidung. Der CO2-Preis ist beschlossen, man kann ihn weiter verschärfen. Aus verhaltensökonomischer Sicht wissen wir aber, dass Menschen mit Entscheidungen, deren finanzielle Tragweite erst mehrere Jahre in der Zukunft liegt, schlechter umgehen können.

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Die Kommunen sollen nun aufgefordert werden, bis 2026 beziehungsweise 2028 eine Wärmeplanung zu erarbeiten. Sind die Zeiträume nicht zu spät, wenn das Heizungsgesetz vorher kommt?

Müller: Das wird im Parlament diskutiert. Aus unserer Sicht kann ich sagen: Es ist eine große Chance, jetzt alle Möglichkeiten des regenerativen Heizens auf den Tisch zu legen. Es gibt Kommunen, die schon große Teile der Hausaufgaben gemacht haben und die bereits viel Geld sparen. Vorausschauendes Handeln zahlt sich hier aus.

Sind dafür wirklich so viele Daten nötig?

Müller: Ich würde dazu raten, das Gesetz in Ruhe zu lesen und dann zu überlegen, ob man es kritisieren muss. Aber ich kann keine Alternative zu Wärmepumpen anbieten, wenn die Kommunen die nötigen Daten nicht haben. Ich erhoffe mir da etwas mehr Gelassenheit in der Diskussion.

Welche Rolle wird Fernwärme in Zukunft spielen?

Müller: Fernwärme ist eine große Chance, sowohl ökologisch als auch finanziell. In einem Straßenzug oder einem Quartier kann ich oft wesentlich effizienter Wärme oder Warmwasser anbieten, als ich das individuell tun könnte. Und ich kann auf unterschiedliche Wärmequellen setzen – im Moment sind das häufig noch fossile, aber es können auch Wärmepumpen im industriellen Maßstab sein, Geothermie oder irgendwann auch wasserstoffbasierte Wärmeerzeuger. Allerdings ist die Fernwärme bisher nicht reguliert.

Wie realistisch ist das Heizen mit Wasserstoff wirklich?

Müller: Uns als Bundesnetzagentur soll die Verantwortung für das Wasserstoff-Kernnetz übertragen werden, also den Startschuss eines künftigen Wasserstoffnetzes. Daran arbeiten wir jetzt schon, auch wenn die gesetzliche Grundlage noch aussteht. Damit werden erstmal die Wasserstoff-Quellen sowie die großen industriellen Verbraucher angeschlossen und Wasserstoff innerhalb von Deutschland verteilt. Darauf konzentrieren wir uns jetzt. Als Privatperson wäre ich vorsichtig. Ich höre von vielen Verbraucherschützern, dass sie erst einmal davon abraten, auf Wasserstoff zu setzen, weil man noch nicht weiß, wo er zu welchem Preis zur Verfügung stehen wird.

Seit eineinhalb Monaten sind die Atomkraftwerke vom Netz. Der Strompreis ist seitdem gesunken. Woran liegt es?

Müller: Das hat mehrere Gründe. Wir sehen zum einen, dass der Ausbau der Erneuerbaren vorangeht. Im Solarbereich sogar richtig gut, bei Wind an Land ist noch Luft nach oben, aber auch da bewegt sich was. Zum anderen hatten wir ein Frühjahr mit viel Wind oder Sonne, wir hatten also Glück mit dem Wetter. Übrigens auch in Frankreich, von wo unter anderem billiger Solarstrom zu uns kommt. Und das alles drückt die Preise.

Ausgerechnet Norddeutschland, das sehr viel erneuerbaren Strom produziert, hat deshalb höhere Preise, weil die Menschen dort die Netzentgelte zahlen, um den ganzen Strom nach Süden zu transportieren. Ist das fair?

Müller: Nein. Das trifft übrigens inzwischen auch Regionen außerhalb Nord- und Ostdeutschlands. Überall, wo Erneuerbare überproportional schnell ausgebaut werden, steigen die Netzentgelte. Die Nord-Länder wollen, dass die, die viel erneuerbaren Strom haben, davon auch beim Preis profitieren. Das hieße aber auch höhere Preise in anderen Teilen Deutschlands. Von neuen Regeln würden alle profitieren, die Erneuerbare Energien ausbauen. Wir hören der Diskussion aufmerksam zu, am Ende müssen wir entscheiden.

Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller fordert das Handwerk auf, Verbraucher „ehrlich und umfassend“ bei neuen Heizungen zu beraten.
Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller fordert das Handwerk auf, Verbraucher „ehrlich und umfassend“ bei neuen Heizungen zu beraten. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Unser Stromnetz soll im Jahr 2030 15 Millionen E-Autos und 6 Millionen Wärmepumpen versorgen. Schafft es das?

Müller: Im überregionalen Netz haben wir beim Ausbau unbestreitbare Defizite. Ob E-Autos und Wärmepumpen laufen, hängt aber an den örtlichen Verteilnetzen. Da ist die Situation sehr unterschiedlich. Aber auch die örtlichen Netze müssen wir für die Ziele, die wir haben, besser machen. Da brauche ich nicht nur neue Kabel, es würde zum Teil auch schon helfen, das Netz schlauer zumachen, in dem man mehr intelligente Stromzähler verbaut. Deutschland hat ein eher „dummes“ Netz, und das heißt: ein teures Netz, weil Strom nicht optimal eingesetzt werden kann. Wir werden aber noch in diesem Jahr die Voraussetzungen schaffen, um E-Autos und Wärmepumpen sicher und verlässlich anschließen zu können.

Indem man den Netzbetreibern erlaubt, den Verbrauch für Privatleute zu drosseln?

Müller: Denkbar ist folgende Situation: Meine ganze Nachbarschaft und ich haben E-Autos gekauft, und wenn wir alle um 17 Uhr nach Hause kommen, wollen wir alle direkt unsere E-Autos mit voller Leistung laden. Wo der Netzausbau noch nicht stattgefunden hat, müssen wir Vorsorge treffen, dass das Netz in dieser Situation nicht in die Knie geht. Daher diskutieren wir, ob wir den Netzbetreibern im nachgewiesenen Notfall erlauben, den Strombezug zu dimmen – die Verbraucher werden dafür durch einen Nachlass beim Netzentgelt kompensiert. Dann wird das Auto vielleicht weniger schnell aufgeladen. Aber dimmen heißt nicht abschalten. Niemand wird abgeschaltet.

Erwarten Sie sinkende Preise bei Wärmepumpen?

Müller: Die aktuellen Preise sind das Ergebnis einer großen Nachfrage. Die Produktionskapazitäten werden gerade erst hochgefahren. Andere Länder, etwa im asiatischen Raum, aber auch in Skandinavien, können Wärmepumpen durch größere Produktionskapazitäten deutlich günstiger anbieten. Übrigens hat Viessmann sich auch deswegen mit Carrier zusammengetan – sie wollen wachsen, effizienter werden. Ich habe mich gewundert, dass keine größere Freude aufkam, als dieser Deal bekannt wurde.

Sie wurden als Nachfolger des gefeuerten Staatssekretärs Patrick Graichen gehandelt. Warum sind Sie es nicht geworden – wollten Sie nicht oder wollte Robert Habeck Sie nicht?

Müller: Ich habe einen traumhaften Job in Bonn und Philipp Nimmermann ist eine exzellente Wahl.