Braunschweig. Das Oberlandesgericht Braunschweig spricht sich ferner gegen eine Bündelung der Verfahren am Landgericht Braunschweig aus.

Dieses Mal gab es Trippelschritte statt eines Paukenschlags: Der sechste Verhandlungstag des Kapitalanleger-Musterverfahrens gegen VW und die Porsche-Holding SE (PSE) vor dem Oberlandesgericht Braunschweig war ein ausgesprochen zähes, von vielen Diskussionen um Detailfragen geprägtes Unterfangen. Der Eindruck aus dem vorangegangenen Verhandlungstag im März verfestigte sich – das Verfahren wird alles andere als ein Schnellgänger. Zwar könnte es am 12. August einen Teilmusterentscheid geben, der aber weit entfernt wäre von dem finalen Musterentscheid.

Musterklägerin ist die Sparkassen-Fonds-Gesellschaft Deka Invest.Das Verfahren steht stellvertretend für etwa 1700 weitere Klagen von Anlegern, die beim Landgericht Braunschweig eingegangen sind. Der Streitwert beläuft sich auf 4,95 Milliarden Euro. Der Vorwurf der Kläger: VW habe sie nicht rechtzeitig über den im September 2015 aufgeflogenen Abgas-Betrug informiert – so, wie es die Ad-hoc-Pflicht vorschreibt. Für den finanziellen Schaden, der ihnen entstanden sei, fordern sie Schadenersatz.

Während das Musterverfahren verhandelt wird, sind die übrigen Klagen ausgesetzt. Am Ende des Musterverfahrens steht kein Urteil im Sinn von schuldig oder unschuldig. Stattdessen werden in dem Musterverfahren die Inhalte für die ausgesetzten Verfahren festgelegt, die nach Ende des Musterverfahrens von den zuständigen Landgerichten auf Basis des Musterentscheids verhandelt werden müssen. Um die Inhalte festzulegen, werden die einzelnen Punkte in Feststellungszielen und Erweiterungsanträgen von den beklagten Unternehmen, den Musterklägern sowie den Beigeladenen beantragt. Beigeladene sind Kläger im Musterverfahren, aber nicht die Musterkläger. Das Musterverfahren soll so zu einer Beschleunigung und Vereinfachung der juristischen Auseinandersetzungen zwischen den Anlegern und VW beziehungsweise der PSE führen.

Am Montag stand zunächst die Frage im Mittelpunkt, welches Gericht für die Klagen der Anleger zuständig ist. Dabei geht es um die Verfahren, die während des Musterverfahrens ausgesetzt sind und nach dem Musterentscheid von den Landgerichten verhandelt werden müssen. VW hatte beantragt, dass das Landgericht Braunschweig eine sogenannte Ankerzuständigkeit übernimmt. In Braunschweig sollten Klagen sowohl gegen VW als auch gegen die PSE, die in Stuttgart beheimatet ist, verhandelt werden.

Dieser Auffassung widersprach der Senat des Oberlandesgerichts unter Leitung von Christian Jäde.Grund: Dafür gebe es keine gesetzliche Grundlage. Entscheidend für die Zuständigkeit des Gerichts sei stattdessen der Unternehmenssitz des beklagten Unternehmens. Folglich sei bei Klagen gegen VW das Landgericht Braunschweig zuständig, bei Klagen gegen die PSE das Landgericht Stuttgart. Das könne dazu führen, dass Verfahren gesplittet werden müssen, wenn ein Anleger beide Unternehmen vor einem der genannten Gerichte verklagt hat. Klagt zum Beispiel ein Anleger in Stuttgart gegen die PSE und gegen VW, kann dessen Anwalt beantragen, die Klage gegen VW an das Landgericht Braunschweig zu verweisen. Stellt der Anwalt diesen Antrag nicht, würde die Klage gegen VW vom Landgericht Stuttgart als unzulässig abgewiesen.

Vorsitzender Richter Jäde machte mehrfach deutlich, dass es sich bei den Einschätzungen des Oberlandesgerichts zunächst um vorläufige Rechtsauffassungen handele. Bleibt das Gericht aber bei seiner Auffassung, dann könnte es erforderlich werden, dass vor dem Oberlandesgericht Stuttgart noch ein eigenes Musterverfahren gegen die Porsche-Holding SE geführt werden müsste. Dabei hat das Oberlandesgericht Stuttgart solch ein Musterverfahren gegen VW und die PSE erst im März abgelehnt, eben weil in Braunschweig bereits ein entsprechendes Verfahren läuft.

Klägeranwalt Andreas Tilp wies darauf hin, dass das Aufspalten der Verfahren die Kosten für die Kläger verdoppeln würde. Das widerspreche der Grundidee der Musterverfahren. Zudem sei zu befürchten, dass die juristische Aufarbeitung noch deutlich länger dauere. Jäde entgegnete, dass dem Gericht die Konsequenzen sehr wohl bekannt seien. Es gebe für eine Bündelung der Verfahren aber keine „zwingende Notwendigkeit“. Er und seine Kollegen hätten sich in diesem Punkt mehr Klarheit des Gesetzgebers gewünscht.

Zweiter großer Diskussionspunkt am Montag war die Verjährungsfrist möglicher Verstöße gegen die Ad-hoc-Pflicht. Jäde führte aus, dass das Gericht bei seiner bereits im vergangenen Jahr dargelegten Auffassung bleibe. So seien alle Schadenersatzansprüche, die vor dem 10. Juli 2012 entstanden seien könnten, verjährt. Damals wurde das Wertpapier-Handelsgesetz samt Verjährungs-Regelung geändert. Diese Auffassung schmälert die mögliche Schadenersatz-Aussicht der Kläger. Klägeranwalt Tilp verortet den Beginn des Abas-Betrugs im Jahr 2008.

Am 2. und am 9. September soll das Musterverfahren in der Stadthalle Braunschweig wie bisher fortgesetzt werden. Bereits am 12. August ist ein Verkündungstermin in den Räumlichkeiten des Oberlandesgerichts angesetzt: Dann will der Senat um Richter Jäde bekanntgeben, ob aus seinen Einschätzungen zur Zuständigkeit der Gerichte und zur Verjährungsfrist ein Teilmusterentscheid resultiert – oder eben nicht. Laut Jäde hätte ein Teilmusterentscheid den Vorteil, das ohnehin aufwendige Verfahren zu entschlacken.