„Diese Bilder dokumentieren das politische Versagen, die Pandemie zu managen.“

Es sind bizarre Bilder. Hunderte Meter lange Schlangen von Menschen, die sich bei stürmischem Wetter brav in einer Reihe anstellen, um sich impfen oder boostern zu lassen, oder um einen Corona-Test machen lassen zu können. Bilder, die vor einem Vierteljahr noch niemand für möglich gehalten hätte. Leider muss man auch konstatieren: Diese Bilder dokumentieren das politische Versagen, die Pandemie zu managen. Die vierte Corona-Welle und der kommende, noch finstere Winter bescheren uns vor den Weihnachtsfeiertagen leider sehr deprimierende Aussichten.

In dieser Woche ging es in der Region in den Gesprächen und Diskussionen nur nebenbei um die Impfpflicht für alle, um so das Corona-Virus doch irgendwann stoppen zu können. Denn: Das Thema Impfpflicht wurde in der Region klar überlagert von dem Frust und der Wut der Gastronomen, Kulturschaffenden und anderen Unternehmer. Die Adhoc-Einführung der 2G-plus-Regelung ist für viele Selbständige ein gefühlter Lockdown durch die Hintertüre. Für den einen oder anderen nicht nur gefühlt. Manche haben kurzerhand ihr Lokal geschlossen, weil nun ohnehin kaum noch jemand kommt. Ein notgedrungener Selbstlockdown sozusagen, denn die wenigen Gäste decken nicht annähernd die Betriebskosten. Eine „o, du fröhliche Weihnachtszeit“ wird es heuer nicht mehr geben. 2G-plus trifft die Gastronomen hart, sie sind bedient.

Ein nervöses Reagieren der Regierung(en) ohne reelle Folgeneinschätzung im Alltag führt in Branchen mit Publikumsverkehr nun zum vorweihnachtlichen Desaster. Lange Schlangen, lange Gesichter bei ganz vielen Menschen in diesen Tagen. Und dann ständig neue Verordnungen, die man hinterfragen kann und muss. Dies wird zu noch mehr Vertrauensverlust im Hinblick auf die Corona-Entscheidungen der Politik führen. Fatal.

Vor einigen Wochen, als die Corona-Lage von der Bundespolitik trotz eindeutiger Warnungen diverserer anerkannter Wissenschaftler noch rosiger eingeschätzt worden war, wurden von Gesundheitsminister Spahn unter anderem die kostenlosen Corona-Tests abgeschafft. Abgeschafft deshalb, weil die Kosten nicht mehr vom Staat übernommen werden sollten. Die Pandemie-Lage wurde im Wahlkampf politisch schöngeredet, die Bundesnotbremse nicht verlängert. Dann, als die Corona-Zahlen in der kalten Jahreszeit wieder sprunghaft anstiegen, was ebenso wie eine zu niedrige Impfquote zu erwarten war, ruderte Spahn zurück. Also doch wieder kostenlose „Bürgertests. Schon längst waren die Testkapazitäten aber nicht mehr ausreichend vorhanden, weil etliche Testzentren zuvor ihre Zelte abgebaut hatten. Und nun, mit der kurzfristigen Verschärfung des zusätzlichen Testens sogar für vollständig Geimpfte hin zu 2G-plus, hat die Politik, auch die niedersächsische Landesregierung, mehr oder weniger von heute auf morgen das ohnehin schon überlastete System zum Kippen gebracht. Und damit indirekt einen Lockdown verordnet – ohne sich auch nur ansatzweise Gedanken über die Auswirkungen zu machen. „Denn sie wissen nicht, was sie anrichten“, müsste der abgewandelte Filmtitel des guten, alten James-Dean-Streifens heute heißen. Und nun kommt schon die nächste Regel-Variante, wenn Niedersachsen für geboosterte Leute ab heute doch wieder auf das zusätzliche Testen verzichten will. Es scheint ein endloses Hin- und Her zu werden.

Gäbe es nicht auch wackere Apothekerinnen und Apotheker und Arztpraxen, die neben ihrem eigentlichen Geschäft unermüdlich Tests anbieten, wäre das Ganze schon lange kollabiert. Und deshalb wird jetzt händeringend versucht, auf Teufel komm raus irgendwie Testkapazitäten zu schaffen. Man muss sich das mal vorstellen: Nun versuchen Gastronomen, Eventmanager oder Privatleute fieberhaft selbst Teststellen zu schaffen, um das öffentliche Leben in der Region irgendwie aufrecht zu erhalten. Das zeigt einerseits zwar die hohe gesellschaftliche Verantwortung. Die Politik hätte vor einer solchen Entscheidung aber ihren Teil dazu leisten müssen.

Besonders hart trifft es wieder die ohnehin schon gebeutelte Gastronomie. Erst wurden wegen der Corona-Inzidenzen reihenweise die umsatzstarken Weihnachtsfeiern storniert, nun gibt 2G-plus den Wirten den Rest. Mehrere Lokale in unserer Region haben deshalb freiwillig den Schlüssel vorerst umgedreht. Und selbst den vollständig geimpften Gästen ist der Appetit vergangen. Sie essen und trinken nun lieber zu Hause. Denn: Versuchen Sie mal, in diesen Tagen in einem der Testzentren einen Termin zu kriegen! Von Mittwoch bis Sonntag in dieser Woche gab es über die Online-Portale in der Stadt Braunschweig keinen einzigen Termin mehr. Wer einen Tisch in seinem Lieblingsrestaurant reserviert hatte, zu einer Kulturveranstaltung oder einfach ins Fitnessstudio gehen wollte? Pech gehabt. Oder man musste stundenlang anstehen und hoffen, rechtzeitig noch einen Test ohne Voranmeldung zu bekommen. Ach ja, auch die Tests selbst sind knapp geworden. Die niedersächsische Landesregierung um Stephan Weil kann sich spätestens vor der Landtagswahl im nächsten Jahr von einigen Berufsgruppen auf viel Gegenwind einstellen. Am Donnerstag hat der Bund-Länder-Gipfel auch im Einzelhandel 2G beschlossen, was wohl kommende Woche eingetütet wird. Auch dies wird das Weihnachtsgeschäft beeinträchtigen und den ohnehin schon kränkelnden Innenstädten noch einen Schlag versetzen.

Nicht falsch verstehen: Eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen ist angesichts der dramatischen Lage richtig und notwendig. Auch eine Impflicht muss her, wenn wir irgendwann wieder ein einigermaßen normales Leben führen möchten. Aber dann bitte auch mit klaren Regeln, die sich nicht jede Woche ändern. Die Bund-Länder-Konferenz muss neben den Infektionszahlen auch auf die Lage der betroffenen Branchen genau schauen. Heißt: Die Möglichkeit für diese, nachhaltig staatliche Unterstützung zu bekommen, sollte auch für die neue Bundesregierung ein Thema sein. Nicht nur um des Weihnachtsfriedens willen.