Braunschweig/Goslar.

Leser Jürgen Dittmer aus Goslar schreibt zur Meldung „Wrack von Nazi-U-Boot gefunden“ auf der Panorama-Seite vom 14. April:

Mit dem Begriff „Nazi“ verbindet man schlimmste Gräueltaten: Auschwitz, Buchenwald, Oradour, um nur einige zu nennen. Vor einiger Zeit wurde in der Überschrift eines Artikels die Bezeichnung „Nazi-Offizier“ verwendet. Es schien sich aber nur um einen ganz normalen Offizier der Wehrmacht gehandelt zu haben, der in keine Verbrechen verwickelt war. Dann waren also Helmut Schmidt oder Graf Stauffenberg auch „Nazi-Offiziere“, wie es zweifellos Keitel und Jodl waren?

In welches Verbrechen war denn das vor Dänemark gesunkene und nun entdeckte „Nazi-U-Boot“ verwickelt? Das ist dasselbe, als wenn man heute jeden Islamgläubigen als Islamisten bezeichnen würde. Diffamierung ist anscheinend einfacher als Differenzierung, und wer andere diffamiert stellt sich selbst auf ein moralisch höheres Niveau.

Mit der Begründung „das ist im Namen des Nationalsozialismus geschehen“ können Sie jedes Mitglied der Wehrmacht vom „Nazi-Gefreiten“ bis zum „Nazi-Generalfeldmarschall“, mich als ehemaliges DJ- und HJ-Mitglied als „Nazi-Pimpf“, das MG 42 als „Nazi-MG“ und den Sturzkampfbomber als „Nazi-Stuka“ apostrophieren. Wenn Sie fragen, ob dieses Urteil so furchtbar ungerecht ist, muss ich Ihnen sagen: Ja, das ist es. Pauschalierungen sind meistens ungerecht. Oder finden Sie aktuell die Beurteilung der Flüchtlingsfrage durch die AfD oder Pegida gerecht – das heißt ausgewogen? Dann allerdings gebe ich mich geschlagen.

Harald Likus, News-Desk-Chef

und stellvertretender Chef-

redakteur dieser Zeitung, nimmt Stellung:

Der Begriff „Nazi-U-Boot“ ist grundsätzlich nicht unproblematisch, das gebe ich gern zu. Zum einen hat ein U-Boot natürlich keine Gesinnung. Zum anderen wirkt so eine Überschrift ein wenig reißerisch – als würden die Redakteure allzu sehr darauf schielen, dass das Etikett „Nazi“ so gut wie immer große Aufmerksamkeit erregt.

Und dennoch: Wer hat denn dieses U-Boot in den Krieg geschickt? Die Nazis, oder nicht?

Vor diesem Hintergrund kann ich den Begriff doch nicht so empörend finden. Auch das Wort „Nazi-Offizier“ bezeichnet in der oftmals gebotenen Kürze und Würze natürlich einen Offizier, der in herausgehobener Rolle in einer Armee gedient hat, die im Namen des Nationalsozialismus die Welt mit Krieg überzogen hat. Bei einem ungefragten Frontsoldaten oder HJ-Mitglied würde dies meiner Meinung nach schon wieder anders aussehen.

Einen moralischen Geschmack hat eine solche Formulierung natürlich immer, das räume ich ein. Aber ist derlei denn wirklich so furchtbar ungerecht?

Die Ombudsräte Joachim Hempel und David Mache schreiben:

Leser Jürgen Dittmer ist nicht der einzige, der sich am „Nazi-U-Boot“ reibt. Den Ombudsrat erreichte dazu auch eine Beschwerde von Rolf-Dieter Kolb aus Wolfsburg.

Die Überschrift der Meldung hat ferner zu einer lebhaften Debatte auf der Leserbriefseite geführt. So schrieb Leser Gerhard Wollny aus Wolfsburg: „Es können sich nicht mehr viele Überlebende der Kriegsgeneration gegen solche Pauschalierungen wehren, denn es sind nur noch Reste der Teilnehmenden dieses furchtbaren Krieges am Leben.“ „Natürlich war es ein Nazi-U-Boot – ein Boot der Marine der Nazis“, entgegnete Leser Rolf Schnitger, ebenfalls aus Wolfsburg.

Zunächst war es sicher nicht die Absicht der Redaktion, mit der Überschrift alle Soldaten von Wehrmacht, Luftwaffe und Kriegsmarine pauschal als Kriegsverbrecher zu titulieren – wenngleich die Legende der „sauberen Wehrmacht“ durch die Geschichtswissenschaft längst widerlegt ist. Allerdings wissen Redakteure aus der Leserforschung und von den Klickzahlen auf den Online-Nachrichtenportalen, dass bestimmte, emotional aufgeladene Reizworte besonders stark zum Lesen eines Textes animieren können. „Nazi“ zählt zu diesen Reizworten. Die engagierte Debatte unter den Lesern und die Vielzahl der Zuschriften zeigt, wie emotional das Erbe des Dritten Reichs auch knapp 75 Jahre nach dessen Untergang diskutiert wird. Handwerklich gesehen ist die Überschrift „Wrack von Nazi-U-Boot gefunden“ jedenfalls sehr gelungen: Sie enthält den zentralen Fakt und dürfte die Aufmerksamkeit vieler Leser geweckt haben.

Nun entzieht eine gute Lesequote der Kritik am Begriff „Nazi-U-Boot“ nicht jede Grundlage. Leseanreize zielen immer eher auf den Bauch als auf den Kopf ab. Journalisten stehen immer wieder vor dem Dilemma, dass kurze, knackige und Aufmerksamkeit erregende Botschaften möglicherweise zulasten der inhaltlichen Differenzierung gehen. Dieser Zielkonflikt wird sich kaum auflösen lassen.

Wir Ombudsräte folgen allerdings eher der Argumentation des stellvertretenden Chefredakteurs Harald Likus als der jener Leser, die den Begriff „Nazi-U-Boot“ als pauschal verunglimpfend empfinden. Einen Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht sehen wir nicht.