„Schade, dass in Deutschland Hunderttausende Mandolinen (so meine grobe Schätzung) im Dornröschenschlaf verstauben.“

30 Jahre hat er wohl mindestens gewährt – der Dornröschenschlaf der alten Mandoline in meinem Elternhaus in Neubrück (Kreis Peine). In einem selbstgenähten Überzieher dämmerte das leicht verbeulte Instrument auf einem Schrank vor sich hin. Ob nun die Corona-Langeweile oder meine wachsende Vorliebe für rustikale Country-Musik – Stichwort Bluegrass – der Auslöser war, kann ich nicht mehr sagen. Weihnachten 2020 jedenfalls nahm ich die kleine Achtsaitige mit zu mir. Und? Wir sind unzertrennlich geworden, auch wenn ich von Virtuosentum meilenweit entfernt bin.

Denn das Spielen macht vor allem Spaß. Erstaunlich, welche Bandbreite an Klängen der Mandoline zu entlocken ist. Für knackige Rhythmen – den „Chop Chords“, also „gehackten“ Akkorden – ist sie ebenso zu haben wie für feinziseliertes Melodiespiel oder sehnsuchtsvolle Tremolos. In allen Fällen jedoch wartet sie mit einem ebenso hellen wie erdigen Sound auf, der zum Tanzen und Mitsingen einlädt und zumindest mich an wahres, einfaches, gutes Leben erinnert.

Handliches Outdoor-Instrument: Willy Brandt 1976 im Teutoburger Wald – natürlich mit Mandoline.
Handliches Outdoor-Instrument: Willy Brandt 1976 im Teutoburger Wald – natürlich mit Mandoline. © Friedrich-Ebert-Stiftung FES | Henning von Borstell

Dass ich es mittlerweile zu einem bescheidenen Repertoire gebracht habe, verdanke ich vor allem dem Internet. Auf den gängigen Plattformen finden sich Unmengen Videos – meist englischsprachige, aber was macht das schon beim Vorführen von Griffen und Anschlägen? – von Mandolinespielern, die ihr Wissen und ihre Leidenschaft teilen, dass man meinen könnte, es gäbe seit Jahren nichts Angesagteres.

Das täuscht natürlich. Und es ist ja auch schön, ein Instrument zu spielen, das nicht jeder kann. Trotzdem ist es schade, dass in Deutschland Hunderttausende Mandolinen (so meine grobe Schätzung) im Dornröschenschlaf verstauben. Eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis ergab: Fast jeder weiß von einer unbespielten alten Mandoline in Griffweite – ob in der hintersten Schrankecke, im Keller oder auf dem Dachboden. Die große Zahl der schlummernden Instrumente lässt sich auch am Kleinanzeigen-Angebot ablesen. Hunderte Privatleute bieten im Netz ererbte Mandolinen feil – oft auch für sehr kleines Geld.

Diese Flut liegt daran, dass es Zeiten gab, in denen die kleine Achtsaitige überaus „in“ war: Zum ersten Mal in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als die Mandoline – neben der Mundharmonika – ein beliebter Begleiter junger Wander- und Freiluftfanatiker war. Wie alte Fotos aus meinem Heimatdorf zeigen, durfte sie bei geselligen Anlässen wie dem Abschluss der Spargelsaison nicht fehlen. Auch der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt spielte das ebenso robuste wie handliche Instrument. Spielen gelernt hatte er als Jugendlicher – in einem Arbeiter-Mandolinenklub. Einen zweiten Frühling erlebte die Mandoline dann mit dem Folk-Revival der 60er und 70er; aus dieser Periode stammt auch das Instrument aus meinem Elternhaus. Danach kam lange nichts. Und dann kam die neckisch-eindimensionale Ukulele, von der hier geschwiegen werden soll.

Also, entstaubt die Mandolinen! Damit das Musizieren wieder einen stärkeren Platz im Alltag erhält – ob nun auf Wanderschaft oder im heimischen Wohnzimmer. Ein Versuch lohnt allemal. Und die Instrumente sind schließlich da.

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