Braunschweig. Jugendpressekonferenz zur Bundestagswahl: Schüler aus der Region interviewten Jürgen Trittin, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen.

.Pressekonferenzen sind für Jürgen Trittin in der Regel Routine. Nicht so die Jugendpressekonferenz, die Dienstag in Braunschweig stattfand: 180 Jugendliche stellten dem Politiker anderthalb Stunden lang Fragen. Das Interesse der Schulen war so groß, dass die Veranstaltung in der Welfenakademie stattfinden musste, um möglichst vielen Schülern die Teilnahme zu ermöglichen. Mit dabei waren die Hoffmann-von-Fallersleben-Realschule in Wolfsburg, das Theodor-Heuss-Gymnasium in Wolfenbüttel, die Lessing-Realschule in Wolfenbüttel, das Ratsgymnasium Peine, das Martino-Katharineum in Braunschweig sowie die Realschulen John-F.-Kennedyplatz und Sidonienstraße in Braunschweig.

Fabian Hillebrandt, Realschule Sidonienstraße Braunschweig: Warum wollen Sie Drogen entkriminalisieren?

Weil wir der Auffassung sind, dass Menschen, die von Drogen abhängig sind, eher Hilfe brauchen, als dass sie bestraft werden müssen. Man muss bei diesem Thema auf die Unterschiede achten: Es gibt Drogen, die sind erlaubt, obwohl sie gesundheitsschädlich sind – Nikotin, Alkohol. Daneben gibt es Drogen, die wegen ihres hohen Abhängigkeitspotenzials nicht gehandelt werden dürfen; aber jemand, der diese Drogen nimmt und kleine Mengen besitzt, macht sich nicht strafbar.

Nun haben wir in Deutschland jedoch unterschiedliche Grenzen dafür, welche geringen Mengen erlaubt sind: In Berlin sind es beispielsweise 15 Gramm, in Bayern 6 Gramm Cannabis. Das ist nicht nachvollziehbar, und deswegen plädieren wir dafür, dass es einheitliche Regeln für die straffreie geringe Menge gibt.

Wir reden hier über etwas, das weltweit ein riesiges Geschäft ist. In Kolumbien, Mexiko und Afghanistan sieht man, dass die Produktion von Drogen wie Kokain und Mohn, also Heroin, sowie der Handel damit zu Bürgerkriegen führen und Gesellschaften zerstören kann. Wir müssen uns in der internationalen Gemeinschaft Gedanken machen, wie man damit umgeht. Der bisherige Weg mit militärischen Mitteln und Verboten ist gescheitert.

Jenny Wagenschein, Martino-Katharineum Braunschweig: Könnten Sie sich vorstellen, eine Koalition mit der CDU zu bilden?

Im Bundesgebiet gibt es die CDU bekanntlich nur im Paket mit der CSU, also der bayrischen Schwesterpartei. Gucken wir uns doch mal die Dinge an, über die im Wahlkampf gestritten wird: Eines der Projekte, die wir ganz nach vorne stellen, ist der gesetzliche Mindestlohn. In Deutschland arbeiten rund acht Millionen Menschen für Löhne unter 8,50 Euro. Das führt dazu, dass viele Menschen in Vollzeit arbeiten, aber dennoch ihre Familie nicht ernähren können.

Diesen Menschen greift der Staat unter die Arme: Sie bekommen ergänzend Arbeitslosengeld II. Das kostet uns jedes Jahr vier Milliarden Euro. Ich glaube, dass wir uns mindestens die Hälfte davon sparen können, indem wir dafür Sorge tragen, dass es in Deutschland wie in vielen anderen Staaten einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von mindestens 8,50 Euro gibt. Den würden nicht wir festlegen, sondern die Gewerkschaften und Arbeitgeber. Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Frau Merkel und die CSU sind strikt dagegen.

Ein anderes Beispiel: 2012 haben CDU/CSU beschlossen, dass Eltern Geld kriegen, wenn sie ihre Kinder unter drei Jahren nicht in die Kita schicken. Das kostet 1,8 Milliarden Euro. Wir wollen dieses irrsinnige Betreuungsgeld abschaffen – mit dem Geld könnten wir 33 000 zusätzliche Kita-Plätze schaffen. Das Betreuungsgeld war das Kernprojekt, das die CSU in dieser Koalition durchgesetzt hat. Glauben Sie im Ernst, die würden mit einer Partei koalieren, die das jetzt wieder abschafft? Nein. Deswegen geht das allein schon bei diesen beiden Beispielen nicht zusammen, und ich könnte die Liste noch fortsetzen.

Tahar Benmaghnia, Ratsgymnasium Peine: Wie stehen Sie zu einer rot-rot-grünen Koalition?

Wir haben mit so einer Koalition in Form einer Tolerierung zwischen 2010 und 2012 in Nordrhein-Westfalen Erfahrungen gemacht. Das hat ein gutes Jahr gehalten, dann hat sich die Linkspartei mit CDU und FDP verbündet und verhindert, dass dort ein Haushalt verabschiedet wurde. Danach gab es Neuwahlen, aus denen Grüne und SPD mit einer eigenen Mehrheit hervorgegangen sind. Die Linkspartei muss sich fragen, ob sie verlässlich regieren will. In NRW hat sie das Gegenteil getan.

Ein weiterer Punkt: Mich regt es auf, wenn Menschen in Griechenland, zum Beispiel Lehrer, bei gleichen Lebenshaltungskosten wie in Deutschland weniger als 1000 Euro verdienen. Aber das ist der schwere Weg der geordneten Insolvenz. Was wäre denn die Alternative gewesen? Der Staatsbankrott! Aber dann wäre die Lehrerin nicht mehr Lehrerin. Die Linkspartei hat sich jedoch mehrfach genau für einen solchen Staatsbankrott ausgesprochen.

Aykut Ergin, Realschule Sidonienstraße Braunschweig: In Ihrem Wahlprogramm reden Sie vom grünen Wandel. Was meinen Sie damit?

Wir wollen das Land zum Beispiel gerechter machen und mehr Geld in Bildung, Kitaplätze und Ganztagsschulen investieren. Wir wollen eine Milliarde Euro ausgeben für zusätzliche Studienplätze. Wir wollen, dass mehr Menschen aus einkommensschwächeren Familien die Chance haben, zu studieren. Wir wollen, dass mehr junge Menschen Bafög bekommen und dass das Bafög erhöht wird. Wir wollen ein Ende der Zweiklassenmedizin, also der Trennung von privaten und gesetzlichen Krankenkassen.

Wir wollen erreichen, dass 100 Prozent unserer Energie erneuerbar erzeugt werden – dazu zählen Strom, Wärme und die Energie, die wir brauchen, um uns fortzubewegen. Wir wollen Schluss machen mit industrieller Massentierhaltung von Rindern, Schweinen, Geflügel. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Menschen in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit leben können – egal welche Herkunft sie haben, welchen Glauben, welches Geschlecht und welche sexuelle Orientierung.

Thilo Steinmeier, Martino-Katharineum, Braunschweig: Wie stehen Sie zur Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems?

Es hat schon in meiner Jugend erbitterten Streit über die beste Schulform gegeben. Meine Tochter ist auf eine Integrierte Gesamtschule gegangen. Aber man muss nicht immer darüber streiten, denn es gibt auch schlechte Integrierte Gesamtschulen sowie gute Haupt- und Realschulen und Gymnasien, die keinen Schüler zurücklassen. Deshalb betreiben wir Schulfrieden. Das heißt: Es wird vor Ort entschieden, welche Schulformen sinnvoll und nötig sind. Wenn ein Gebiet mit schrumpfender Bevölkerung das gegliederte Schulwesen vorhalten will, bedeutet das, dass alle Kinder mit dem Bus in die Kreisstadt gefahren werden müssen – das ist nicht erstrebenswert. Viele Gemeinden entscheiden sich daher für eine IGS. Das setzt allerdings voraus, dass bei der Ausstattung mit Lehrern keine Schulform diskriminiert werden darf.

Thilo Steinmeier, Martino-Katharineum Braunschweig: Wie stehen Sie zu Rüstungsexporten?

Es war immer, auch unter Regierungsbeteiligung der Grünen, ein schwieriger Prozess, abzuwägen, welche Verbündeten Waffen kriegen sollen. Wir haben damals in unserer Regierungszeit Rüstungsexportrichtlinien durchgesetzt, also eine Selbstbindung der Regierung. Heute sehen wir, dass das mit Schwarz-Gelb nicht funktioniert: Unter Merkel ist es dazu gekommen, dass sich die Exporte von drei auf sechs Milliarden Euro verdoppelt haben.

Die meisten Rüstungsgüter sind in den Nahen Osten gegangen. Einer der Hauptempfänger ist Saudi-Arabien – das Land, in dem Dieben die Hand abgehackt wird, in dem Frauen keinen Führerschein machen dürfen. Dieses Land hat sich auch aktiv daran beteiligt, den Volksaufstand im benachbarten Bahrain niederzuschlagen. Es finanziert eine islamistisch-fundamentalistische Missionsarbeit in Afrika und in seinen Nachbarstaaten. Es steckt Geld in die Konflikte in Syrien und Ägypten.

Wir wollen deshalb ein einklagbares Rüstungskontrollgesetz, das die Regierung bindet.

Ein Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums Wolfenbüttel: Was sind Ihre Ziele mit Blick auf den Atommüll? Mit Schacht Konrad und der Asse haben wir die Probleme ja direkt vor unserer Haustür.

Wir haben in dieser Legislaturperiode als Opposition zwei Gesetzentwürfe durchgesetzt: Die Wiederherstellung des Atomausstiegs – es wird also kein weiterer Atommüll produziert. Und ein Endlagersuchgesetz, das Standortauswahlgesetz – für hoch radioaktiven Müll soll es ein offenes Suchverfahren geben.

Für Schacht Konrad ist die Einlagerung von schwach- und mittelradioaktivem Müll genehmigt. Ich bin skeptisch, ob man das rückgängig machen kann. Für die Asse ist es die beste aller schlechten Lösungen, den Müll schnell rauszuholen. Das ist keine triviale Aufgabe, denn keiner weiß, wie der Zustand der Asse ist.

Aykut Ergin, Realschule Sidonienstraße Braunschweig: Wie zufrieden sind Sie mit der Lage Ihrer Partei? Würden Sie was ändern?

Wir haben bei der letzten Bundestagswahl das beste Ergebnis der Geschichte unserer Partei erreicht: Wir konnten mehr als vier Millionen Wähler mobilisieren. Dieses Mal wollen wir sechs Millionen Wähler überzeugen, dass wir die richtige Partei sind. Wenn wir mehr von unseren politischen Ideen umsetzen wollen, müssen wir stärker werden. Das ist uns in den letzten vier Jahren ganz gut geglückt: Wir waren vor vier Jahren in fast allen Bundesländern in der Opposition, die Ausnahme waren Bremen und Hamburg.

Heute kann man von der dänischen Grenze mit dem Rad quer durch Deutschland bis zur schweizer Grenze fahren, und man kommt nur durch Länder, in denen die Grünen mitregieren! In Baden-Württemberg stellen wir sogar den Ministerpräsidenten. In diesen Ländern leben mehr als 50 Millionen Menschen. Das wollen wir ausbauen, indem wir das ganze Land regieren.

Michael Ahlers: Müsste es nicht Ihr Ziel sein, die linke Volkspartei der Mitte zu werden und sich von der SPD abzusetzen?

Ich bin ehrgeizig, aber nicht überheblich: Von einer Situation wie in Baden-Württemberg sind wir im Rest der Republik weit entfernt. Mir ist wichtig, dass wir in allen Politikfeldern gute Vorschläge machen. Da sind wir sehr weit gekommen. Und dann werden wir auch immer weiter wachsen – und zwar nachhaltig.

Kimberly Lüdeking, Martino-Katharineum Braunschweig: Was wollen Sie mit einer niedrigeren -Grenze für Autos erreichen?

Der Verkehr ist neben Kohlekraftwerken und der Landwirtschaft eine der Hauptursachen für die globale Erwärmung. Die Anreicherung der Atmosphäre mit CO2führt dazu, dass die Sonneneinstrahlung von der Erde nicht zurück ins All reflektiert wird, sondern erneut auf die Erde gespiegelt wird. Die Folgen sind Klimaerwärmung und Wetterextreme mit katastrophalem Ausmaß. Wir wollen verhindern, dass das so weitergeht.

Es gibt zurzeit in der EU die Regelung, dass alle Fahrzeuge eines Herstellers im Schnitt nicht mehr als 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen sollen. Das bedeutet, dass 5,5 bis 6 Liter Treibstoff auf 100 Kilometern verbraucht werden.

Nun geht es um ein neues Ziel, um noch besser zu werden. Es gab auch einen Kompromissvorschlag zwischen dem EU-Parlament und dem EU-Rat, also der Versammlung der EU-Regierungen: Im Jahr 2020 sollte der durchschnittliche Flottenverbrauch bei 80 Gramm CO2pro Kilometer liegen. Das entspricht einem Verbrauch von knapp unter vier Litern. VW hat gesagt, dass sie damit gut klarkommen. Trotzdem hat die Kanzlerin diesen Wert in Verhandlungen blockiert – und zwar auf Drängen von Herstellern sehr großer Autos wie Daimler und BMW. Das finden wir falsch, denn es geht zulasten des Klimas.

Selin Arslanbey, Realschule Sidonienstraße Braunschweig: Hallo Herr Trittin, Sie haben mal gesagt, dass Frau Merkel nicht genügend Arbeitsplätze geschaffen habe. Wie würden Sie das denn machen?

Arbeitsplätze werden nicht durch politische Entscheidungen geschaffen, sondern Arbeitsplätze entstehen bei Arbeitgebern – und dafür sind die Rahmenbedingungen wichtig. Das fängt nicht in Deutschland an, sondern in Griechenland, Spanien, Italien. Dort ist mehr als die Hälfte der Menschen unter 25 Jahren arbeitslos, weil nicht investiert wird. Das ist ein Skandal, den wir uns nicht leisten können.

Warum? Wir sind ein Exportland – wir leben also davon, dass unsere Güter exportiert werden. Vieles geht nach China und in die USA. Mehr als ein Viertel unserer Exporte geht aber in Länder in Südeuropa, denen es derzeit schlechtgeht. Wenn wir weiterhin unsere Produkte dorthin exportieren wollen und damit unsere Arbeitsplätze erhalten wollen, müssen wir auch dort investieren und die Menschen in die Lage versetzen, unsere Produkte zu kaufen.

Man sieht die Probleme doch schon in unserer Region: Das Stahlwerk in Peine und Salzgitter, die Salzgitter AG, hat ein massives ökonomisches Problem. Die Märkte in Südeuropa sind zusammengebrochen, es kam zu einer Überproduktion, die Preise sind runtergegangen. Jetzt kann die Salzgitter AG nicht mehr so viel Stahl absetzen wie geplant. Es drohen Stellenabbau und Kurzarbeit.

Wir müssen auch in Deutschland in zwei Bereiche verstärkt investieren. Erstens in die Infrastruktur, also in unsere Straßen und Schienen sowie in die Breitbandnetze zum Transport von Informationen. Unsere Verkehrsinfrastruktur ist mittlerweile in einem sehr kritischen Zustand: Drei Viertel unserer Brücken müssten zum Beispiel dringend saniert werden. Dafür brauchen wir Investitionen – und die wiederum schaffen im Bauhandwerk Arbeitsplätze.

Zweitens müssen wir nicht nur in den Ausbau der Energieproduktion mittels Sonne und Wind investieren, sondern auch in Energieeinsparung. Je besser wir unsere Häuser dämmen, umso weniger Energie wird verschwendet. Auch hier können einige zehntausend Jobs entstehen.

Florian Michael, Ratsgymnasium Peine: Was sagen Sie zum Abhörskandal des US-Geheimdienstes NSA? Würden Sie Edward Snowden Asyl anbieten?

Politisches Asyl richtet sich an Menschen, die einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind. Ob das bei Snowden der Fall ist, darüber kann man streiten. Er hat aber etwas getan, weshalb man ihm helfen sollte: Er hat kriminelle Praktiken von Staaten und Firmen enthüllt. Das Problem dabei ist, dass er damit selber Unrecht begangen hat – und deshalb wird er von den USA gesucht.

Ich glaube, dass die Bundesrepublik ihm aus humanitären Gründen Schutz gewähren sollte. Das ist dann kein politisches Asyl, aber er dürfte sich hier aufhalten. Warum? Er hat sich verdient gemacht, er hat den größten Angriff auf unser aller Privatheit enthüllt. Es ist bis heute von der Bundesregierung nicht bestritten, dass allein im Dezember 2012 rund 500 Millionen Datensätze aus Deutschland vom US-Geheimdienst NSA abgegriffen wurden. Das heißt: Jedes Posting bei Facebook, jeder Tweed bei Twitter, jede Mail wurde dort möglicherweise gespeichert. Das ist keine Bagatelle, sondern nach deutschem Strafrecht verboten! Derjenige, der dieses Ausmaß an Rechtsbruch enthüllt hat, sollte geschützt werden. Es ist peinlich für Europa, dass Snowden nun bei einem Despoten wie Russlands Präsident Putin unterkommt, weil niemand anderes Schutz gewährt – Putin verfolgt zum Beispiel Menschen, die schwul oder lesbisch sind.

Alexa Pichlmeier, Martino-Katharineum Braunschweig: Wie wollen Sie die Eurokrise bekämpfen?

Wir setzen auf drei Maßnahmen: Ausgabenkürzung, Investitionen und Schuldentilgungsfonds.

Erstens: Die Länder, über die wir bei der sogenannten Euro-Krise sprechen, müssen sparen, weil sie überschuldet waren. Sie sind dafür übrigens mit Ausnahme Griechenland nicht selbst verantwortlich, sondern ihre Banken waren überschuldet. Wenn man die Banken hätte pleitegehen lassen, wären sie noch weiter unten gewesen. Deswegen hat man die Bankenschulden verstaatlicht.

Zweitens: Wir müssen jetzt mehr dafür tun, dass junge qualifizierte Menschen in den betroffenen Ländern in Arbeit kommen und dass dort investiert wird! Wir müssten den Griechen zum Beispiel finanziell dabei helfen, selber Solarstrom zu erzeugen.

Drittens: Wenn die Verschuldung eines Staates bei 60 Prozent des Bruttosozialproduktes (BSP) liegt, gilt das als akzeptabel. Das Bruttosozialprodukt erfasst alles, was ein Land innerhalb eines Jahres produziert. In Deutschland liegt die Staatsverschuldung inzwischen bei 80 Prozent des BSP, in Griechenland bei 180 Prozent, in Italien bei 120 Prozent.

Der Sachverständigenrat für Wirtschaftsfragen, der die Bundesregierung berät, hat einen Vorschlag gemacht, den wir gut finden: Wir packen alle Schulden über 60 Prozent in einen gemeinsamen Pott, und jedes Land verpflichtet sich, einen festen Betrag davon abzutragen. Der Vorteil: Weil es ein großer Pott ist, kriegt er gute Zinsen – das macht den Schuldenabbau leichter und schneller.

Kevin Celik, Realschule Sidonienstraße Braunschweig: Warum sind Sie dafür, dass Geringverdiener weniger Steuern zahlen sollen und Vielverdiener mehr?

Wenn man ein geringes Einkommen hat und dann mehr Geld behalten kann, weil die Steuern sinken, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man das Geld für Sachen ausgibt, die man sich schon immer leisten wollte. Diese Form von Nachfrage ist wichtig für unsere Gesellschaft.

Bisher gilt: Alles, was man unter 8300 Euro pro Jahr verdient, ist steuerfrei – bei Ehepaaren gilt das Doppelte. Wir wollen, dass diese Grenze angehoben wird. Dann gibt es aber ein Problem: Der Staat nimmt weniger Steuern ein. Die Entlastung, die wir planen, kostet fünf Milliarden Euro. Das muss man also gegenfinanzieren: Das kann man, indem man den Steuersatz für sehr hohe Einkommen erhöht: Wir wollen, dass jemand, der mehr als 80 000 Euro pro Jahr verdient, nicht mehr nur 42 Prozent zahlt, sondern 48 Prozent. Das zahlt er erst ab dem ersten Euro über 80 000! Darunter zahlt er vielleicht 30 Prozent.

Tatjana Scholz, Realschule Sidonienstraße Braunschweig: Haben Sie im Wahlkampf eigentlich noch genug Zeit für Ihre Familie?

Meine Familie sehe ich erst Samstagnacht wieder. Das ist zwar nicht schön, aber es ist okay, wenn man das im Wahlkampf für sechs bis acht Wochen macht. Das muss ich dann hinterher über vermehrte Hausarbeit wieder ausgleichen. Das fällt mir allerdings nicht schwer, weil ich sehr gern koche.

1954 in Bremen geboren.

1973 Abitur, danach Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen und Abschluss als Diplom-Sozialwirt.

1980 Mitglied der Grünen.

1982 bis 1984 Geschäftsführer der Ratsfraktion der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste Göttingen.

1984 bis 1985 Pressesprecher der Grünen-Landtagsfraktion Niedersachsen.

1985 Einzug in den Niedersächsischen Landtag.

1985 bis 1986 und 1988 bis 1990 Vorsitzender der Grünen-Landtagsfraktion.

1990 bis 1994 niedersächsischer Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten.

1994 bis 1998 Sprecher des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen.

Seit 1998 Abgeordneter im Bundestag.

1998 bis 2005 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Seit 2000 Mitglied des Parteirats von Bündnis 90/Die Grünen.

2005 bis 2009 Koordination des Arbeitskreises Internationale Politik und Menschenrechte der grünen Bundestagsfraktion und

Vize-Fraktionsvorsitzender.

Seit 2009 Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis

90/Die Grünen.

Derzeit neben Katrin Göring-Eckardt Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl.

Jürgen Trittin ist ledig und hat eine Tochter.