„Kaufanreize für E-Autos bieten gute Voraussetzungen für den ID.3. Noch besser wären sie, gäbe es keine Mängel.“

Bei VW in Wolfsburg ist man verwöhnt. Der gute alte Golf, der alle paar Jahre in einer neuen Generation verjüngt wird, fährt regelmäßig gute bis Bestnoten in Autotests ein. Und nun das: Sein elektrifizierter Bruder, der ID.3, wurde nach ersten Probefahrten von Fachmagazinen ordentlich abgewatscht. Dass der ID.3 anfangs Probleme mit digitalen Anwendungen beziehungsweise mit ihrer Verfügbarkeit haben würde, war zu erwarten – und ist hoffentlich so eine Art Kinderkrankheit. Dass die Tester aber auch Materialauswahl und Verarbeitungsqualität des ID.3 kritisieren, muss in Wolfsburg schon schmerzen.

Nun ließe sich sagen: Sind ja nur erste Tests, das wächst sich aus. Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn der ID.3 ist das erste Modell einer neuen Fahrzeugfamilie, die bei Volkswagen einen tiefgreifenden Wandel einleiten soll. Schritt für Schritt sollen die Stromer ihre Benzin- und Diesel-angetriebenen Geschwister wie den Golf ersetzen.

Damit will VW nicht nur umweltfreundlicher werden und Imagepflege betreiben. Vielmehr sollen die E-Modelle hohe Strafzahlungen vermeiden. Die drohen, wenn VW die neuen Schadstoffgrenzen überschreitet.

Das Projekt Elektro-Mobilität hat in Wolfsburg schon lange den Status des Ausprobierens überschritten. Die Strategie ist gesetzt, viele Milliarden werden in den Ausbau fließen. Wie kein anderer der klassischen Autobauer setzt VW auf seine E-Modelle als Erfolgsrezept für die Zukunft. Verantwortlich für diese Strategie ist Konzernchef Herbert Diess. Er treibt das Thema konsequent voran.

Solange seine Pläne aufgehen, wird er die Unterstützung nicht nur der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch und des Aufsichtsrats erhalten, sondern auch des Arbeitnehmerlagers. Allerdings bilden hohe Erwartungen, Verunsicherung durch die Transformation der Branche und zusätzlich durch die Corona-Krise sowie der damit verbundene Erfolgsdruck ein hoch explosives Gemisch. Eine erste Detonation gab es bereits im Mai, als Arbeitnehmervertreter in einem Brandbrief den Vorstand für die Qualitätsmängel beim gerade erst angelaufenen Golf 8 verantwortlich machten.

Bestätigen sich die Kritikpunkte der Tester beim ID.3 und erfüllt der Stromer die wirtschaftlichen Erwartungen nicht, dann dürfte der Knall dramatisch lauter werden und nicht nur aus dem Arbeitnehmerlager kommen – und er könnte sogar Diess’ Stuhl kippen.

Die hohen Kaufanreize der Bundesregierung für E-Autos bieten gute Voraussetzungen für den Start des ID.3. Noch besser wären sie, gäbe es keine Qualitäts- und Funktionsmängel. VW muss nachbessern und zwar rasant. Denn besser als besorgniserregend wäre doch besorgniserregend gut.