Das Missverhältnis zwischen der theoretischen Qualität des Kaders und der Wahrheit, die auf dem Platz liegt, war bei Eintracht zum Teil erschütternd.

„Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen.“
Wilhelm Hauff, Reiters Morgengesang

Diese Woche sah zwei spektakuläre Personalentscheidungen, die flüchtige Betrachter verblüfften, während Insider sie mit einem fröhlichen „War ja klar!“ kommentierten: Manchmal ist der äußere Eindruck von der Realität des Innenlebens weit entfernt.

Deshalb kam es genauso, wie wir es vorab berichtet hatten. Marco Antwerpen verlässt Eintracht Braunschweig. Und Daniel Meyer übernimmt. Dass einer, der den Aufstieg geschafft hat, keinen neuen Vertrag bekommt, befremdet viele Fans. Erfolg sei die härteste Währung im Fußball, schrieb ein Leser, ein anderer vermisste die Loyalität, einen Wert, der im Fußball noch viel gilt. „Die da oben“ im Aufsichtsrat und Präsidium mussten sich einiges anhören. Der TV-Kommentator hatte im Verlauf des Spiels gegen Meppen noch mehrfach behauptet, Antwerpen werde sicher bleiben, wegen des großen Erfolges und weil er ein Buddy des Sportdirektors Vollmann sei. Ist er übrigens nicht, sagt Vollmann.

Warum also muss er gehen? Warum setzt sich Eintracht dem Risiko aus, dass sich das Trainerkarussell der jüngeren Vergangenheit weiterdreht? Antwerpen sagt, er habe gelesen, dass er mit seiner kantigen Art angeeckt sei. „Der diplomatische Dienst ist nicht meine ganz große Stärke“, diktierte er dem Portal „Transfermarkt“. In seiner Heimat Ruhrgebiet seien die Menschen „ein bisschen direkter“.

Das ist unzweifelhaft richtig, erklärt Antwerpens Abschied aber nicht. Man darf sich die Mitglieder des Präsidiums und des Aufsichtsrates nicht als Sonnenkönige vorstellen, die Widerspruch mit dem Fallbeil ahnden. Mit Daniel Meyer haben sie sich einen Trainer angelacht, der bei Erzgebirge Aue keineswegs durch Demut auffiel. Nein, einen handzahmen Trainer hat sich Eintracht nicht geholt.

Die Gründe für Antwerpens Abschied kommen wohl aus der Tiefe des Eintrachtspiels, um es frei nach Karl Heinz Bohrer zu sagen. Das Missverhältnis zwischen der theoretischen Qualität des Kaders und der Wahrheit, die auf dem Platz liegt, war zum Teil erschütternd. Da schien selbst der FSV Zwickau, auf Platz 16 gerade noch dem Abstieg entgangen, der Eintracht deutlich überlegen, was Passspiel und Ballbehandlung angeht. Vieles erinnerte an die letzten Tage von Torsten Lieberknecht an der Hamburger Straße. An ihm festgehalten zu haben, stellte sich trotz aller Verdienste des Langzeitcoachs als schwerer Fehler heraus. Eine Erfahrung, deren Wiederholung Eintracht nicht anstrebt. Antwerpen hat unbestreitbar gemeinsam mit der Mannschaft Fortschritte erzielt. Es ist aber nachvollziehbar, dass die Clubführung Zweifel hatte, ob sich eine Saison darauf gründen lässt.

Die zweite Liga ist der Ort, an den Eintracht gehört. Aber es wird ihr nicht leicht fallen, sich dort festzusetzen. Teams wie der Beinahe-Aufsteiger Heidenheim, der HSV, Bochum, Hannover aber selbst Kiel, Regensburg oder Osnabrück werden den Traditionsclub schwer fordern. Wenn, wie viele erwarten, ein Drittel des bisherigen Kaders den Weg in die zweithöchste Spielklasse findet, steht Eintracht vor einem Neuaufbau, der einem Trainer mit Zweitligaerfahrung deutlich leichter fallen dürfte. Und man sagt Meyer nach, dass er sich auf die Entwicklung junger Spieler versteht. Am Ende hat der Abschied von Marco Antwerpen hohe Zwangsläufigkeit.

Dasselbe sagen Insider über Andreas Renschler, den hoch angesehenen Chef der Lkw-Sparte von Volkswagen. Er war vor fünf Jahren vom erfolgreichen Wettbewerber Daimler gekommen. Renschler wurde gemeinsam mit den späteren Vorstandschefs Matthias Müller und Herbert Diess als Nachfolger Martin Winterkorns gehandelt und drehte bei Volkswagen im Doppelsinne ein großes Rad. Gesprächspartner in der Region erlebten ihn dennoch als zugänglich und unprätentiös, etwa bei seiner Festrede zur Verleihung der Büssing-Preise für Nachwuchswissenschaftler. Er brachte alle Schwerlast-Aktivitäten unter dem Dach der Holding Traton zusammen: „Erst Renschler brachte das Geschäft bei Volkswagen mit Lkw und Bussen richtig voran“ schrieb die „Welt“ in dieser Woche. Der Börsengang von Traton, ein wesentlicher Teil seiner Strategie, blieb allerdings um zehn Milliarden Euro hinter den Erwartungen zurück. Dieser Fehlschlag habe Renschler verändert, sagt ein Insider, und sein Standing wohl auch. Es hakte bei der Hebung der Synergien, die VW durch die engere Verzahnung seiner schweren Marken erwartete, sein Plan einer Teilentmachtung der Vorstände von MAN und Scania führte im Februar offenbar zum Eklat. Die „Welt“ macht für die Probleme „die Betriebsräte“ verantwortlich, das „Manager Magazin“ attestiert Renschler dagegen, er habe seine Vorstandskollegen „verloren“. Von wieder wachsender Fremdheit zwischen MAN und Scania ist die Rede. VW kann sich das in seiner tiefen Krise weniger leisten denn je.

Überrascht mag man feststellen, dass die Schwerfraktion im Konzernvorstand künftig von Gunnar Kilian vertreten wird. Damit übernimmt der Personalvorstand zusätzlich unmittelbare Verantwortung für Produkte und Erträge – eine ungewöhnliche Konstellation. Aber auch sie ist bei näherem Hinsehen ziemlich logisch. Kilian hat seit seiner Zeit als Generalsekretär des Betriebsrats tiefe Einblicke in das Lkw- und Busgeschäft gewonnen. Aus der neuen Position heraus kann er viel für die Eintracht in der Lkw-Familie tun. Das ist für VW Gold wert. Ganz nebenbei steigt damit Kilians Gewicht im Konzernvorstand – als Osterlohs Strohmann bezeichnete ihn schon vorher keiner mehr. Zu offensichtlich ist, wie wichtig der gelernte Journalist für den Erfolg des Umbaus von Volkswagen geworden ist.