Peine/Zypern. 300.000 tote Straßenkatzen: Auf Zypern ist eine Epidemie ausgebrochen. Auch in Niedersachsen leben 200.000 Katzen auf der Straße.

Die Mittelmeerinsel Zypern hat mit einer seit Monaten andauernden Epidemie von Katzen-Peritonitis (feline infektiöse Peritonitis; FIP) zu kämpfen – eine Erkrankung, die durch Mutationen des Katzen-Coronavirus ausgelöst wird, für den Menschen nicht ansteckend ist, bei Katzen unbehandelt jedoch tödlich verläuft. Bei den felinen Coronaviren handelt es sich nicht um SARS-CoV-2; sie sind nicht auf den Menschen übertragbar. Innerhalb von sechs Monaten seien etwa 300.000 Katzen, ein Drittel der zyprischen Straßenkatzen-Population, gestorben, schätzen örtliche Tierschützer.

Die Idylle trügt. Die Straßenkatzen auf Zypern führen einen harten Überlebenskampf.
Die Idylle trügt. Die Straßenkatzen auf Zypern führen einen harten Überlebenskampf. © CopsCats | CopsCats

Da es kein zugelassenes Medikament gegen die Krankheit gibt, dürfen seit Anfang August auf Zypern Covid-Medikamente mit einer Ausnahmegenehmigung an erkrankte Tiere verabreicht werden. Diese stammen nach Angaben der zyprischen Regierung aus Beständen, die ursprünglich zur Behandlung von Covid-19 beim Menschen angeschafft wurden. Laut Tierschutzorganisationen soll es sich um die antiviralen Präparate Remdesivir und Molnupiravir handeln.

Kein zugelassenes Heilmittel

Auch hierzulande erkranken Katzen an der tödlichen FIP – sowohl Haus- als auch Straßenkatzen. Und auch in Deutschland gibt es kein zugelassenes Heilmittel. „Uns bleibt nur, die erkrankten Katzen einzuschläfern“, sagt Tierärztin Dr. Friederike Schmidt aus Peine. Zwei bis drei Fälle von FIP verzeichnet sie jährlich in ihrer Praxis. Die Tierärztin erläutert: Das feline Coronavirus könne – wie auch das Coronavirus beim Menschen – Magen-Darm-Probleme verursachen. Die meisten infizierten Katzen zeigten jedoch keine Symptome. Das schwere Krankheitsbild der FIP hingegen, das auf einer Mutation des felinen Coronavirus beruht, entwickelten normalerweise nur wenige Katzen. Meist handele es sich dabei um Einzeltiere, vor allem Jungtiere bis zu einem halben Jahr sowie alte Tiere – häufig in größeren Beständen wie Mehrkatzenhaushalten, Tierheimen und Zuchten.

Eine Straßenkatze auf Zypern.
Eine Straßenkatze auf Zypern. © CopsCats | CopsCats

Verändere sich das feline Coronavirus, könne dies zu einer Bauchfellentzündung führen. Diese könne sich als feuchte Form mit Flüssigkeit im Bauch – einer fadenziehenden, bernsteinfarbenen, hoch eiweißbehafteten Flüssigkeit – oder aber als eine trockene FIP darstellen, die sich in Form von kleinen weißen Granulomen am Bauch- oder Brustfell manifestiere. Auch Sekundärschäden seien bekannt, etwa an der Leber, erklärt Schmidt und fährt fort: In Deutschland gebe es mangels eines zugelassenen Heilmittels nur die prophylaktische Möglichkeit der FIP-Impfung. Allerdings sei das Coronavirus ihrer Meinung nach nur bedingt impfbar, da es schnell mutiere.

Eine Straßenkatze auf Zypern erhält eine Injektion.
Eine Straßenkatze auf Zypern erhält eine Injektion. © CopsCats | CopsCats

FIP zu diagnostizieren sei schwierig, erläutert die Tierärztin weiter. Eine eindeutige Diagnose stelle sich erst nach einer Labordiagnostik, die eine Bauchpunktion und Blutabnahme beinhalte, plus einem klinischen Befund. Ein so genanntes FIP-Screening. Erkranke ein Tier in einem Mehrkatzenhaushalt an FIP, rät Schmidt, es sofort von den anderen Katzen zu separieren.

Übertragung über den Kot

„Feline Coronaviren sind weltweit verbreitet, und daher sind sehr viele Katzen infiziert“, erläutert auch der Deutsche Tierschutzbund. Das schwere Krankheitsbild der FIP hingegen entwickelten „nur zirka 5 bis 10 Prozent der mit Coronavirus infizierten Katzen“. Belegbare Zahlen, wie viele Katzen in Deutschland mit felinen Coronaviren infiziert sind, deren Übertragung vor allem über den Kot erfolgt und die eine FIP auslösen können, lägen hingegen nicht vor. Nach Angaben des Tierschutzbundes leben derzeit 15,2 Millionen Katzen in 24 Prozent der deutschen Haushalte sowie Schätzungen zufolge etwa 2 Millionen Straßenkatzen in Deutschland.

Bezüglich der Straßenkatzen schlägt auch der Landestierschutzverband Niedersachsen Alarm. „Die Befragungen der dem Tierschutzbund angeschlossenen Tierschutzvereine belegen in erschreckender Weise, dass sich das Leid der Straßenkatzen in den letzten Jahren unbemerkt zu einem der größten Tierschutzprobleme in Deutschland entwickelt hat“, heißt es dort. „Die schätzungsweise über zwei Millionen nicht in menschlicher Obhut lebenden Hauskatzen führen ein Leben geprägt von Hunger, Schmerzen und Tod. Sie leiden an Unterernährung, Parasiten, unheilbaren Krankheiten – für unsere Augen unsichtbar im Verborgenen. Ihr unbehütetes Leben ist voller tödlicher Gefahren, qualvoll – und vor allem kurz.“

Eine an FIP erkrankte Straßenkatze auf Zypern.
Eine an FIP erkrankte Straßenkatze auf Zypern. © CopsCats | CopsCats

Nicht kastrierte Freigänger

Auch in Niedersachsen steige die Population der Straßenkatzen kontinuierlich an. „Die Gründe hierfür sind unter anderem nicht kastrierte Freigängerkatzen aus Privathaushalten, die sich mit den freilebenden Katzen verpaaren und so deren Bestand vergrößern“, stellt Dieter Ruhnke, Vorsitzender des Landestierschutzverbandes, fest. Der Nachwuchs lande regelmäßig in den niedersächsischen Tierheimen; in oft erbärmlichem Zustand. Die Tierheime seien mittlerweile „flächendeckend und dauerhaft an ihre Kapazitätsgrenzen gelangt“.

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Nach Schätzungen des Landestierschutzverbands leben allein in Niedersachsen „mindestens 200.000 freilebende Hauskatzen auf innerstädtischem Brachland, auf Fabrikgeländen, auf Friedhöfen, in Kleingartenkolonien und im ländlichen Raum, zum Beispiel in Stall-/Scheunengebäuden und nicht mehr genutzten Gebäuden“.

Nur 45 Prozent der Städte und Gemeinden in Niedersachsen hätten eine Kastrationsverordnung für Freigängerkatzen erlassen. Die einmal im Jahr stattfindende Kastrationsaktion des Landes, bei der die Kastration freilebender Hauskatzen finanziell unterstützt werde, sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, so der Landestierschutzverband. Jedoch könne dies keine landesweite Kastrationsverordnung ersetzen. Der Beschluss des Niedersächsischen Landtags vom 21. Juni zur „Einführung einer landesweiten Kastrationsverordnung mit Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht muss dringend umgesetzt werden“, fordert Ruhnke daher.

Kampf um die Zypern-Katzen

Derweil kämpfen die Tierschützer auf Zypern um jedes Katzenleben. „Wir finden Katzen, die auf der Straße zusammengebrochen sind, die zittern, teilweise erblinden. An unseren Futterstellen vermissen wir viele Tiere“, berichtet Katharina Neisel, die als deutsche Auswanderin 2017 den Verein Cops Cats auf der Insel gegründet hat, der sich in der Touristenregion Larnaka um Straßenkatzen kümmert, diese füttert, vermittelt, medizinisch versorgt und in einer eigenen Klinik kastriert, um die Population auf der Insel und das damit verbundene Tierleid einzudämmen. In den ersten Wochen der FIP-Epidemie hätten die Tierschützer gar nicht gewusst, womit sie es zu tun hatten, berichtet Neisel. Jeden Tag kranke, sterbende, tote Katzen auf den Straßen – fürchterliches Leid. Monatelang hätten sie sich von der Regierung allein gelassen gefühlt. „Wir haben uns die Medikamente aus dem Ausland besorgt. Die komplette Behandlung einer Katze kostet um die 3000 Euro. Hinzu kommen wöchentliche Bluttests, Spezialfutter und spezielle Nahrungsergänzungsmittel. Die Situation ist für uns kaum zu stemmen. So etwas bringt einen Tierschutzverein an seine Grenzen“, sagt sie. Dazu komme die Platznot, da die an FIP erkrankten Katzen von den anderen separiert werden müssten.

„Einzigartige Zypern-Population“

Auch die international anerkannte Katzenexpertin Birga Dexel vom Cat Institute Birga Dexel ist erschüttert: „Die Population auf Zypern ist einzigartig und genetisch so interessant – das ist quasi eine Art Weltkulturerbe, das da gerade stirbt. Das ist ein absoluter Albtraum“, bewertet sie die Situation. Die Katzenverhaltenstherapeutin aus Berlin, bekannt aus der Sendung „Hundkatzemaus“ (Vox), weiß, wovon sie spricht, engagiert sie sich doch seit Jahren auch für den Tierschutz auf Zypern. Und sie bedauert auch für den hiesigen Raum: „Ganz viele Leute, die Katzen mit FIP haben, müssen sich in ihrer Verzweiflung die Medikamente im Ausland bestellen, um ihre Katzen zu retten, da sie in Deutschland (noch) verboten sind.“

Studie der LMU

Dabei gibt es Medikamente, die FIP heilen könnten. So hat die Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München gerade erst eine Studie veröffentlicht, nach der 100 Prozent der an FIP erkrankten Katzen mit dem Wirkstoff GS-441524 geheilt werden konnten. Doch noch fehlt die Zulassung für Deutschland. Die Bundestierärztekammer weist darauf hin, dass GS-441524 derzeit „weder zugelassen noch legal erhältlich sowie dessen Beschaffung und Anwendung aktuell strafbar ist“.

Molnupiravir und Remdesivir

Auch die Wirkstoffe Molnupiravir und Remdesivir sind nicht erhältlich. Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat der pharmazeutische Unternehmer Merck Sharp & Dohme B.V. Ende Juni seinen Antrag auf Zulassung auf europäischer Ebene für Lagevrio (Molnupiravir) zurückgezogen. Hintergrund war eine sich abzeichnende Ablehnung des Zulassungsantrags, da der klinische Nutzen von Lagevrio bei der Behandlung von Corona-Risikopatienten nicht festgestellt werden konnte. Lagevrio war zuvor ohne Zulassung für den humanmedizinischen Bereich auf dem Markt. Der Wirkstoff Remdesivir sei hingegen als Corona-Arzneimittel unter dem Namen Veklury in der Humanmedizin regulär zugelassen, erläutert die Bundestierärztekammer.

Die Kammer betont: Tierhalter dürften Stoffe nur erwerben oder lagern, wenn sie von einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden seien. Tierärzte wiederum dürften nur Stoffe beziehen oder lagern, die zugelassen seien.

Umwidmung von Medikamenten

Daraus resultiert, dass der Bezug von zugelassenen Remdesivir-haltigen Humanarzneimitteln zur Anwendung „bei Tieren im Therapienotstand grundsätzlich möglich“ sei, so die Bundestierärztekammer weiter. Heißt: Wenn für eine Tierart kein geeignetes Fertigarzneimittel zur Verfügung steht und deshalb die notwendige medikamentöse Versorgung gefährdet ist, darf der Tierarzt ein Medikament umwidmen.

„Das Problem ist, dass Tierärzte das Remdesivir-haltige Veklury nur anwenden können, wenn sie vom Großhändler beliefert werden“, teilt die Bundestierärztekammer mit. Das sei zumindest in Deutschland nicht der Fall, da nur humane Kliniken beliefert würden. Veklury sei zudem derzeit in Deutschland nicht erhältlich, teilt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda) mit. Und auch das niedersächsische Sozialministerium bestätigt: Remdesivir sei in der Corona-Pandemie vom Bund beschafft und in sogenannten Sternapotheken, die die Verteilung übernommen hätten, gelagert worden. Inzwischen gebe es in Niedersachsen keine Bestände mehr.

Der Bund habe ebenso das inzwischen komplett aus dem Verkehr gezogene Lagevrio (Molnupiravir) ursprünglich beschafft, folglich liege die Verfügungsgewalt über mögliche Restbestände bei diesem, so die Abda. Und weiter: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte habe den Apotheken mitgeteilt, dass das Medikament nicht mehr ausgegeben werden dürfe; Apotheken und der pharmazeutische Großhandel sollten es entsorgen. Heißt auch: Die Medikamente, sollte es noch welche geben, dürfen nicht nach Zypern weitergereicht werden.

Kein Versand über Grenzen

Allerdings: Auch ohne dies sei der grenzüberschreitende Versand von Tierarzneimitteln seitens der Apotheken nicht zulässig, teilt darüber hinaus die Apothekerkammer Niedersachsen mit: „Versand-Apotheken dürfen apothekenpflichtige und freiverkäufliche Tierarzneimittel nur in Deutschland vertreiben. In Niedersachsen müssen sich die Apotheken hierfür beim zuständigen Veterinäramt registrieren lassen.“

Tierheim Peine hilft FIP-Katzen

Im Tierheim Peine haben die Tierschützer derweil einen an FIP erkrankten kleinen Kater zu versorgen, das vierte Tier in zwei Jahren. Mitarbeiterin Dagmar Kaczmareck ist zuversichtlich, dass er über den Berg kommt. Denn sie habe sich „ein Medikament über ihr Netzwerk organisiert“, lässt sie sich ein wenig in die Karten schauen. Seit zwei Jahren behandele das Peiner Tierheim FIP-Katzen selbst. „Bei mir sind alle Tiere wieder gesund geworden, 100 Prozent“, sagt sie stolz. Habe eine Katze im Tierheim FIP, dann komme sie in eine Pflegestelle, damit sie weniger Stress als im Tierheim habe. 84 Tage Tabletten, permanente Blutuntersuchungen, abschließend noch eine etwa genauso lange Wartezeit, begleitet von weiteren Blutbildern alle sechs Wochen. Sind die Katzen dann wieder gesund, werden sie ganz normal vermittelt. „Natürlich sagen wir den neuen Besitzern, dass die Katze an FIP erkrankt war“, erklärt Kaczmareck. Beachten müssten diese danach jedoch nichts weiter – außer die Katzen möglichst „stressfrei zu halten“. Und mit Blick auf die Genesung ihrer Schützlinge durch die in Deutschland noch nicht zugelassenen Medikamente schwärmt sie: „Von Tag zu Tag ging es den Tieren besser. Das ist ein Wahnsinn, das kann man sich kaum vorstellen!“

Weitere Infos zu Cops Cats sowie die Möglichkeit, für die Katzen auf Zypern zu spenden, gibt es unter: https://www.copscats.de/