Die Hoffnung auf ein unbeschwertes neues Schuljahr 2021/2022 war schon vor den Sommerferien verflogen. Statt dessen setzt Corona weiter den Rahmen für das, was im Klassenzimmer und rundherum passiert. Und fast alle rechnen wieder mit einem harten Herbst. Während sich die Politik in Gestalt der Kultusminister bemüht, Gelassenheit und Wachsamkeit zugleich auszustrahlen, wächst besonders bei Grundschuleltern der Frust. Dass auch die Jüngsten und Kleinsten zum Schulstart auch im Unterricht eine Maske tragen müssen, hat dann mit Normalität eben doch nichts zu tun.

„Es gilt das Prinzip: Maximale Präsenz bei maximaler Sicherheit“, hat Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) das Motto des Schuljahres erklärt. Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) formulierte es etwas zurückhaltender so: „Wir blicken auf ein neues Schuljahr, in dem dank Impfungen und Tests wieder mehr Normalität in unsere Schulen einkehren wird.“ Die Formel lautet - auch in Niedersachsen - Präsenzunterricht in kompletten Klassen.

„In allen Schulen findet Regelbetrieb statt, begleitet von Maßnahmen aus unserer Sicherheitsstrategie. Alle Kinder kommen zum Präsenzunterricht in die Schule – begleitet von Testungen, Masken, Lüftungs- und Hygienekonzepten“, erklärte Tonne. In einem Schreiben an Schulleitungen, Lehrerkräfte und weiteres Personal wies der Minister ausdrücklich auf „Restunsicherheiten“ durch Reiserückkehrer aus Hochinzidenz- und Virusvariantengebieten hin. Daher würden die Schutzmaßnahmen auf „sehr hohem Niveau“ festgelegt. Für die Laufzeit der aktuellen Corona-Verordnung - sie soll bis zum 22. September gelten - gibt es die verschärfte „Maskenpflicht“. Außerdem begann das Schuljahr mit täglichen Tests. Diese Tests sind allerdings Laientests auf Vertrauensbasis. Wer Kinder an Schulen hat bekommt mit, dass regelmäßig auch nachgetestet werden muss. Frühere Klagen darüber, wonach viele Kinder ohne Frühstück, ohne komplette Arbeitsmaterialien und ohne Pausenbrot in die Schule geschickt würden, passen nicht recht zum Selbsttestprinzip. Forderungen nach überwachten Sammeltests in der Schule, etwa per „Lolli“-Test, ließ Tonne ins Leere laufen. Dabei hatte das Kultusministerium zunächst selber Tests in der Schule für besser gehalten, nach Lehrerprotesten aber umgeschwenkt.

In einem Elternbrief betonte Tonne außerdem, dass er „die Unzufriedenheit über notwendige Maßnahmen, wie eine Mund-Nasen-Bedeckung im Unterricht, nachvollziehen kann“. Die Maske sei aber ein besonders wirksamer und deshalb wichtiger Baustein im Infektionsschutz. Zumindest in den ersten Wochen nach den Ferien im „Szenario B“ zum Infektionsschutz mit geteilten Klassen zu starten, war allerdings offenbar keine Option. Die früheren Szenarien B und C („Distanzlernen“) hat Niedersachsen zum neuen Schuljahr außer Dienst gestellt. Ähnlich klingt es beispielsweise in Hessen. „Die neuste Anpassung des hessischen Eskalationskonzepts sieht vor, dass bei steigenden Inzidenzwerten keine Schulschließung und damit auch kein Distanz- oder Wechselunterricht mehr stattfinden wird“, heißt es in einer Erklärung aus dem dortigen Kultusministerium. In Niedersachsen sollen die örtlichen Gesundheitsämter im Einzelfall entscheiden, was sie für die betroffene Schule anordnen. Das dürften vor allem Quarantäneauflagen für Covid 19- erkrankte Schulkinder und wohl auch für deren Sitznachbarn sein.

Auch Niedersachsen hat zwar mittlerweile aus dem letzten Schuljahr reichlich Erfahrung mit geschlossenen Schulen oder Quarantäneanordnungen. Wie die ansteckendere „Delta“-Variante sich auswirken wird, weiß man aber noch nicht. Nach Erkenntnissen der Region Hannover stecken derzeit vor allem ungeimpfte Eltern ihre Kinder an - und für Kinder unter 12 Jahren gibt es weiter keinen zugelassenen Impfstoff. Die Sicherheit für sie steigt mit jeder Impfung derer, die sich impfen lassen können. Tonne hat Druck allerdings vermieden, er spricht von einer freiwilligen Entscheidung und scheint das auch so zu meinen. „Ihr möchtet in die Schule, alle und gemeinsam“, beschreibt Tonne die Stimmungslage in seinem Brief an die Schulkinder. Doch das ist nicht ohne Gefahren. Denn „maximale Sicherheit“ kann niemand versprechen. Als „besonders vulnerable Gruppen“ bezeichnete Regierungssprecherin Anke Pörksen am Freitag Kinder.

Als größte Schwachstelle zeichnet sich weiter die nur schleppende lüftungstechnische Aus- und Aufrüstung der Schulen ab. Statt eines gemeinsamen Kraftakts verwies das Land oft auf die Zuständigkeit der Schulträger, Schulträger auf fehlende oder zu späte Vorgaben des Landes, auch auf schwierige Umsetzbarkeit. Elternverbände protestieren seit langem, bissen aber lange auf Granit. So bleibt ein fader Nachgeschmack, dass der Schutz der Jüngsten eine solche Anstrengung offenbar nicht wert ist. Und zugleich der Eindruck einer hoffnungslosen Überforderung. Vielleicht kein Zufall: Bei der aktuellen Lehrereinstellungsrunde sieht Niedersachsen, verglichen mit den August-Einstellungsrunden der Vorjahre, ebenfalls nicht allzu gut aus. Die fehlende Bedarfsplanung, nicht nur in Niedersachsen ein Problem, weckt Zweifel an der Handlungsfähigkeit von Politik auch in diesem Bereich. Kein gutes Zeugnis. Bildungsverbände mahnen außerdem zu Recht an, bei der Digitalisierung mehr Tempo zu machen. Bei diesem Thema waren der Minister und die kommunalen Spitzenverbände mächtig aneinandergeraten. Auch das hinterließ keinen guten Eindruck.

Dass der Minister zum Schulstart nun vor Angstdebatten warnte, ist allerdings mehr als ein Ablenkungsmanöver von Schwächen. Es hat in der Tat keinen Sinn, nur in einen Tunnel zu blicken. Wenn die Corona-Regeln befolgt werden und auch Quarantäne eingehalten wird, gibt es eine Chance, erträglich durch den Herbst zu kommen. Und so bitter Masken im Unterricht für die Kleinsten sind: Für die Kinder ist auch der Rückhalt der Eltern entscheidend, um möglichst gut durch dieses wieder schwierige Schuljahr zu kommen. Hoffen wir, dass es das letzte dieser Art ist. Die Politik aber muss endlich auch für den anderen Fall planen.