„Nichts gegen das Mittagsgeläut – aber zu Corona dürfte es schon ein bisschen mehr sein.“

„Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ heißt ein Psalmlied Martin Luthers. Aus tiefer Not sucht nun auch mancher evangelische Christ Beistand bei seiner Kirche, aus Furcht vor Corona, um gemeinsam mit anderen Gott anzurufen. Doch der Erlass der Landesregierung und der ebenso richtige vorsorgliche Verzicht der Evangelischen Landeskirche haben diesem Ruf die Antwort genommen. Die Kirchen sind zu, selbst viele Taufen und Hochzeiten müssen warten.

Nun könnte man in bestem lutheranischem Sinn sagen: Ist doch nicht so schlimm! In dieser Konfession traut man der direkten Beziehungen zwischen dem Erdling und seinem Schöpfer einiges zu. Fehlende geistliche Vermittlung wäre zu verschmerzen, wenn der direkte Draht funktioniert.

Aber weil die Geistlichkeit wichtiger Vermittler, Anreger und Ansprechpartner ist, bietet sich doch die Frage nach leicht auffindbaren Alternativen an. Mit dem britischen „Guardian“ zu sprechen: „It’s the internet, stupid.“ Und da ist die Evangelische Landeskirche Braunschweig wie viele Schwesterkirchen so dünn aufgestellt, dass man zweimal hinsehen muss, um sie überhaupt zu erkennen.

Grob und unfreundlich zusammengefasst: Die EKD hat zusammengekratzt, was es gerade gab. Und die Landeskirche ist blank. Sie überlässt ihren Gemeinden, zu tun und zu lassen, was Talente und Kräfte vor Ort hergeben. Ein Baukasten soll Onlinekommunikation erleichtern – was aber ganz offensichtlich nicht reicht. Deshalb bleiben Chancen ungenutzt, Menschen Beistand zu geben.

Die Lehre aus der Leere der Kirchen könnte eine Neudefinition kirchlicher Gemeinschaft sein. Mit Ideen, Know-how, Tatkraft und der Bereitschaft, den Schutz der Innerlichkeit aufzugeben, könnte Kirche über digitale Wege wieder in den Alltag vieler Menschen einziehen. Corona wäre der natürliche Anlass, endlich damit zu beginnen. Nichts gegen das Mittagsgeläut – aber es dürfte schon ein bisschen mehr sein.