Braunschweig. Tilla Scheffer-Gassel heißt die neue Ombudsrätin unserer Zeitung. Als Anwältin der Leser kümmert sie sich um Beschwerden über die Berichterstattung.

Tilla Scheffer-Gassel war zwölf Jahre lang Vizepräsidentin des Amtsgerichts Braunschweig, jetzt folgt die 65-Jährige dem ehemaligen Domprediger Joachim Hempel im Ombudsrat unserer Zeitung. Zusammen mit dem Stellvertreter des Chefredakteurs, David Mache, will sie zwischen Lesern und Redaktion in Streitfragen vermitteln und ihr Urteil abgeben. Im Beisein von Armin Maus, Chefredakteur unserer Zeitung, und Ombudsratskollege Mache erläutert die Juristin, wie sie ihre neue Aufgabe ausfüllen will.

Sie sind gerade in den verdienten Ruhestand verabschiedet worden. Was reizt Sie daran, künftig ehrenamtlich als Ombudsrätin unserer Zeitung tätig zu sein?

Tilla Scheffer-Gassel: Ich finde das Ombudsrats-Modell der Braunschweiger Zeitung gut. Alleine hätte ich mir das Amt auch gar nicht zugetraut, denn ich bin keine Journalistin. Aber in diesem Gremium treffen redaktionelle Expertise und die Sicht eines Laien, eines Außenstehenden, aufeinander. Das ergänzt sich. Ich hoffe, dass mir dabei der Blick und die Erfahrungen meiner beruflichen Tätigkeit helfen.

Armin Maus: In der Tat gibt es in Deutschland unterschiedliche Ombudsrats-Modelle. Wir sehen als regionale Tageszeitung die Einrichtung nicht als Selbstzweck, sondern als ein Merkmal unserer freiwilligen Selbstkontrolle. Da sind wir auch sehr nah bei den Vorstellungen, die der Deutsche Presserat in dieser Frage vertritt. Der Ombudsrat ist ein kritischer Begleiter der Redaktion, aber er ist kein Teil der Redaktion. Das ist mir wichtig zu betonen. Deswegen ist auch der Blick von außen, den künftigFrau Scheffer-Gassel einnimmt, wichtig.

Haben Sie, Frau Scheffer-Gassel, eine besondere Erwartung an den Umgang der Redakteure mit den Lesern und umgekehrt?

Scheffer-Gassel: Nein. Ich will unvoreingenommen an die Sache herangehen. Aber ich finde es wichtig, sollte ein Redakteur über das Ziel hinausgeschossen sein, dieses auch offen anzusprechen. Erst natürlich in einem persönlichen Gespräch, aber dann auch für die Leserschaft nachvollziehbar in öffentlicher Form. Genauso geht es mir aber auch um Verständnisvermittlung.

Die neue Ombudsrätin stellt sich vor

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    Was verstehen Sie darunter?

    Scheffer-Gassel: Die Kritik der Leser bezieht sich in der Regel darauf, was in der Zeitung zu lesen ist. Aber es schadet doch auch nicht, dem Leser die Hintergründe zu erklären, warum eine Zeitung sich dafür entschieden hat, eine Überschrift so zu formulieren oder ein Bild so abzudrucken, wie es geschehen ist. Und man kann den Lesern auch erklären, warum Fehler passiert sind. Das erhöht die Transparenz, die Nachvollziehbarkeit und hoffentlich auch das gegenseitige Verständnis. Der größte Mangel herrscht doch immer wieder, weil zu wenig kommuniziert wird. Das habe ich auch als Juristin immer wieder erfahren müssen.

    David Mache: Meine Erfahrung ist aber auch: Wer gar nicht mehr an einem konstruktiven Dialog interessiert ist, der ist verloren…

    Scheffer-Gassel: …dann muss man das den Leuten aber auch persönlich sagen. Denn auch diese Erfahrung habe ich gemacht: Wenn man den Menschen in die Augen schaut, ist die Hemmschwelle größer, aggressiv in der Wortwahl aufzutreten. Die Menschen sind dann viel gemäßigter als diejenigen – ich nenne Sie Schreibtischtäter – die anonym jede Form des Anstands und der Höflichkeit vermissen lassen.

    Mache: Wer das als Leser nichtbeherzigt, der wird von unsdarauf hingewiesen, dass er sich, wenn man über die Sache diskutieren will, erst im Tonfall mäßigen müsse.

    Bei welchen Themen, mit denen sich der Ombudsrat in der Vergangenheit beschäftigen musste, kochen die Emotionen besonders hoch?

    Maus: Es gibt Themen, da treffen nicht nur unterschiedliche Einschätzungen in der Sache aufeinander, sondern Einstellungen, wenn man so will: Weltanschauungen. Da merken wir, dass in den Leserbrief auch der Ton rauer wird.

    Können Sie dafür Beispiele nennen?

    Maus: Dazu gehören in dieser Region Streitfragen zum Thema Mobilität, aber auch Religions-, Frauen- und Tierschutzfragen. Hier wird es mitunter auch zwischen den Leserbriefschreibern sehr persönlich. Pluralität gehört zum Wesen einer Zeitung und die Sicherstellung von Meinungsvielfalt ist uns ein Grundanliegen. Es muss aber im Dialog mit und unter den Lesern gemeinsame Wertegrundlagen geben, die die Spielregeln bestimmen. Hier haben wir als Redaktion auch eine enorme Sorgfaltspflicht.

    Haben Sie das Gefühl, dass das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Medien in Deutschland gestiegen ist?

    David Mache: Zu beobachten ist, dass der Ton sich in den letzten zehn Jahren verschärft hat. Pegida war da ein echter Einschnitt. Und es wird immer wichtiger – das ist auch Konsens bei den Tageszeitungen in Deutschland, die bereits einen Ombudsrat installiert haben – zu erklären, wie unabhängiger Journalismus in Deutschland funktioniert. Was macht eine unabhängige Redaktion aus? Wie wird recherchiert? Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die das nicht mehr wissen oder aber es nicht wissen will, weil bei ihnen die „Lügenpresse“-Rufe Wirkung gezeigt haben.

    Frau Scheffer-Gassel, wie ist Ihre Einstellung zum Journalismus? Welche Beobachtungen haben Sie gemacht?

    Scheffer-Gassel: Es ist immer wieder wichtig, zu betonen, welchen Wert Journalismus für eine Demokratie hat. Die Pressefreiheit ist ja nicht umsonst im Artikel 5 des Grundgesetzes an exponierter Stelle niedergeschrieben. Ich persönlich habe nie schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht. Was mich als Juristin aber manchmal gestört hat, ist, dass der Fokus der Berichterstattung oft auf negativen Ereignissen lag, über die natürlich auch berichtet werden musste. Aber eben nicht ausschließlich, denn die Vielfalt, mit der man sich an Amtsgerichten in Deutschland auseinandersetzen muss, ist enorm.

    Würden Sie Journalisten als vierte Gewalt bezeichnen?

    Scheffer-Gassel. Nein, das fände ich anmaßend. Es gibt drei Gewalten – und das ist auch gut so. Ich weiß auch nicht, wer das einmal aufgebracht hat. Legislative, Exekutive und Judikative stehen auch immer in einem Verhältnis, das keineswegs spannungsfrei ist. Die Presse begleitet diese Prozesse, überwacht sie, hinterfragt sie. Das ist eine sehr wichtige Kontrollfunktion, die die Medien einnehmen. Nicht jeder, der in diesem Staate eine wichtige Funktion besitzt, stellt aber eine eigene Gewalt dar. Ich finde übrigens: Immer wenn die Presse als vermeintliche vierte Gewalt genannt wird, ist das negativ besetzt.

    Können Sie nachvollziehen, dass ganz offenbar einige Menschen in Deutschland das Vertrauen in die Presse und in Journalisten verloren haben?

    Scheffer-Gassel: Ich kann das persönlich nicht nachvollziehen. Aber klar ist: Wenn man schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht hat, kann es sein, dass man das Vertrauen verliert. Aber man sollte ein einmaliges Ereignis nicht pauschalisieren. Es gibt Menschen und Vereinigungen, die aufgrund ihres Charismas oder der aufgegriffenen Themen gut in der Lage sind, auch negativen Einfluss zu nehmen. Für Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Medienkartell“ sind oft dann diejenigen empfänglich, die ganz generell Enttäuschungen erlebt haben; diese müssen sich gar nicht konkret auf die Arbeit von Journalisten beziehen.

    Glauben Sie, dass Ombudsräte dazu beitragen können, die Funktion der Presse in der Demokratie zu sichern?

    Scheffer-Gassel: Sichern? Das ist sicherlich ein zu hohes Ziel. Aber das Verständnis für die Arbeit von Journalisten zu mehren, für mehr Transparenz zu sorgen – das ist ein Ziel, das ich gerne als Ombudsrätin verfolgen will. Ich glaube auch, dass Menschen, die grundsätzlich der Zeitung gegenüber skeptisch sind, für die Argumente eines Laien, wie ich es bin, offener sind.

    Maus: Ich glaube das auch. Und dass Frau Scheffer-Gassel eine ausgewiesene Juristin ist, ist für die Leser und die Redaktion gleichermaßen ein Gewinn. Schon bei dem früheren Ombudsrat, dem früheren Generalstaatsanwalt Heinrich Kintzi, war beeindruckend, mit welcher Systematik, Akribie und stets sehr subtilen Abwägung er an die Fälle herangegangen ist. Die Dinge mit den Augen eines geschulten Juristen zu sehen, ist etwas, was für jeden Journalisten auch ein Lehrstück sein kann.

    Welche Fälle landen eigentlich auf dem Tisch des Ombudsrats? Was sind die Kriterien für Veröffentlichungen?

    Mache: Wir haben alle zwei bis drei Wochen Kolumnen des Ombudsrates auf der Leser-Seite veröffentlicht. Viele Anfragen von Lesern werden aber auch im persönlichen Gespräch, per Mail oder Brief beantwortet. Wir sehen dann von einer Veröffentlichung ab, wenn wir entweder sagen können, dass sich zu diesem Thema der Ombudsrat bereits mehrfach geäußert hat oder wenn wir glauben, dass dieser Fall keinen Mehrwert für die Leserschaft insgesamt hat. Wenn ein Leser ein persönliches Problem mit einem Artikel eines Redakteurs hat, dann ist doch der bessere Weg, die beiden zusammenzubringen. Man macht also in der Regel die Fälle öffentlich, bei denen auch ein allgemeines Informationsinteresse besteht.