„Volkswagen geht fest davon aus, dass es trotz Sharing und Co in Zukunft nicht weniger Autos geben wird. Ist es das, was wir als Gesellschaft wollen?“

Früher taten Autobauer mal das, was der Name sagt: Sie bauten Autos. Heute müssen sie sich viel breiter aufstellen, um nicht Opfer einer Entwicklung hin zu mehr Digitalisierung und Vernetzung zu werden. Der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Herbert Diess glaubt, dass der anstehende Wandel der klassischen Autobranche „die größte Transformation seit der Umstellung von Pferdekutschen auf Automobile“ ist.

Um diesen Umbruch zu stemmen, hat der Wolfsburger Autobauer an allen Fronten die strategischen Weichen gestellt. Gleichzeitig trompetet Volkswagen selbstbewusst in die Welt, bald auf Augenhöhe mit Tesla sein zu wollen – bei der Elektromobilität – und im Jahr 2030 mit Google – beim Software-Angebot. Denn es geht bei diesen wahnsinnig ambitionierten Zielen auch um Machtanspruch, Deutungshoheit und Überzeugungskraft.

Die starken Gewinnzahlen im ersten Halbjahr 2021 zeigen, dass VW offenbar den richtigen Kurs eingeschlagen hat. Die Elektro-Autos verkaufen sich gut, bei den Stückzahlen hat VW bald Branchenpionier Tesla eingeholt. VW baut zudem die Elektro-Produkt-Palette aus – worauf sich Taxi-Unternehmen jetzt schon freuen – und setzt auf sinkende Preise durch Skalierung und Vereinheitlichung in den Werken. Abhängig ist und bleibt VW bei der Elektromobilität aber von einer Lade-Infrastruktur, die aufgebaut werden muss und zudem vom grünen Strom. Das schönste E-Auto nützt nichts, wenn es mit Kohlestrom fährt. Beide Rahmenbedingungen muss die Politik setzen.

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Beim Entwickeln der Technik für das autonome Fahren hat sich Volkswagen mit Ford zusammengetan. Software und eigene Betriebssysteme entwickelt VW mit einer eigenen IT-Tochter und bildet zudem zunehmend Software-Entwickler aus – denn sie sind rar und extrem gefragt. Software-Entwicklung hat so eine hohe Priorität im Konzern, dass sich inzwischen auch VW-Chef Diess einen Tag in der Woche allein mit der IT-Tochter Cariad beschäftigt.

Bei Dienstleistungen rund um Mobilität wie zum Beispiel Car-Sharing will Volkswagen auch ganz vorne mitspielen, erst diese Woche haben die Wolfsburger die Übernahme vom Autovermieter Europcar eingeleitet.

„Volkswagen ist strategisch gut aufgestellt, jetzt müssen sie es aber noch gut umsetzen“, sagt Experte Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft in Bergisch-Gladbach. Bei der Umsetzung stehen noch viele Fragezeichen: Wird VW tatsächlich die starke Software-Kompetenz aufbauen können? Google und Co haben jahrelangen Vorsprung. Die Software-Probleme beim Golf 8 und auch beim Vorzeige-Elektromodell ID.3 zeigen, wie schwer es ist, aufzuholen. Auch beim autonomen Fahren lauern viele Wettbewerber.

VW ist erpressbar von China

Bratzel erinnert daran, dass zudem China für VW irgendwann einmal zum Problem werden könnte. Stand jetzt ist die Volksrepublik größter Einzelmarkt für VW und trägt sage und schreibe 40 Prozent zum Geschäft bei. Das macht den Autobauer in gewisser Hinsicht erpressbar. Und Chinas Agieren in Hongkong zeigt schon den machtpolitischen Anspruch, den der jetzige Präsident und Diktator auf Lebenszeit Xi Jinping hat. Ganz zu schweigen von der muslimischen Minderheit der Uiguren in China, die in eben der Region in Arbeitslager gesteckt werden, wo auch VW Autos bauen lässt. Eine krasse Menschenrechtsverletzung, die VW bislang ignoriert – und damit durchkommt.

Die Herausforderungen für VW, wie für die gesamte Branche, sind also riesig. In Wolfsburg hilft es da, dass Betriebsrat und Vorstand wieder gut miteinander können und an einem Strang ziehen wollen. Wer der Branche bis jetzt immer als verständnisvoller Freund und Helfer zur Seite stand, war die Politik – sei es bei dem Diesel-Betrug oder der Corona-Krise. Das ist oft genug kritisch zu sehen, tatsächlich braucht die Branche nun aber nicht die schützende Hand der Politik, sondern vor allem ihr Agieren. Tempo bei den Erneuerbaren Energien und Tempo beim Abbau von Bürokratie.

Gelingt auch das, darf man bei VW zuversichtlich sein, dass die Gewinne weiter sprudeln. Wie sagte es Herbert Diess so schön in seinem letzten Talkshow-Auftritt bei Markus Lanz: „Dekarbonisierung darf auch Geschäftsmodell sein.“ VW verspricht mit Elektromobilität und autonom fahrenden Autos eine verheißungsvolle Zukunft – mit mehr Zeit und weniger CO2 für jeden einzelnen Menschen und die Umwelt. Das ist Marketing.

Gleichzeitig geht VW fest davon aus, dass es trotz Sharing und Co in Zukunft nicht weniger Autos geben wird. Ist es das, was wir als Gesellschaft wollen? Jetzt, wo Cafés ihre Tische und Stühle auf Parkplätze in der Innenstadt ausbreiten, um Platz zu haben? Wo wir genug von Staus und Blechlawinen haben und einige Städte in Deutschland und der Welt autofreie Zonen und Tage austesten? VW will das sicherlich, andere wollen mehr ÖPNV und bessere Radwege. Es braucht gesamtgesellschaftliche Konzepte. Stattdessen schafft VW teilweise Realitäten. Das ist die gesellschaftliche Kehrseite vom VW-Erfolgskurs.

Wenn VW außerdem ständig von der großen Transformation redet, sollte der Autobauer auch überlegen, sein Verhalten gegenüber Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie gegenüber Anlegern zu transformieren. Nichts für ungut: Na klar ist so mancher VW-Werker im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen – etwa in der Pflege – geradezu überbezahlt. Dennoch hat Volkswagen in der Tarifrunde vergangenes Jahr richtig schön herumgejammert. Erst im fünften Anlauf kamen Arbeitgeber und Gewerkschaft zum Abschluss: 2,3 Prozent Entgelterhöhung. Angesichts der steigenden Inflation und vor allem dem Rekord-Gewinn in diesem Halbjahr bei VW ist das nicht üppig.

Ganz anders handelt der Autobauer, wenn es um die eigenen Aktionäre geht. Zwar hat man für 2019 den Dividendenvorschlag wieder eingekürzt, aber für das Corona-Jahr 2020 schüttet VW Milliarden aus – das zeigt, wo die Prioritäten liegen: beim Geld. Und wenn man es heute grün verdient, dann eben grün.

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