„Die Chancen auf eine nachhaltige Verbesserung des Frauen- und Mädchenfußballs stehen so gut wie lange nicht mehr.“

Von der allerersten bis zur allerletzten der 120 Spielminuten waren am Sonntag 17,9 Millionen Zuschauer an den Fernsehern dabei – so viele Menschen wie nie zuvor schauten sich das Finale der Europameisterschaft an, das die Deutschen nach Verlängerung mit 1:2 gegen die Gastgeber aus England verloren.

Es ist in den vergangenen Wochen ein Hype entstanden um das Team der Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg; eine große Welle der Begeisterung ist über Fußball-Deutschland hereingebrochen, und nun stellt sich die Frage: Wird die Welle weitergesurft? Oder versandet sie doch wieder?

Das Level der Aufmerksamkeit der Frauen-Nationalmannschaft ist sicher auf ein Allzeithoch gestiegen. Auch die hohe Politik um Kanzler Olaf Scholz, Innenministerin Nancy Faeser und Außenministerin Annalena Baerbock, die früher selbst Fußball gespielt hat, meldete sich zu Wort, drückte die Daumen zu den Spielen öffentlichkeitswirksam in den sozialen Medien und stellte Forderungen.

Der Bundeskanzler etwa griff das Thema „Equal Pay“ auf, der gleichen Entlohnung für Männer und Frauen. Mindestens bei den Titelprämien trifft Scholz einen wunden Punkt, den der Deutsche Fußball-Bund schnell angehen und zu Gunsten der Fußballerinnen verändern sollte. Während den Männern für einen EM-Titel (der letzte liegt 26 Jahre zurück) zuletzt 400.000 Euro ausgezahlt worden wäre, hätten die Frauen (letzter EM-Titel 2013) nun 60.000 Euro bekommen. Keine Frage: Auch das ist viel Geld und auch viel mehr als in den Jahrzehnten zuvor. Aber es ist immer noch nur etwa ein Sechstel der Männer-Prämie. Der DFB begründet das mit den ungleichen Vermarktungserlösen.

Das aber scheint ein exklusiv deutsches Problem zu sein – und damit nicht mehr als ein fadenscheiniger Vorwand. Denn acht EM-Teilnehmernationen waren von ihren Verbänden genau die Erfolgsprämien zugesichert worden, die auch die Männer entsprechend erhalten hätten. Es geht doch. Wenn man wirklich will.

Der DFB ist gefordert, die Welle der Euphorie mitzunehmen und mit allen ihm möglichen Maßnahmen so weit hinein ins Landesinnere zu befördern, dass die Basis gestärkt wird. Denn die bröckelt heftig. Seit 2010 hat sich die Anzahl der Mädchenteams laut der Talentförderung des Verbandes halbiert. Die Bundesliga-Spiele der Frauen haben im Schnitt weit weniger Besuche als jedes Zweitliga-Spiel der Männer. Vielleicht aber ist es falsch, solche Vergleiche anzustellen.

Keine Frage: Die Fußballerinnen hätten diese dauerhaft erhöhte Aufmerksamkeit verdient. Millionen vor den Fernsehern bei Länder-, Tausende in den Stadien bei Liga-Spielen. Auch hier ist der DFB wieder gefragt.

Warum steigen Länderspiele der Frauen wochentags um 16 Uhr? Warum werden parallel zum EM-Finale mehrere DFB-Pokalspiele angesetzt? Fragen, die sich der Verband gefallen lassen muss, wenn er wirklich eine langfristige Verbesserung herbeiführen will.

Immerhin: Vor der EM in England hatte der DFB die „Strategie Frauen im Fußball FF27“ vorgestellt. Hinter dem kryptischen Kürzel versteckt sich ein „Fast Forward“, ein schnell vorwärts, ins Jahr 2027, in dem Deutschland die WM gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien ausrichten will.

Die Strategie enthält konkrete Punkte: So soll die Anzahl der Spielerinnen, der Trainerinnen und der Schiedsrichterinnen um 25 Prozent gesteigert werden, darüber hinaus soll sich die mediale Reichweite verdoppeln – damit würde sich auch das Vermarktungspotenzial erhöhen. Vielleicht sogar verdoppeln. Der Verband wird sich am Erfolg seiner Strategie messen lassen müssen. Spätestens im Vorfeld der WM 2027 kristallisiert sich heraus, wie ernst man es auf den hohen Stühlen des DFB mit dem Frauen-Fußball nimmt.

Die Bundestrainerin sagte rund ums Finale angesprochen auf die derzeitige Euphorie und die Perspektive ihres Sports: „Es muss etwas davon übrigbleiben. Und es muss eine große Chance sein, in allen Ländern die nächsten Schritte im Frauenfußball zu machen. Wenn nicht jetzt, wann dann?“, sagte Voss-Tecklenburg.

Es ist eine ultimative Frage, die sie stellt. Sie impliziert auch eine letzte Chance für den Frauen-Fußball. Sollte es auch jetzt nicht klappen mit einem langfristigen Umdenken bei Verband, Publikum und Vermarktern, dann auf absehbare Zeit gar nicht mehr?

17,9 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger blieben am Sonntag voll dabei, in der Spitze schauten sogar mehr als 22 Millionen dabei zu, wie Voss-Tecklenburgs Mannschaft verlor und doch gewann. Die Chancen auf eine nachhaltige Verbesserung des Frauen- und Mädchenfußballs stehen so gut wie lange nicht mehr. Jetzt müssen sie nur noch genutzt werden.