„Wenn schon bunt, Herr Oberbürgermeister, dann auch konsequent.“

Ach, man möchte ihn knuddeln, den ohnehin schon irgendwie knuddeligen Oberbürgermeister. Spricht er nicht visionäre Worte gelassen aus? Die gleichgeschlechtlichen Ampelfiguren seien „symbolisch wichtig“, verkündigt uns der Herr Kornblum. „Sie stehen für ein Braunschweig der Weltoffenheit. Dafür, dass alle Formen der Liebe in Braunschweig Vorfahrt haben.“

Hier könnte diese Kolumne eigentlich schon vorbei sein. Denn wer wollte irgendetwas gegen solch edle Braunschweig-Beglückung einwenden? Faschistoide Holzklötze vielleicht oder klerikale Kleingeister. Aber sonst? Alle Menschen werden Brüder, pardon, natürlich auch Schwestern, pardon, auch Transsexuelle, Diverse, kurz: Alle Menschen werden LGBTQ. Jedenfalls in Braunschweig (armer Beethoven, das bring’ mal zum Klingen).

Da muss man jetzt auch nicht herumnörgeln an winzigen logischen Haarrissen. Was zum Beispiel haben schwule Ampelmännchen mit Weltoffenheit zu tun? Wurden denn schwule Ausländer vorher an den Braunschweigischen Grenzen abgewiesen? Und wieso stehen die Ampelmännchen für Vorfahrt, wo es doch um das fußläufige Überqueren von Straßen geht? Und was soll das überhaupt konkret heißen, dass die Liebe Vorfahrt habe? Klingt wie ein schlechter Schlagertext. Helene, übernehmen Sie.

Warum kein Davidstern

Die gut gemeinten Worte des Oberbürgermeisters stehen beispielhaft für eine inzwischen quasi automatisch, fast bewusstlos sich abspulende Selbstvergewisserungs-Rhetorik derer, die sich emanzipatorisch und toleranzmäßig auf der richtigen Seite wähnen. Das gilt auch, wenn Kornblum an anderer Stelle sagt, die Ampelmännchen stünden für ein „buntes und vielfältiges Miteinander in Braunschweig“. Ja, wirklich? Ich weiß nicht recht.

Wie auch immer, in letzter Zeit ertappe ich mich zunehmend beim Überdruss angesichts von derlei überstrapazierten Phrasen. Zumal ja Braunschweig bei Weitem nicht die erste Stadt ist, die solch revolutionäre Verkehrssymbolik wagt.

Und wen will man eigentlich erreichen mit den herzigen Ampelmännchen? Natürlich gibt es immer noch Homophobie in unserer Gesellschaft und wird es auch weiter geben – ich fürchte, trotz der Ampelmännchen. Aber nicht mehr allzu viel im Vergleich zu früheren Zeiten, wenn wir mal ehrlich sind.

Denken Sie nur an Wowereit und Westerwelle, an Spahn und Weidel. Oder nehmen Sie den Rapper Bushido. Vor zehn Jahren generierte dieser talentfreie Selbstvermarkter noch die kostbare Währung Aufmerksamkeit mittels schwulenfeindlicher Rumpelverse. Heute ist der deutsche Rap weitgehend davon ab. Und Bushido hängt sogar eine Regenbogenfahne in den Wind.

Hier könnte wiederum Schluss sein mit dem Text. Denn der Oberbürgermeister ist ja trotz aller haarspalterischer Einwände mit seinen Ampelmännchen humanitär auf der sicheren Seite. Sowieso. Und es ist auch nicht zu viel verlangt, diese Ampelmännchen einfach hinzunehmen, wenn man am Bohlweg über die Straße geht – auch wenn sie einem nicht gefallen. Sie beißen ja nicht. Viel gekostet haben sie laut Stadtbaurat Leuer auch nicht.

Und doch regt sich in der Bevölkerung Widerspruch. Das ist nun wieder interessant. Denn wenn man die unvermeidbaren homophoben Reaktionen abzieht, richtet sich der Protest eher gegen einen allgemeinen Zug unserer Zeit.

Die nicht ganz unberechtigte Frage lautet nämlich: Wenn man die gleichgeschlechtliche Minderheit ampelig repräsentiert, ist das nicht zugleich eine Diskriminierung anderer Minderheiten, die es nicht auf eine Ampel schaffen und trotzdem geliebt werden wollen?

Warum nicht Kinder auf Ampelschablonen? Eine alleinerziehende Mutter mit Kind? Warum nicht grüne Umrisse um einen schwarzen Körper? Warum nicht Menschen mit einem Davidstern statt des Herzchens? Warum nicht Menschen mit Rollator? Obdachlose mit struppigem Haar und Plastiktüte? Wenn schon bunt, Herr Oberbürgermeister, dann auch konsequent.

Andersherum gesagt: Wäre es nicht ein viel größeres Symbol der selbstverständlichen Gleichbehandlung von Minderheiten, wenn im gelassenen Vertrauen darauf, dass sich in einer guten Gesellschaft sowieso alle einbezogen wissen, das Symbol für das Überschreiten einer Straße auf ein schlichtes grünes Männchen reduziert würde? Im Sinne von: der Mensch? Im Sinn der englischen Sprache, in der „man“ Mann heißt und zugleich Mensch? Wo heute wohl keine Frau, kein Schwarzer, kein Schwuler, keine Lesbe, kein Behinderter auf die Idee käme, sich ausgeschlossen zu fühlen, wenn von „mankind“ die Rede ist?

Im Minenfeld der Sprache

Spätestens jetzt sollte aber wirklich endgültig Schluss sein. Denn nun schlittern wir auf das Minenfeld der Sprache. In die Debatte ums Gendern und Sternchen wollen wir hier erst gar nicht einsteigen. Also darum, ob es korrekt ist, Schülersprecher:innen zu schreiben oder nicht doch notwenigerweise Schüler:innensprecher:innen.

Oder ob jemand, der bei einem Chorkonzert über Sänger*innen schreibt, sich nicht einer Falschaussage schuldig macht, falls sich unter den Singenden keine Trans-Person befinden sollte – zumal diese ja sehr selten sind. Kann man noch „Schwarzer“ sagen oder „Farbiger“, oder muss es „Person of Color“ heißen? Amerikas Ureinwohner sind die...? Genug.

Was aber das Unwohlsein an den harmlosen Ampelmännchen und das Unwohlsein an den schon weniger trivialen sprachlichen Neuerungen verbindet, ist etwas Klimatisches: Das stete Lauern auf Nicht-Repräsentanz einer gesellschaftlichen Gruppe oder deren Nicht-Richtig-Repräsentanz, verbunden mit dem automatisierten Verdacht der Diskriminierung. Das lädt die Diskurse mit einem anstrengenden Moralismus auf. Und wem das nicht gefällt, der muss kein Feind von Weltoffenheit, Buntheit und Toleranz sein.