Berlin. Katzen sind anspruchsvoll. Die Katzenverhaltenstherapeutin Birga Dexel sagt, wie es zwischen Mensch und Tier besser klappt.

15,7 Millionen Katzen lebten 2020 in deutschen Haushalten. Tendenz steigend. Denn gerade während der Corona-Pandemie – im Lockdown und Home-Office – haben sich viele Menschen Haustiere zugelegt. Doch während Hundehalter ihren Tieren beim Gassigehen Naturerlebnisse und Abwechslung bescheren, fristen die meisten Katzen ihr Dasein in Wohnungen. Wir sprachen mit der Katzenverhaltenstherapeutin Birga Dexel aus Berlin darüber, wie sich die Beziehung zwischen Mensch und Katze intensivieren und verbessern lässt.

Frau Dexel, nehmen Verhaltensprobleme bei Katzen zu?

Ja, das ist die Tendenz. Wobei die Frage ist, ob die Verhaltensprobleme an sich zunehmen oder ob bei den Katzenhaltern eine Sensibilisierung stattgefunden hat, dass man Katzenverhaltensprobleme ernst nehmen muss. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem.

Welche Verhaltensauffälligkeiten sind häufig, und aus welchen Gründen entstehen sie?

Das größte Thema sind Probleme im Mehrkatzenhaushalt. Das liegt daran, dass sich viele Menschen vorher nicht genügend Gedanken darüber machen, welche Katze überhaupt mit welcher zusammengehen könnte, und dass man die Zusammenführung falsch macht. Häufig ist die Anschaffung einer Zweit- oder Drittkatze eine Ad-hoc-Entscheidung. Oder sie erfolgt aus den falschen Gründen, weil es etwa besser ist, zwei Tiere zu haben, da man berufstätig ist. Das ist gut, wenn sich die Katzen miteinander verstehen. Verstehen sie sich aber nicht und man hat zwei Tiere zu Hause, die sich alleine überlassen sind und nicht miteinander klarkommen, ist das die Hölle für die beiden. Ich rede mir seit Jahren den Mund fusselig, dass es nicht darum gehen darf, dass ich schon immer mal einen roten Kater haben wollte. Sondern es muss darum gehen, dass das zweite Tier wirklich zu meiner Katze passt. Katzen sind sehr anspruchsvoll, mit wem sie zusammenleben wollen und können.

Das nächste Thema ist, die Tiere dann einfach zusammenzusetzen. Jedem, der ein bisschen Sensibilität hat, muss klar sein, dass eine Katze, die ein Reviertier ist, die plötzlich alles, was ihr lieb und teuer ist, mit einer anderen Katze teilen soll, nicht sagt: „Das ist toll. Jetzt frisst du mir mein Futter weg. Jetzt schläfst du auf meinem Lieblingsplatz. Jetzt schmust du eine Stunde mit Frauchen und liegst mit im Bett.“ Nein! Die Katze sagt: „Du hast hier nichts zu suchen!“ Katzen muss man langsam aneinander gewöhnen.

Was tun Sie als Verhaltenstherapeutin für Katzen dagegen?

Wir versuchen, den Leuten klar zu machen: Ruft vorher an, bevor ihr euch eine zweite Katze holt. Lasst euch präventiv beraten, damit wir uns anschauen, ist eure Katze überhaupt dafür geeignet, mit einer anderen Katze zusammenzuleben? Versteht sie Katzensprache? Denn das ist ganz wichtig. War sie lange genug beim Muttertier? Hat sie eine Sozialisierung mit Artgenossen? Und dann müssen wir ganz genau gucken, mit welcher Katze es funktionieren könnte. Muss es ein Weibchen oder ein Männchen sein, wie alt muss das Tier sein, welche Persönlichkeitsstruktur muss es haben? Wir begleiten die Leute bei der Auswahl der Katze und bei der Zusammenführung. Ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, kommt es auf die individuelle Situation an, welche Maßnahmen wir ergreifen müssen. Ob wir die Katzen zum Beispiel erst einmal voneinander trennen und sie dann wieder kontrolliert zusammenführen müssen. Wir gucken immer auf die individuelle Katze, ihre Situation und die Rahmenbedingungen, die ein Halter anbieten kann. Die Maßnahmen, die ich vorschlage, müssen für den Halter auch umsetzbar sein.

Mit seinem Hund in die Hundeschule zu gehen, ist gesellschaftlich anerkannt. Warum tun sich Katzenhalter dagegen schwer damit, sich Hilfe zu suchen?

Es ist mangelndes Wissen, dass das möglich ist. Hundeschulen gibt es wie Sand am Meer, aber es gibt nicht viele, die wirklich hauptberuflich mit Katzen arbeiten. Katzen sind anspruchsvoll und komplex. Ihre Probleme, beziehungsweise die Gründe für die Probleme – wie zum Beispiel Unsauberkeit –, sind nicht immer offensichtlich, so dass es auch für uns zum Teil Detektivarbeit ist, diese herauszufinden.

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Besonders Wohnungskatzen wollen gefordert und ausgelastet werden. Wie oft und wie lange muss ich mich am Tag mit meiner Katze beschäftigen?

Das ist abhängig davon, was die Katze sonst noch in ihrem Leben zu erleben hat und natürlich vom Alter und Gesundheitszustand. Je jünger das Tier ist, desto mehr Bewegungsmöglichkeiten muss ich ihm bieten. Die Katze zeigt mir auch, wann Schluss ist. Generell sagen wir: Lieber viele kleine Spieleinheiten, so wie es für den Halter im Rahmen seiner beruflichen Möglichkeiten geht, als einmal zu lang.

Welche Fehler begeht der Mensch denn am häufigsten beim Spielen mit seiner Katze?

Der häufigste Fehler ist, dass die Menschen nicht wissen, wie sie spielen müssen. Spielen heißt nicht, ich schmeiße ein Mäuschen und die Katze apportiert das. Das ist Hundedenken übertragen auf Katzen. Ich muss als Halter mit Begeisterung beim Spiel dabei sein; das Spielzeug ist gar nicht so wichtig. Es ist die Art und Weise, wie man spielt. Ich kann auch mit kleinen Papierbällchen spielen. Wenn ich mit Elan dabei bin und es schaffe, das Papierbällchen so zu bewegen, dass es Beute imitiert, dann ist dieses Spiel für die Katze viel spannender, als wenn ich die tollste Katzenangel kaufe, aber nicht weiß, wie ich sie bewegen soll und sie der Katze fast in die Nase halte, bis sie irritiert weggeht und überhaupt keinen Bock mehr auf das Spiel hat.

Sie setzen beim Training mit Katzen auf das sogenannte Clickern. Eine Methode, bei der mit einem Clicker, einem kleinen Gerät ähnlich einem Knackfrosch, ein akustisches Geräusch in Form eines „Klicks“ erzeugt wird. Auf diese Weise werden erwünschte Verhaltensweisen verstärkt. Bisher war dies eher aus dem Hundetraining bekannt. Was soll das Clickern bei Katzen bewirken, und lassen sich diese so einfach „dressieren“?

Dressieren gibt es nicht bei Katzen. Aber Katzen sind die Tierart, die mit am schnellsten lernt. Das Clickern ist erstens eine Methode, mit der ich Katzen alltagsrelevante Dinge beibringen kann wie in den Transportkorb zu gehen, Leinengang, sich ins Mäulchen schauen lassen, also medizinisches Training. Zum Zweiten ist es auch eine Auslastung. Ich kann durch Clickertraining Bewegung in das Leben der Katze bringen. Es stärkt die Bindung zwischen Halter und Tier. Menschen, die mit ihren Katzen clickern, sagen immer wieder, wir haben eine richtige Verabredung zum Clickern; die Katzen fordern das ein. Zudem baut es das Selbstbewusstsein von Katzen auf. Gerade in der Verhaltenstherapie ist Clickern wahnsinnig wichtig.

Welche besonderen Bedürfnisse haben Katzen?

Optimal wäre, wenn Katzen Zugang zu Grünflächen hätten, damit sie Teile ihres artgemäßen Verhaltensrepertoires, das auch im Jagen, Auflauern und Revier kontrollieren besteht, leben könnten. Deswegen bin ich eine große Verfechterin, Wohnungskatzen Leinengang beizubringen. Im kontrollierten Umfeld, etwa einem Garten oder einer Grünfläche hinter dem Haus. Ich bin nicht dafür, mit der Katze auf die Straße zu gehen. Das halte ich für viel zu gefährlich. Auch die Grünraumgestaltung im Innenbereich ist ein Thema. Grüne Oasen sind wohltuend und wichtig für Katzen.

Stichwort: Leinengang. Diesen auf keinen Fall mit einer herkömmlichen Leine, sondern ausschließlich mit einem Walking Jacket, also einem Westenbrustgeschirr für Katzen?

Richtig. Das ist ganz wichtig. Katzen können sich aus vielen Geschirren ganz leicht herauswinden. Man muss den Leinengang zuvor lange in der Wohnung trainieren – mit Clickertraining, bis das Walking Jacket für die Katze wie eine zweite Haut geworden ist. Erst dann macht man die ersten Schritte im Hausflur. Häufig scheitert es daran, dass die Leute zu ungeduldig sind. Wichtig ist auch, dass so ein Walking Jacket maßgeschneidert ist, denn Katzen sind Houdinis. Sie kommen fast überall raus. Vor dem Leinengang muss sich die Katze sicher fühlen. Und ich als Halter muss gucken, welche Gefahren draußen lauern könnten: Laufen dort Hunde herum, gibt es Autos?

Ein ganz wichtiges Thema: Wie ernähre ich meine Katze richtig?

Möglichst artgerecht. Das heißt möglichst nah an dem, was für Katzen normal wäre. Und normal wären Mäuse und kleine Nagetiere. Trockenfutter entspricht nicht den artgemäßen Bedürfnissen der Katze. Da sind viel zu viele Kohlenhydrate drin, die Katzen nicht verarbeiten können. Nassfutter sollte einen möglichst hohen Anteil an tierischen Proteinen und Fetten haben, keine pflanzlichen Proteine, keine künstlichen Fette – eine möglichst hohe Qualität.

Vegan zu leben liegt voll im Trend. Laut des Ernährungsreports 2021 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hat sich die Zahl der Vegetarier und Veganer im Jahr 2021 in Deutschland verdoppelt. Kann ich auch meine Katze vegan ernähren?

Nein! Das ist Tierquälerei! Katzen sind Fleischfresser per se, reine Carnivore. Der ganze Organismus ist auf Fleischverwertung ausgerichtet. Menschen sind dagegen Omnivore, Allesfresser; wir können alles mögliche verwerten. Das können Katzen nicht. Sie brauchen Fleisch. Ich bin selbst Vegetarierin/Veganerin und habe eine Ernährungsausbildung für Menschen. Ich weiß, worüber ich rede. Ich verstehe, wenn ich als Mensch kein Tier essen will und viele andere Möglichkeiten habe, mich zu ernähren. Ich darf aber nicht meine Lebensphilosophie einer anderen Art überstülpen. Katzen haben keine Wahl. Sie brauchen Fleisch und tierisches Fett, sonst werden sie krank.

Die Home-Office-Pflicht für Arbeitgeber hat am 1. Juli geendet. Die Büros füllen sich. Wie können es Halter ihren Katzen erleichtern, wieder mehr alleine zu sein?

Am besten ist es, sich vorher Gedanken zu machen, damit es keine Verhaltensprobleme gibt. Wichtig wäre eine Übergangsphase, dass die Katzen mehr und mehr daran gewöhnt sind, wieder alleine zu sein. Ich rate den Leuten, gegebenenfalls das Gespräch mit ihrem Chef zu suchen.

Zur Person

Birga Dexel arbeitet in Berlin als Katzenverhaltenstherapeutin mit eigener Beratungspraxis.

Die international anerkannte Artenschützerin war unter anderem neun Jahre als Initiatorin und Koordinatorin für ein Projekt zwischen der Republik Kirgisistan und dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zum Schutz des vom Aussterben bedrohten Schneeleoparden tätig. Dafür wurde sie 2004 mit dem Trophée-de-Femmes-Preis der Yves-Rocher-Stiftung in Paris ausgezeichnet.

Durch die TV-Sendungen „Hundkatzemaus“ bei Vox sowie ihre dort eigenen Formate „Katzenjammer“, „Drei Engel für Tiere“ und „Katzen-Kita“ wurde die Katzenexpertin einem breiteren Publikum bekannt.

Weitere Infos: birgadexel.com