Hann. Münden. Ob Hann. Münden oder Bad Grund: Zwei niedersächsische Genossenschaften kümmern sich um zu verfallen drohende Ortskerne. So funktioniert das.

Promenaden führen entlang der Flüsse Werra und Fulda, entlang der Straßen in der Altstadt reihen sich zahlreiche Fachwerkhäuser auf. Unter anderem die Lage und Architektur machen Hann. Münden zu einem bekannten Ausflugsziel in Südniedersachsen. Ein Besuch vor Ort zeigt aber auch: In vielen Straßen der historischen Altstadt finden die Blicke der Besucher Gebäude, die teils seit Jahrzehnten leer stehen. Ein Ärgernis für Stadt, Bürger oder Geschäftsleute. Bereits seit zehn Jahren versuchen Ehrenamtliche der Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt die verfallenden Gebäude zu retten – mit Erfolg.

In der Dreiflüssestadt – am Zipfel der Stadt münden Werra und Fulda in die Weser – sind mittlerweile fünf Gebäude im Besitz der ehrenamtlichen Gruppe. Zwei von ihnen wurden innerhalb der letzten zehn Jahre fertig gestellt und werden seitdem wieder genutzt, bei einem weiteren läuft aktuell die Sanierung.

Los ging es in Hann. Münden mit einem maroden Gebäude ganz im Norden der Altstadt. Im Februar 2013 gründeten 173 Menschen dazu die Genossenschaft, um das Haus zu kaufen und wieder aufzubauen. „Das war wirkliche ein verrücktes Projekt am Anfang“, sagt Vorstandsmitglied Sabine Momm. „Wir wollten nicht nur meckern, dass alles den Bach runtergeht.“

So funktioniert die Bürgergenossenschaft in Hann. Münden

Einen Genossenschaftsanteil gab und gibt es für 100 Euro. 350 Anteile wurden damals gekauft und bildeten das Startkapital der Bürgergenossenschaft. So entstehe zudem eine möglicherweise sogar emotionale Verbindung zu den Bauprojekten. Und: „Als Genossenschaft können wir viel langfristiger arbeiten als Investoren, die den schnellen Profit suchen“, erklärt Momm.

Sabine Momm ist Vorsitzende der Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt.
Sabine Momm ist Vorsitzende der Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt. © dpa | Swen Pförtner

In Hann. Münden sind laut der Stadtverwaltung nahezu alle Gewerbeflächen in gutem Zustand vermietet. Von 180 Geschäftsflächen stünden aber eben auch 23 leer. Das seien vor allem sogenannte Problemimmobilien. Verfallene Gebäude mit hohem Sanierungsbedarf, für die sich niemand zuständig fühlt.

„Pauschal gesagt sind 80 Prozent unseres Leerstands vermieterbegründet“, sagt Hann. Mündens Innenstadtbeauftragter Tobias Vogeley. Es gebe Eigentümer, die ihre Gebäude nicht sanieren wollen oder können. Die Stadt habe da wenig Handhabe „und man muss zusehen, wie die Objekte verfallen“. Die Bürgergenossenschaft sei deshalb enorm wichtig, weil sie diese Objekte kaufe und mit einer Perspektive wieder aufbaue.

Davon profitiere das Stadtbild ebenso wie das Angebot für Touristen und Bürger. Als neuestes und fünftes Gebäude haben die Ehrenamtlichen das Geburtshaus von Georg Friedrich Grotefend gekauft. Er gilt als der Mensch, der zuerst Teile der Keilschrift entzifferte. Vielleicht entstehe dort eine Art Museum, so genau stehe das noch nicht fest, sagt Momm.

In Hann. Münden „hat sich eine echte Gemeinschaft gebildet“

Die Bürgergenossenschaft hat mittlerweile über 400 Mitglieder und mehr als 1000 Anteile verkauft. Und: Das 2013 gekaufte Gebäude beherbergt heute vier Wohnungen sowie mit dem Künstlerhaus eine Veranstaltungsfläche im Erdgeschoss. Die Mieteinnahmen sind mittlerweile die größte Einnahmequelle der Genossenschaft.

An Wochenenden und Aktionstagen kommen die ehrenamtlichen Mitglieder zusammen, um Gebäude zu sanieren. Architektinnen, Ärzte, Bauingenieure oder Gärtner – viele zugezogen – arbeiten dann zusammen. Gelegentlich werden sie von engagierten Fachleuten unterstützt. Über die Jahre habe sich ein Kernteam von etwa 20 Mitgliedern herauskristallisiert. „Es hat sich eine echte Gemeinschaft gebildet, ohne dass das anfangs unser Ziel war“, sagt Momm.

Hann. Münden: Die alte Fassade mit einem Plakat „Häuser sterben leise!“ macht ein von Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt gekauftes Wohnhaus leicht zu erkennen.
Hann. Münden: Die alte Fassade mit einem Plakat „Häuser sterben leise!“ macht ein von Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt gekauftes Wohnhaus leicht zu erkennen. © dpa | Swen Pförtner

Im Inneren des Künstlerhauses erinnern Reste des Fachwerks an das ursprüngliche Haus. „Wir möchten immer den Charakter der Gebäude so gut wie möglich erhalten“, erklärt Momm. Änderungen beim Raumzuschnitt seien aber unausweichlich – aus Brandschutzgründen und für eine moderne Nutzung. „Manche Gebäude sind schließlich über 200 Jahre alt.“

Doch nicht nur die Bürgergenossenschaft saniert Gebäude in Hann. Münden. Durch ihre Arbeit hätten die Ehrenamtlichen auch Privatleute dazu animiert, Häuser zu sanieren. Es gebe sogar Menschen, die dafür hergezogen seien.

Nachahmer im Harz: In Bad Grund gibt es ebenfalls eine Bürgergenossenschaft

Nachahmer gibt es auch in anderen Städten. Im Januar 2022 gründete sich im Harz-Örtchen Bad Grund aus der Dorfgemeinschaft heraus ebenfalls eine Bürgergenossenschaft – explizit nach dem Vorbild aus Hann. Münden. Saniert wird dort ein Gebäude in allerbester Lage, mitten auf dem Marktplatz. Nur eben steht das im Herbst 2022 erworbene Haus seit mindestens 30 Jahren leer, erklärt Vorstandsmitglied Nikolai Simon-Hallensleben. „Für einen Investor wäre es viel zu teuer, das Gebäude wieder herzurichten“, sagt er, während drinnen Vorstandskollege Sebastian Engelhardt im ersten Stock alte Lehmziegel aus den Wänden reißt. „Wir müssen aber keinen Gewinn machen.“ Bisher habe das Haus nicht einmal eine Heizung und energetisch sei es schon mal gar nicht.

Oktober 2022: Bei der Übergabe des Hauses am Markt in Bad Grund waren viele Genossenschaftsmitglieder dabei. Die Bürgergenossenschaft hat ein Banner entworfen, das auf die bevorstehenden Sanierungsarbeiten hinweist.
Oktober 2022: Bei der Übergabe des Hauses am Markt in Bad Grund waren viele Genossenschaftsmitglieder dabei. Die Bürgergenossenschaft hat ein Banner entworfen, das auf die bevorstehenden Sanierungsarbeiten hinweist. © Harzkurier | Herma Niemann

Dort, wo es jetzt am Marktplatz noch staubt, sollen einmal Ferienwohnungen mit Blick auf die Harzgipfel entstehen. Im Erdgeschoss des 250 Jahre alten Hauses planen die Ehrenamtlichen ein Café und einen Veranstaltungssaal. 2024 sollen die ersten Arbeiten auf dem 1000-Quadratmeter-Grundstück, auf dem auch noch eine Scheune und eine verfallene Backstube stehen, abgeschlossen sein. „Alleine wäre das alles nicht möglich, aber zusammen ist die Aufgabe schon gar nicht mehr so groß“, sagt Simon-Hallensleben.

Bis zu 20 Gebäude stehen im Ortskern von Bad Grund leer, wie das Rathaus mitteilte. Auch hier ist man froh über die Arbeit der Genossenschaft und sieht die Chancen. Etwa weil die Bürgergenossenschaft einem künftigen Café-Betreiber bei der Pacht entgegenkommen kann, da sie nicht gewinnorientiert ist.

Genossenschaft in Bad Grund hat schon über 150 Mitglieder

Die Bürgergenossenschaft in Bad Grund habe bereits über 150 Mitglieder, etwa acht Leute bilden das Kernteam. „Wir haben mehr Zuspruch als erwartet. Auch viele, die nicht Mitglieder sind, bieten ihre Hilfe an. Zum Beispiel Handwerker“, sagt Simon-Hallensleben. Mit dem Projekt, wieder Leben in das Örtchen zu bekommen, könnten sich viele identifizieren.

In der Ferienzeit fehle es in dem Ort an gastronomischen Angeboten und der Marktplatz sei praktisch nicht belebt. „Mit Blick auf den Tourismus im Ort, aber auch für die Einheimischen wäre eine Belebung des Marktplatzes mit einem gastronomischen Angebot sehr wertvoll“, teilte die Stadt Bad Grund mit.

Mit einem monatlichen Fest auf dem Dorfplatz hat die Bürgergenossenschaft schon mal einen Anfang gemacht. Welchen Beitrag sie in Zukunft für die Bergstadt noch leisten wird, ist laut dem Vorsitzenden indes noch offen. „Es gibt noch viele Gebäude in Bad Grund, die man sanieren könnte.“

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