Riga/Gifhorn. Der Boxer des BC Gifhorn ist aus dem Ruhestand zurück, kehrt in Riga zurück ins Profi-Rampenlicht. Gegen den Besten der Welt, aber nicht ohne Chance.

Die Buchmacher sind sich einig: Wer es am Samstagabend mit Profi-Weltmeister Mairis Briedis hält, der bekommt für zehn gesetzte Euro gerade einmal 20 Cent mehr zurück. Artur Mann vom BC Gifhorn, der seine Profibox-Karriere eigentlich schon beendet hatte, ist der krasse Außenseiter im Kampf um die Cruisergewichts-Krone des Weltverbands IBF, noch dazu in der Höhle des Löwen. Im lettischen Riga trifft er auf den aktuell besten Mann der Gewichtsklasse. Der 31 Jahre alte BCG-Boxer mit dem Kampfnamen „Thunderman“ hat eigentlich keine Chance – und vielleicht kann er genau das dieses Mal nutzen.

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Um das zu verstehen, muss man eine Weile zurückschauen. Gut zweieinhalb Jahre. Artur Mann war auf dem Weg nach ganz oben, Promoter Sauerland schickte ihn nach überzeugenden Auftritten, vor allem im Herbst 2018 in Chicago gegen den Russen Alexey Zubov, in seinen ersten WM-Kampf. In Südafrika trat er Lokalmatador Kevin Lerena gegenüber, es ging um die IBO-WM im Cruisergewicht. Mann hatte im Vorfeld alles möglich gemacht, sich wochenlang in Miami bei Star-Coach Pedro Diaz vorbereitet – um dann einen enttäuschenden Auftritt hinzulegen, in Runde 4 K.o. zu gehen.

Profi-Rückkehrer Artur Mann (Mitte) mit Trainer Vitali Boot vom BC Gifhorn (rechts) und Kumpel Marijo Alilovic beim Pressetraining in Riga. 
Profi-Rückkehrer Artur Mann (Mitte) mit Trainer Vitali Boot vom BC Gifhorn (rechts) und Kumpel Marijo Alilovic beim Pressetraining in Riga.  © oh | Wasserman Boxing

Manns Profikarriere war bereits beendet

Seine großen Ambitionen waren mit einem linken Haken zunichte gemacht worden. Mann, der in Ronnenberg bei Hannover lebt, zeigte sich geläutert. Er hatte zu viel zu besonders machen wollen. Die lange Zeit getrennt von Familie und Freunden tat nicht gut. Er hat die Niederlage gegen „K.o.-Kid“ Lerena aufgearbeitet, seine Lehren daraus gezogen. Die beiden Kontrahenten pflegen einen losen Kurznachrichten-Kontakt, vor dem Briedis-Kampf kamen gute Wünsche aus Südafrika.

Ansonsten hat Mann mit dem Abend in Johannesburg abgeschlossen. „Daran denke ich gar nicht mehr.“ Und doch hat er auf die jetzige Zeit großen Einfluss. Seine Karriere klang im Anschluss aus, zwei Aufbaukämpfe gab es noch, dann zog der „Thunderman“ einen Schlussstrich hinter seine Profikarriere. Einige Wochen ließ er sich Ende 2020 etwas gehen, dann überzeugte ihn Coach, Freund und Ziehvater Vitali Boot von einem Comeback bei den Amateuren. Der BCG-Trainer und sein Schützling sahen und sehen die Chance auf eine Olympia-Teilnahme 2024 in Paris.

Die Underdog-Rolle gefällt Artur Mann

Nach dem Anruf von Briedis-Promoter Kalle Sauerland, der inzwischen für Wasserman Boxing als Global Head of Boxing arbeitet, vor gut sechs Wochen überlegte Mann nicht lange. Er sagte zu. Zunächst einmal auch, weil es ein unverhoffter Zahltag ist, von denen Mann in seiner Profikarriere nicht viele hatte. Via sozialen Medien kündigte er bereits an, dass die Weihnachtsgeschenke 2021 etwas größer ausfallen. Das plötzliche und unerwartete Comeback im boxerischen Rampenlicht genießt Mann, auch wenn es gerne größer ausfallen dürfte: Vor allem das heimische TV-Interesse ist gering, Bildplus überträgt den Kampf am Samstag ab 23 Uhr kostenpflichtig. „Da boxt einer Deutscher um die WM, und es interessiert keinen“, so Mann, der auch aus Trotz in den Farben seines Geburtslands Kasachstan boxen wird. Dabei soll es noch einmal ein besonderer Tag des „Thunderman“ werden. Ein Tag des Donners.

Denn das Mann-Lager sieht seine sportliche Chance. Ohne zu leugnen, dass sie klein ist. „Ich finde die Rolle als Underdog gar nicht so schlecht“, sagt Mann. Anders als vor Lerena blieb Mann zu Hause, trainierte im gewohnten Umfeld in Gifhorn unter Boot, der dessen Karriere seit den Anfängen bei den Amateuren begleitet. Niemand kann den Boxer Mann besser einschätzen als er.

Artur Mann hat gegen Weltmeister Mairis Briedis, den besten Boxer im Cruisergewicht, nur eine kleine Chance. Die Buchmacher sehen sie bei 1:11 und auch das TV-Interesse aus Deutschland hält sich in Grenzen. Übertragen wird der Kampfabend kostenpflichtig im Internet bei Bildplus.
Artur Mann hat gegen Weltmeister Mairis Briedis, den besten Boxer im Cruisergewicht, nur eine kleine Chance. Die Buchmacher sehen sie bei 1:11 und auch das TV-Interesse aus Deutschland hält sich in Grenzen. Übertragen wird der Kampfabend kostenpflichtig im Internet bei Bildplus. © oh | Wasserman Boxing

WM-Bühne statt VW-Montagelinie

Fünf Wochen wurde der „Thunderman“, der in 18 Profikämpfen 17 Siege feierte, von Arbeitgeber Volkswagen freigestellt. Das BCG-Ass arbeitet im Werk Hannover-Stöcken, kümmert sich dort auf einer Montagelinie um die Verkabelung für Busse und Nutzfahrzeuge. „Ganz ohne Stress haben wir einfach nur trainiert“, sagt der Außenseiter. Es ging natürlich um Gewicht, Kondition, Sparring und Distanzgefühl. „So hat es mir viel mehr gebracht, als wenn ich mich sechs Wochen völlig kaputt gemacht hätte.“ Bei Null hatte der 31-Jährige nicht angefangen, war schon in der Vorbereitung auf die Amateur-DM Ende des Jahres.

Briedis, 36 Jahre alt, ist dennoch die Hausnummer im Cruisergewicht. Er gewann die zweite Auflage der World Boxing Super Series um die Ali-Trophy, ist die Nummer 1 der Welt, hatte auch schon die WM-Titel der Verbände WBC und IBO. Eine Niederlage bei 27 Siegen (19 durch K.o.) steht in seinem Kampfrekord. Die bezog er 2018 gegen keinen Geringeren als den aktuellen Schwergewichts-Star und Dreifach-Weltmeister Oleksandr Usyk nach Punkten.

Gewinnt der BC-Gifhorn-Boxer, gibt’s einen Rückkampf

Boot hat sich alle Briedis-Kämpfe angeschaut, auch die im Kickboxen: „Manche vier oder fünf Mal. Briedis boxt sehr geschlossen, hat eine sehr gute Linke.“ Ein kleines Aber: Auch der Lette ist seit gut einem Jahr ohne Kampf, in seinen letzten Duellen wirkte er nicht mehr ganz so überzeugend wie zu seiner Hochzeit vor drei, vier Jahren.

Der Coach rechnet mit einem technisch geprägten Kampf. Mann will den Weltmeister aus einer geschlossenen Deckung beschäftigen und bestenfalls eine Lücke finden, um ihn – erstmals – in den Ringstaub zu schicken. „Ich muss ihn beschäftigen, damit er nicht ins Rollen kommt. Er kann hart schlagen, da muss ich aufpassen, dann dazwischenhauen und etwas Glück haben, um ihn schlafen zu schicken“, sagt der „Thunderman“.

Und dann? Wenn das wirklich so kommt? Natürlich hat der Weltmeister einen doppelten Boden im Kampfvertrag. Sollte Briedis verlieren, ist ein Rückkampf vereinbart. „Wenn ich gewinnen sollte – das könnte ich gar nicht in Worten beschreiben. Darüber habe ich mir gar keine Gedanken gemacht“, gibt Mann zu, der aber bei den Kollegen bereits angekündigt hat, „dass ich so oder so am Montag wieder zur Arbeit kommen werde.“ Auch sein Coach schaut nicht auf den Ausgang: „Unser voller Fokus liegt auf diesen zwölf Runden. Artur braucht den Tunnelblick, muss links und rechts alles ausblenden.“