„Völlig klar: Nicht alles, was unerträglich ist, muss auch strafbar sein.“

Interessant, was man in Deutschland heute so sagen darf. Die Beschimpfung eines Pressevertreters durch einen Rechtsextremisten als „Judenpresse“ sei nicht strafbar, weil das Wort „Jude“ ja kein Schimpfwort sei, begründete die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Einstellung des Verfahrens wegen Volksverhetzung.

Auch wenn es sicher unfair wäre, den Strafverfolgern die sprichwörtliche Blindheit auf dem rechten Auge zu unterstellen, erscheint die Erklärung der Behörde doch recht blauäugig. Schließlich erfolgen solche Äußerungen nicht im luftleeren, geschichtslosen Raum. Zu hoffen, dass das Wort „Jude“ absehbar ausschließlich einen ähnlich neutral-beschreibenden Klang hat wie „Christ“, „Muslim“ oder „Hindu“, ist zwar ein ehrenwerter Wunsch. Gerade viele Juden sehnen sich nach Normalität: dass ihre Gesprächspartner nicht plötzlich sprachlos oder unsicher sind, wenn sie erfahren, welche Religion ihr Gegenüber hat. Aber angesichts Jahrhunderten der Schikane und Verfolgung von Juden, welche im Menschheitsverbrechen des Holocaust gipfelten, ist es naiv, die nach wie vor vorhandene antisemitische Hetze zu etwas zu erklären, das nur im Auge des Betrachters liege. Wer so argumentiert, liefert denen eine Steilvorlage, die treuherzig beteuern, die „88“-Tätowierung im ausrasierten Stiernacken sei eine Würdigung ihrer 88-jährigen Oma, oder sie wüssten selbst nicht recht, was der hippe Schriftzug „HKNKRZ“ auf ihrem T-Shirt zu bedeuten habe.

Völlig klar: Nicht alles, was unerträglich ist, muss auch strafbar sein. Auch wenn es frappiert, wie stumpf Justitias Schwert mitunter im Kampf gegen antisemitische Hetze ist – Staatsanwälte und Richter allein können dieses Problem nicht lösen. Um Fortschritte zu machen, müssen wir alle antisemitische Aussagen erkennen und beim Namen nennen.