Braunschweig.

Wieder mal ein Endspiel, einmal mehr steht die kurzfristige Zukunft der Eintracht infrage. Die Fans, die Stadt, die Region sind formiert hinter den Blau-Gelben, die seit Wochen hervorheben, welch wichtige Rolle ihre Anhänger in den vergangenen Wochen gespielt haben – und auch jetzt wieder innehaben, wenn es bei Hansa Rostock um alles geht. Die Chancen auf den Klassenerhalt stehen trotz der überwiegend schwachen Leistungen in den vergangenen Wochen ganz gut. Nicht mehr, nicht weniger.

Die 2. Bundesliga muss das natürliche Habitat der Braunschweiger sein. Die Tradition verpflichtet dazu. Seit 2018 aber kamen sie aus dem Fahrstuhl nicht mehr heraus – Liga 2, Liga 3, Liga 2 und wieder zurück – mal auch an der Schwelle zur sportlichen Bedeutungslosigkeit in der Regionalliga.

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Das hat mit andauernd wechselndem Personal auf der Trainerbank zu tun, mit Fehlentscheidungen in der Kaderpolitik und mit einem ständigen Nervenflattern in Extremsituationen – und das nervt. Daher sollte unabhängig vom Ausgang des Spiels am Sonntag ein Kulturwandel her und die Schneckenhaus-Mentalität abgelegt werden.

Der Klub wirkt von außen betrachtet seit Jahren eher leise, zurückhaltend und ängstlich. Das berichten zahlreiche Fans. Gehemmt von sich selbst. Vor allem in den wichtigen Phasen wird nicht auf die eigene Stärke vertraut, sondern darauf gehofft, dass die anderen Mannschaften schwächer sind und den einen entscheidenden Fehler mehr begehen. Unerschütterliches Vertrauen ins eigene Tun strahlt seit Wochen keiner so wirklich aus. Intern wohl schon, aber der breiten Masse ist das nicht ohne Weiteres zugänglich.

Der Verein ist eher Pommes Rot-Weiß als Rohkost

Dabei sollte sich der Klub nicht kleiner machen als er ist. Eintracht ist doch laut, selbstbewusst, auch mal unangenehm, konfrontativ, enthält sich nicht bei Abstimmungen, sondern geht mit klarer Kante rein. Der Verein ist eher Pommes Rot-Weiß als Rohkost. Mehr Dreitagebart als glattrasiert und breitbeinig statt galant. Ein Klub, der vorangeht, drängelt und dabei auch mal scheitert, aber sich nicht ins Schneckenhaus zurückzieht. Lieber ein Fehler mit wehenden Fahnen als ein stiller Niedergang. So schärft man sein Profil.

Eintracht, leg die Zurückhaltung ab!

Die Fans identifizieren sich vor allem mit der Tradition, mit der guten Stimmung, mit der familiären Gemeinschaft. Das sind besondere Merkmale, für die das Marketing den Begriff USP erfunden hat: Unique Selling Points, herausragende Leistungsmerkmale, die sich eben gut vermarkten lassen. Das darf und soll so bleiben. Wobei der Nachwuchs-Nachschub auch in der Fanszene schwächelt.

Derzeit ist es ein ständiges Löcherstopfen – je nach aktueller personeller Not

Aber was ist mit der Profi-Mannschaft, dem Aushängeschild eines jeden Klubs? Da wechselt alle zwei, drei Jahre nahezu komplett das Personal, das dann von einem ebenfalls alle zwei, drei Jahre mehr oder minder passenden Coach wieder neu zusammengebastelt wird. Kontinuität? Nachhaltigkeit? Vision? Identifikation? Kaum zu erkennen.

Weil es natürlich unheimlich schwierig ist, Kontinuität, Nachhaltigkeit und Vision in einen Klub zu implantieren, dessen finanzieller Status sich alle zwölf Monate markant verändert.

Daher ist es so, so wichtig, dass die Eintracht mal vier, fünf, sechs Jahre durchgängig in Liga 2 spielt. Das wäre das sportliche Fundament. Derzeit ist es ein ständiges Löcherstopfen – je nach aktueller personeller Not.

All diese Transfers waren mit dem Risiko verbunden, dass es nicht klappt

Der Kader dieses Spieljahres ist auf dem Papier besser als der Platz, auf dem die Mannschaft steht. Ein Team, das eine Achse von Ron-Thorben Hoffmann und Jasmin Fejzic im Tor, Filip Benkovic in der Abwehrmitte, Jannis Nikolaou im zentralen Mittelfeld, Immanuel Pherai in der Spielgestalterrolle und Anthony Ujah im Angriff besitzt, muss nicht im Abstiegskampf stecken – tut es aber bis zum bitteren Ende. Warum?

Weil die Eintracht Spieler wie Benkovic und Ujah nur bekommt, da diese in den vergangenen Jahren ewig lange verletzungsbedingt ausfielen. Und daher nun auch mal kleinere und größere Wehwehchen haben. Weil ein Pherai nur hier ist, da er bisher unter dem Radar geflogen war und daher auch Leistungsschwankungen unterliegt – zudem wird er von den Gegnern regelmäßig zusammengetreten. Und auch Hoffmann war zuvor kaum aufgefallen und daher zu bekommen. All diese Transfers waren mit dem Risiko verbunden, dass es nicht klappt.

Auch die engagierte Präsidentin Nicole Kumpis scheint richtig am Platz

Die Braunschweiger haben die dicke Chance, nach ihrem Aufstieg, zu dem ihnen im Übrigen auch erst die schwächelnde Konkurrenz verholfen hatte, ihre kurzfristige Zukunft in Liga 2 zu sichern. Ihr Habitat zu markieren für eine weitere Saison und dann wieder eine weitere. Und so kann das entstehen, wonach sich so viele Eintracht-Fans sehnen: guter Zweitliga-Fußball ohne permanenten sportlichen Überlebenskampf.

Wobei einigen sogar ein erneuter Abstieg nicht Unrecht wäre, damit dann eine generelle Neuausrichtung mit Plan und Philosophie den Klub zurück zu seinen Wurzeln kommen lässt. Sagen die Grantler jetzt. Doch wenn die Realität in Liga 3 dann ihren Idealismus überlagert, wären wohl auch viele von ihnen wieder unzufrieden. Aber es kann auch ohne Abstieg klappen.

Der bereits eingeschlagene Weg mit ehemaligen Profis, durch deren Adern blau-gelbes Blut fließt, nach und nach die planerische Ebene des Klubs zu besitzen, ist richtig und verdient Respekt – sowie Geduld. Der Weg kann auch holprig werden, aber zum Ziel führen. Die Entscheidung, Benjamin Kessel zum Sportdirektor zu machen und ihn damit perspektivisch als neuen starken Mann der Eintracht aufzubauen, klingt gut. Auch die engagierte Präsidentin Nicole Kumpis scheint richtig am Platz.

Dazu aber sollte sich die Eintracht von jetzt an wieder aufrecht hinstellen, die Brust durchstrecken, die Muskeln anspannen und selbstbewusst sagen: Hier regiert der BTSV – und sonst keiner. Glaube an die eigene Stärke passt besser zur Eintracht, als das Hoffen auf die Schwäche der anderen. Sonst verliert der Klub womöglich irgendwann seine USP, wenn er sich weiter so zurückzieht, dass er wie ein glattrasierter, unauffälliger, stiller x-beliebiger austauschbarer Wir-wollen-auch-mitspielen-Verein wirkt.