Die künstliche Intelligenz könnte Wirtschaft und Gesellschaft revolutionieren. Doch wer haftet zum Beispiel für die Entscheidungen von Algorithmen? In Wolfsburg diskutierten Experten über Chancen und Risiken.

Wolfsburg. Die sogenannte künstliche Intelligenz ist schon mitten unter uns und birgt zahlreiche Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft. Andere Länder wie die USA drohen Deutschland hier abzuhängen, doch auch bei dieser technischen Entwicklung haben die Deutschen Bedenken. Das wurde beim ersten „AI-Camp“ der Wolfsburg AG und der Wolfsburger IT-Unternehmensberatung Weissenberg deutlich.

AI ist die englische Abkürzung für künstliche Intelligenz (KI): Computerprogramme sollen Probleme selbst lösen, also sozusagen das menschliche Gehirn imitieren. Maschinen können inzwischen zum Beispiel Texte analysieren und Gespräche führen. Die Idee künstlicher Intelligenz wird bereits seit Jahrzehnten verfolgt, doch heute existiert auch die nötige Rechenleistung dafür, wie Klaas Bollhoefer in Wolfsburg feststellte, Gründer des Berliner KI-Beratungsunternehmens „Birds on Mars“. „Wir haben die Daten und die Rechen-Power auf Knopfdruck.“ Was wir damit machen können? „Alles.“

KI sei sogar schon in der Lage, Software zu schreiben. Nötig seien jetzt „nur“ noch die richtigen Ideen. Zusammen mit dem Maler Roman Lipski hat das Unternehmen zum Beispiel die nach eigenen Angaben erste künstliche Muse entwickelt: Eine Maschine wurde so angelernt, dass sie Lipskis Stil übernahm. Der Künstler habe sich dann von der Maschine inspirieren lassen.

Ein anderes System hat sich selbst beigebracht, das Computerspiel „Go“ zu spielen. Der Mensch trainiert die Maschine, die besser als der Mensch wird, wovon dieser wiederum lernen könne. „Damit müssen wir kreativ umgehen“, fordert Bollhoefer. Zu entwickeln seien neue Geschäftsmodelle, Services und Produkte.

KI-Berater Klaas Bollhoefer hielt den Einführungsvortrag.
KI-Berater Klaas Bollhoefer hielt den Einführungsvortrag. © regios24 | Helge Landmann

Teilweise wissen die Entwickler gar nicht, wie ihre KI arbeitet, die genaue Funktionsweise bleibt eine Blackbox. Geht von Maschinen also eine Gefahr für die Menschheit aus? Mancher wittert hier eine zerstörerische Gefahr. Bollhoefer hingegen glaubt nicht, dass die Roboter dem Menschen bald ebenbürtig sein werden.

Probleme haben Rechner zum Beispiel noch mit der deutschen Sprache, wie Olaf Thiele von der Copenhagen-Business-School berichtete. Denn Deutsch ist eben keine einfache Sprache. Das Verfassen von Texten durch Maschinen funktioniere noch nicht gut. Thiele fordert, dass die Deutschen hier besser werden. „Ich sehe das als Wettkampf“, sagte er. Die Amerikaner und Chinesen etwa seien dabei weit vorn – „wir können uns überlegen, ob wir mitmachen“. Der Dozent ist überzeugt, dass Meetings künftig automatisch protokolliert werden und die Maschine an ein Thema erinnern kann – oder auch mal mahnt, zum nächsten Punkt zu kommen.

Was die KI richtig gut könne, sei Muster in komplexen Daten zu erkennen, erklärte Julian Glaab, Gründer des Braunschweiger Start-ups Aipark, bei dem die künstliche Intelligenz im Anfang des Namens steckt. Dessen App sucht in mehr als 40 Städten den nächstgelegenen freien Parkplatz. Die KI helfe zum Beispiel kleinen Teams, effizienter zu sein und Unternehmen, schneller als die Konkurrenz zu sein, warb Glaab.

Eine andere intelligente Steuerung in Echtzeit, die den Menschen überfordern würde, ist die effiziente Nutzung der Energie-Infrastruktur. Zum Beispiel dürften in Zukunft nicht alle gleichzeitig ihr E-Auto laden, wie Elmar Burgard von Ifesca ausführte, der zuvor für Stadtwerke arbeitete. Anwendungen für die Autoindustrie sieht Marcel Engelmann, Gründer des Wolfenbütteler Mobilitätsunternehmens Menux, in der Qualitätskontrolle, im Controlling und in der Lieferantenauswahl.

Hartwig Erb, Chef der Wolfsburger IG Metall, stellte klar, bisher hätten technische Revolutionen die Arbeit erleichtert. Daher müssten zunächst die Vorteile gesehen werden. Allerdings hätten die Beschäftigten auch Befürchtungen: Werde ich mitgenommen, werde ich geschult? Und hat die KI Auswirkungen auf meine Bezahlung? Diese Frage stellten auch Ingenieure.

Stefan Pitz vom KI-Unternehmen Arago aus Frankfurt betonte, es gehe darum, dass Mensch und Maschine gemeinsam mehr erreichten. Den Mitarbeitern solle sinnlose Arbeit abgenommen und so Zeit gegeben werden, um etwa kreativ zu sein.

Carolin Neigel von IBM präsentierte passend dazu einen künstlichen Assistenten, der zum Beispiel automatisch Bescheid gibt, dass sich jemand verspätet – weil er erkennt, dass derjenige zu spät gestartet ist –, oder vor der Dienstreise einen Regenschirm empfiehlt, weil es am Zielort später regnen soll.

Die Diskussion im Anschluss an die Kurzvorträge wirkte sehr „deutsch“, kreiste um Bedenken gegenüber der Technik. Einer der laut Wolfsburg AG fast 100 Teilnehmer stellte die Haftung zur Diskussion. Was zum Beispiel, wenn ein Assistent einen Geschäftspartner verprellt? Neigel von IBM stellte klar, dass Geschäftspartner wichtige Gespräche auch in Zukunft noch selbst führen sollten.

Die virtuellen Assistenten befänden sich ohnehin noch in der Pilotphase. Pitz von Arago meint: „Ich bin als Geschäftsmann haftbar, wenn die künstliche Intelligenz Mist baut.“ Der, der ein Programm entwickelt, müsse auch haften. Neigel sieht das anders: Nicht der Algorithmus sei das Produkt, sondern die Daten. Das Unternehmen liefere nur die Hülle, die antrainiert werden könne.

Außerdem versteht auch der Mensch nicht alles richtig. Leistet ein Programm immerhin mehr als der Mensch, lässt sich die Frage nach der Haftung noch schwieriger beantworten. Und was, wenn für die Entwicklung gar kein Mensch mehr nötig ist?

Ein anderer Besucher stellte zu Debatte, wie sich Empfehlungen digitaler Assistenten etwa auf den Absatz von Konkurrenzprodukten auswirken. Blind vertrauen werden die Menschen der künstlichen Intelligenz nicht, glaubt selbst Neigel von IBM. Vielleicht entwickle sich gegenüber Empfehlungen eines Assistenten sogar eine Abwehrhaltung. Noch immer spielten etwa Marketing oder Umwelt eine Rolle.

Diskussionsstoff gab es somit genug für den Rest des Abends.