Das bisherige System war längst nicht perfekt, hat Unternehmen wie VW nicht vor Katastrophen bewahrt.

Die Kritik an Politikerinnen und Politikern, die ungelernt, das heißt ohne Berufsabschluss Karriere machen, mehrt sich. Eine prominente Zielscheibe ist die Grünen-Politikerin Julia Willie Hamburg, die als Kultusministerin das Land Niedersachsen im VW-Aufsichtsrat vertritt.

Die Zweifel an der Kompetenz dieser Menschen, die das Land führen und bei wichtigen Unternehmensentscheidungen mitreden sollen und wollen, ist berechtigt. Ohne Fachwissen werden diese Ansprüche nicht erfüllt. Die Kritik zeugt aber zugleich von einem Denken und Wertegerüst alter Schule, das mehr und mehr überholt sein wird.

Die Veränderungen in fast allen Lebensbereichen überschlagen sich. Das gilt auch für Bildungs- und Karrierewege. Längst stellen Unternehmen wie VW Quereinsteiger etwa als IT-Experten ein – ohne akademische Karriere oder mit einem abgebrochenen Studium. Das Können zählt, nicht das Zeugnis. Daran werden wir uns auch in der Politik zunehmend gewöhnen müssen.

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Zumal Fachwissen über den politischen Werdegang wachsen kann. Am Ende kommt es doch darauf an, dass Ideologie, Expertise und das aus pragmatischer Sicht Gebotene in Einklang zu einem guten Ganzen gebracht werden. Und weil sich die Welt so rasch verändert, die Herausforderungen so komplex sind, sind Einschätzungen von neuen Positionen immer wichtiger.

Allen, die jetzt genervt aufstöhnen, sei gesagt: Das bisherige System war längst nicht perfekt, hat Unternehmen wie VW nicht vor Katastrophen bewahrt. Denken wir nur an 2015 und das Stichwort Diesel. Klar, die Verantwortung dafür liegt im operativen Geschäft. Dennoch muss die Frage gestellt werden: Wo waren die Kontrolleure?

Das ist kein Freibrief für Politiker und Politikerinnen wie Julia Willie Hamburg. Aber eine Chance und das Vertrauen, dass sie das Beste für das Land und damit VW wollen, müssen ihnen als gewählte Volksvertreter erst einmal zustehen.

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