Braunschweig. Der Ombudsrat beschäftigt sich mit der Kritik eines Lesers an der Berichterstattung über Unkrautbekämpfung – und mit der Debatte um Glyphosat.

Leser Rolf Höltig schreibt zum Beitrag „Auch Bio-Bauern wollen kein Unkraut auf dem Acker“ auf der Antworten-Seite vom 27. Oktober:

Ein Leser fragt: „Warum muss das Unkraut – vor allem das blühende – überhaupt vernichtet werden?“ Die Antwort ist beklemmend und haarsträubend: Herr Kaufmann hat nämlich so gut wie gar nicht recherchiert; abgedruckt wird lediglich in höchster Ausführlichkeit der Text eines Vertreters/Lobbyisten der Agrarindustrie, Herrn Löhr.

Allein ein Blick in das Magazin „Spiegel“ vom 2. September 2017 hätte genügt, um eine gänzlich andere Sichtweise zu bedenken: „Deutschland leidet unter einem dramatischen Artenschwund. Nur eine radikale Wende zur Biolandwirtschaft könnte die Vielfalt noch retten.“ Aber dieses Thema ist so brisant, dass es zu den Wahlen ausgeklammert blieb – und nun auch in Ihrer Zeitung. Gipfel der Ausblendung unbequemer Tatsachen ist dann die dümmliche Aussage: „Dank Glyphosat wird kaum Ackerboden auf die Straßen gespült – und das wollen wir doch alle“. Von einer Recherche darf der Leser mehr erwarten – meinen Sie nicht auch?

Der kritisierte Redakteur Johannes Kaufmann nimmt Stellung:

Als Vorsitzender des Braunschweiger Landvolks Land vertritt Ulrich Löhr formell auch die Bio-Landwirte unserer Region. Da sich viele Bio-Landwirte aber in eigenen Verbänden organisieren und häufig andere Positionen vertreten als Bauernverband und Landvolk, wäre es durchaus sinnvoll gewesen, auch einen Bio-Bauern zu Wort kommen zu lassen. In diesem Punkt ist Herrn Höltig zuzustimmen.

Dass ich dies unterlassen habe, war nicht nur dem begrenzten Platz geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass sich konventionelle und ökologische Landwirtschaft zwar in ihren Methoden unterscheiden, nicht aber in der ganz grundsätzlichen Notwendigkeit der Unkrautbekämpfung.

Genau das ist aber Thema des Artikels. Dazu wurde keinesfalls nur ein „Lobbyist der Agrarindustrie“ befragt, sondern außerdem die Niedersächsische Landwirtschaftskammer und das Julius-Kühn-Institut für Kulturpflanzenforschung (JKI), das als Ressortforschungsinstitut des Bundes keine spezielle Ideologie verfolgt, sondern Landwirtschaft wissenschaftlich und zudem weltanschaulich neutral untersucht.

Auch die Erkenntnis, dass der Einsatz von Glyphosat bodenschonende Verfahren wie die Mulchsaat ermöglicht, was der Bodenerosion vorbeugt, ist keine Erfindung einer Agrarlobby. Entsprechend stammt die Aussage zur Schädigung des Bodens durch das Pflügen auch nicht von Herrn Löhr, sondern vom JKI.

Um aus einer aktuellen Broschüre des JKI zu zitieren: „Bei Mulch- und Direktsaatverfahren zur Erosionsvermeidung kann auf die Anwendung von glyphosathaltigen Herbiziden nicht verzichtet werden.“

Abschließend erlaube ich mir den Kommentar, dass gerade der von Herrn Höltig angeführte „Spiegel“-Artikel ein Paradebeispiel für die eigentlich zu vermeidende Vermischung von Bericht und Kommentar ist. Die überdeutliche Tendenz beginnt schon im Vorspann, der die gänzlich unbelegte Behauptung enthält, nur eine „radikale Wende zur Biolandwirtschaft“ könne die Artenvielfalt in Deutschland noch retten. Eine derart ideologisierte Darstellung, die eine romantisch verklärte Vergangenheit voller Vogelgezwitscher und Grillenzirpen einer düsteren Gegenwart toter Agrarwüsten gegenüberstellt und darüber hinaus voller Empörung auf den vermeintlichen Schuldigen zeigt, werde ich mir als Wissenschaftsredakteur ganz sicher nicht zum Vorbild nehmen! Das überlasse ich gern den Kollegen von Greenpeace – oder den von Herrn Höltig angeführten Grünen im Braunschweiger Stadtbezirksrat Südstadt-Rautheim-Mascherode.

Ombudsrat David Mache schreibt:

Der Wirkstoff Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln kann bunte Blüten von den Äckern tilgen und zugleich seltsame Blüten treiben. Denn der politisch-gesellschaftliche Diskurs um das Herbizid ist häufig nicht von Faktenkenntnis, sondern von Glaubensgrundsätzen geprägt.

Diese Zeitung hat in den vergangenen Wochen – besonders nach der umstrittenen Entscheidung der EU vom 27. November, die Zulassung für Glyphosat zu verlängern – auch viele kritische (Leser-) Meinungen zur Sache veröffentlicht. Johannes Kaufmanns Aufgabe als Wissenschaftsredakteur ist es jedoch, sich allein auf den Forschungsstand zu beziehen. Dazu hat er immer wieder unabhängige wissenschaftliche Institutionen wie das Braunschweiger JKI oder das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) befragt und zitiert. Seine Recherchen sind sorgfältig und sauber. Dass er in Kommentaren gerne pointiert seine fachlich fundierte Meinung äußert, ist legitim – denn Kommentar und Nachricht sind getrennt.

Mich bewegt ganz allgemein die Frage, weshalb über Glyphosat so aufgeregt-polarisierend diskutiert wird. Sicherlich bieten Themen wie Landwirtschaft, Naturschutz oder Artenvielfalt reichlich Stoff für Diskussionen, sicher sollte Natur geschützt werden. Doch wenn beispielsweise Öko-Aktivisten Morddrohungen an Wissenschaftler des BfR versenden, sind die Grenzen des politischen Diskurses bei weitem überschritten. Auf den Punkt bringt es der Hamburger Lebensmitteltechniker und Autor Burger Voss auf Facebook: „Genau das ist der Witz bei wissenschaftlichem Denken: Das eigene Gefühl muss aus der Betrachtung eliminiert werden. ,Sie wollen uns alle vergiften‘, ist genauso ein pegidaesker Reflex wie: ,Sie wollen uns alle überfremden‘ oder ,Sie wollen uns alle gedankenmanipulieren.‘ Welche These man genau bevorzugt ist eine Frage der Ideologie und der Sozialisation – die Denkmuster sind die gleichen.“

Ombudsrat Joachim Hempel schätzt den Fall anders ein:

Mein Problem in diesem Fall ist, dass ich mit meiner gering ausgeprägten Wissenschaftsgläubigkeit die Kaufmann’schen Thesen von der „wissenschaftlich und weltanschaulichen Neutralität“ nicht teilen kann. Diese Form von „reiner Wissenschaft“ hat schon vielfach fatale Folgen gehabt, gerade in der Aufarbeitung faschistischer oder kommunistischer Ideologien wurden solche „reinen“ Ergebnisse als vom System instrumentalisiert entlarvt. Unkrautbekämpfung und Artenschutz dürfen sich nicht ausschließen, würde ich mal platt sagen.

Ist es Aufgabe der Zeitung, Wissenschaftsergebnisse ethisch entkleidet zu propagieren? Die Person des Forschenden ist immer Teil der Forschung, dazu gibt es ja nun hochkarätige Beiträge von ethisch argumentierenden Wissenschaftlern. Eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zum Thema „Wertfreie Forschung?!“ wäre ja in der Stadt der Wissenschaft geradezu ideal!