Braunschweig. Nach den Schüssen in der Silvesternacht kritisieren Leser, dass die Nationalität des Schützens nicht genannt wird – im Gegensatz zu anderen Fällen.

Leser Heinrich Plaschke aus Salzgitter schreibt zur Meldung „Vater erschießt am Neujahrstag seinen Sohn“ vom 3. Januar: Sie veröffentlichen: „Ein 64-jähriger Deutscher hat am Neujahrstag im Saarland nach eigener Aussage seinen Sohn erschossen.“ Eigentümlicherweise nennen Sie bei Straftaten immer Nationalitäten wie deutsch, polnisch, russisch, italienisch und so weiter; niemals jedoch Staatsangehörigkeiten aus dem muslimischen Bereich. Da heißt es dann höchstens ein „64-jähriger Mann“. Was hat das zu bedeuten? Gibt es da eine Zensur? Dürfen diese Straftäter nicht genannt werden? Im Grunde genommen weiß der Leser in den Fällen ja schon, aus welchem Kulturkreis die entsprechende Person stammt. Aber es ist diskriminierend, wenn lediglich Hinweise auf deutsche oder andere europäische Nationalitäten erfolgen.

Auch Leser Dieter Blumtritt aus Helmstedt kritisiert die Redaktion. Er schreibt zu „12-Jährige in Salzgitter angeschossen“ vom 2. Januar:

Könnten Sie mir erklären, warum die Erwähnung des Migrationshintergrundes beim Schützen in Salzgitter-Thiede nicht sachdienlich ist, die Erwähnung, dass die AfD Büroräume in einem Gebäude aus der NS-Zeit nutzt, hingegen doch? Für mich stellen solche Erwähnungen jedenfalls übelste Verunglimpfung dar (um treffendere Ausdrücke zu vermeiden).

Chefredakteur Armin Maus nimmt zu den Beschwerden Stellung:

Der Deutsche Presserat hat in einem langen Diskussionsprozess eine Leitlinie erarbeitet, auf deren Basis Redaktionen entscheiden, ob die Berichterstattung Angaben zur Nationalität enthalten sollte. Im Kern geht es dabei um verantwortungsbewussten Umgang mit der Gefahr der Verallgemeinerung. Die Berichterstattung soll die Tatsachen zutreffend beschreiben, aber keine Vorurteile schüren. Da die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe keinerlei Rückschlüsse darauf gestattet, ob ein Mensch kriminell wird oder nicht, sollten diese Informationen nur dann veröffentlicht werden, wenn sie in den Tatzusammenhang gehören. Das wäre zum Beispiel bei einer Clan-Fehde oder einem sogenannten „Ehrenmord“ der Fall, nicht aber bei Verkehrsverstößen.

Die Klage von Herrn Plaschke halte ich insofern für berechtigt, als Deutsche keineswegs häufiger von der Schusswaffe Gebrauch machen als Menschen mit Migrationshintergrund. Deshalb war die Erwähnung der Nationalität des Schützen unnötig. Nachweislich falsch ist allerdings die Behauptung, in den Tatzusammenhang gehörende Informationen würden bei Menschen aus dem muslimisch geprägten Kulturraum nicht genannt. Unsere Redaktion misst mit einheitlichem Maß.

Der Kritik unseres Lesers Blumtritt trete ich entgegen. Der Schuss, den ein 68-Jähriger gestanden hat, steht nach Aussage der Polizei nicht in Zusammenhang mit ethnischen Hintergründen. Deshalb war die Nennung nach unserer Überzeugung vom Pressekodex nicht gedeckt. Was den Vorwurf einer Denunziation der AfD angeht, so legt unsere Redaktion wert auf die Feststellung, dass wir über diese Partei nicht anders berichten als über alle, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. So verzichten wir auf den Zusatz „rechtspopulistisch“, so haben wir immer wieder auch in Kommentaren und Leitartikeln darauf verwiesen, dass aus dieser Partei heraus immer wieder Fragen gestellt werden, denen sich die Regierungsverantwortlichen widmen müssen. Allerdings häufigen sich in jüngerer Zeit Äußerungen einzelner AfD-Politiker, die ein erschreckendes Maß an rassistischer Verirrung verraten. Wer Boris Beckers Sohn als „Halbneger“ verunglimpft oder muslimische Männer pauschal mit Gruppenvergewaltigungen in Verbindung bringt, der hat den Boden unserer Verfassung und unseres Rechts verlassen.

Der Ombudsrat schreibt:

Im Pressekodex heißt es unter Ziffer 12 – Diskriminierungen: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ In der neu gefassten Richtlinie 12.1 wird ausgeführt: „Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Konkrete Praxisleitsätze zur Richtlinie 12.1 geben jedem Redakteur die Möglichkeit, jeden Fall sauber durchzudeklinieren: Stehen Nationalität und Herkunft eines Verdächtigen oder Täters in Zusammenhang mit der Tat? Wichtig für die Glaubwürdigkeit der Presse ist, dass diese Prüfung konsequent geschieht. Deshalb war die explizite Bezeichnung des 64-jährigen Todesschützen aus dem Saarland als „Deutschem“ gewiss gut gemeint, aber kontraproduktiv.

Im Fall des angeschossenen Mädchens in Salzgitter hingegen war es richtig und im Einklang mit dem Pressekodex, auf die Nennung der Nationalität des 68-jährigen Schützen zu verzichten. Medien tun gut daran, die Gefahren von Pauschalisierung und Vorverurteilung im gegenwärtigen politischen Klima ernst zu nehmen.