„Politik sollte nicht verbal maßregeln, sondern selbst klare Regeln für Herbst und Winter schaffen.“

Wird der deutsche Corona-Erfolg zu einem Albtraum? Im Rest Europas schauten sie im Frühling und Sommer mit einer Mischung aus Neid und Respekt auf die Deutschen. Weniger als 10.000 Bürger starben in der ersten Welle durch Covid-19. Mit rasant wieder steigenden Infektionszahlen ist klar, dass die 82-Millionen-Nation nicht immun ist.

Die Lage ist ernst. Aber es gibt keinen Grund zur Panik. Die Kliniken sind gewappnet. Es gibt mehr Intensivbetten als in Spanien und Italien zusammen. Die Corona-Therapien sind besser geworden. Schulen und Kinder sind keine Virenschleudern. Einen zweiten Lockdown darf es nicht geben. Das wäre unbezahlbar. Jeder sollte sich jetzt an die eigene Nase fassen – und stößt dabei hoffentlich auf ein Stück Stoff. Muss ich bei der Geburtstagsparty beim Nachbarn dabei sein? Im Restaurant drinnen sitzen?

Jens Spahn spricht von einem „Charaktertest“ – das hört sich eine Spur zu oberlehrerhaft an. Weniger Macron, mehr Münster bitte. Maskenmüdigkeit, der Wunsch nach Normalität und Nähe, das ist nach acht Monaten Pandemie verständlich.

Politik sollte nicht verbal maßregeln, sondern selbst klare Regeln für Herbst und Winter schaffen. Fußballfans im Stadion? Unnötiger Kotau vor der Liga. Beherbergungsverbote in letzter Minute? Die Herbstferien kamen für die Länderchefs so überraschend wie Ostern. Wie wird Weihnachten? Nur mit negativem Test zu Oma und Opa? Weiter Sippenhaft für Großstädter?

Am Freitag redet die Kanzlerin mit den wichtigsten Oberbürgermeistern. Schön, gut und wichtig. Bald sollte sie wieder zur ganzen Nation sprechen. Im Fernsehen. Das verunsicherte Land steht mit der zweiten Welle an einer Weggabelung – und braucht Führung dringender denn je.